Publizist über organisierte Kriminalität: „Es ist ein Eiertanz“

Gibt es Probleme bei der Berichterstattung über organisierte Kriminalität? Darüber schreibt der Journalist Olaf Sundermeyer im Buch „Bandenland“.

Fahrradständer, an den nur noch ein Reifen angeschlossen ist, der Rest des Fahrrads ist fort

Ein erster Schritt? „Fahrraddiebstahl nicht mehr als Bagatelle sehen“ Foto: dpa

taz: Herr Sundermeyer, inwiefern ist Deutschland ein „Bandenland“?

Olaf Sundermeyer: Zahlenmäßig ist das Problem die Eigentumskriminalität: Diebstahldelikte, die massiv zugenommen haben, vor allem seit Öffnung des Schengenraumes nach Osteuropa. Und ein Gros dieser Eigentumskriminalität ist auf organisierte Banden zurückzuführen.

Ist das ein relevantes Pro­blem? Gleichzeitig schreiben Sie doch, dass die Hälfte allen durch Kriminalität verursachten Schadens in Deutschland durch Wirtschaftskriminelle à la Uli Hoeneß entsteht.

Es war mir wichtig, das zu erwähnen. Das Thema meines Buches ist aber nicht Wirtschaftskriminalität, sondern sind die – zum großen Teil reisenden – Banden: weil dieses Problem relativ neu ist und außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung stand in den vergangenen Jahren. Das sagen alle Leute, die damit zu tun haben: Ermittler, Staatsanwälte, Strafverteidiger und im Übrigen auch die Täter selbst, mit denen ich gesprochen habe.

Was sagen die Täter?

Dass, wenn ein Wohnungseinbruch stattfindet oder ein Fahrrad gestohlen wird, den Opfern in den wenigsten Fällen bewusst ist, dass dahinter eine organisierte Struktur steht. Die Leute gucken sich stattdessen etwa in Berlin auf den Trödelmärkten um: Wo ist mein Fahrrad?

Woher kommt dieses Nichtwissen um die Zusammenhänge?

Von der Politik wurde das immer weggedrückt und gesagt, es handle sich um Einzeltäter. Die Polizei macht aber nur das, was die Politik will, und die Politik macht, was in der öffentlichen Debatte steht.

Straftaten: Anstieg der Zahl der registrierten Straftaten 2016 gegenüber 2015: +0,7 %.Ohne ausländerrechtliche Verstöße: –0,7 %.

Aufklärung: Gesamtaufklärungsquote: 56,2 %. Besonders hoch ist die Aufklärungsquote (AQ) bei Tötungsdelikten (94,6 %) und Leistungsdelikten (Beförderungserschleichung 99,2 %, Sozialleistungsbetrug 99,4 %). Besonders niedrig ist die AQ bei Taschendiebstahl (6,4 %), Fahrraddiebstahl (8,8 %), Wohnungseinbruchdiebstahl (16,9 %) und Kfz-Diebstahl (25,1 %).

Entwicklung: Wohnungseinbruchdiebstahl 2016 im Vergleich zum Vorjahr: –9,5 %, Fahrraddiebstahl: –0,8 %, Kfz-Diebstahl –0,3 %. Auch die Anzahl der Fälle der Wirtschaftskriminalität ist 2016 um 5,6 Prozent gesunken.

Tatverdächtige ohne ausländerrechtliche Verstöße: Deutsche: 69,5 %; Nichtdeutsche: 30,5 %. Nichtdeutsche Tatverdächtige bei Taschendiebstahl: 75,8 %. Bei Wohnungseinbruch­dieb­stahl: 42,5 %.

Quelle: Polizeiliche Kriminal­statistik (PKS) 2016 des ­Bundeskriminalamtes

Was wäre ein konkreter Plan gegen den Fahrradklau?

Man muss sich davon trennen, Fahrraddiebstahl als Bagatelle abzuhandeln. Dann braucht man mehr Ressourcen, mehr Personal. Und man muss mit den Ländern, wo die Ware hingeht – Baltikum, Polen – zusammenarbeiten.

Letzteres passiert bislang nicht?

Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat das relativ erfolgreich gemacht. In Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen konnte sie einen Fall organisierten Fahrradklaus in der Region aufklären. Solche Ansätze sind aber nie von Dauer gewesen, auch nicht, was den Kfz-Diebstahl angeht

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Autoindustrie von dem organisierten Klau sogar profitiert.

Definitiv. Jedes Auto, das gestohlen wird, vor allem bei hochwertigen Wagen aus Dienstflotten, wird neu angeschafft. Der abschließende Nachweis, dass die Industrie nicht alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Autos zeitgemäß gegen Diebstahl zu sichern, ist noch nicht erbracht. Das wäre auch ein sehr schwerer Vorwurf, der aber bei allen Gesprächen mit den Fachleuten aus den Landeskriminalämtern im Raum steht.

Wenn man Ihr Buch liest, könnte man den Eindruck gewinnen, schuld daran, dass in Deutschland aus Ausländern bestehende Banden tätig sind, sei ein linksliberales Milieu, das sich, wie Sie schrei­ben, nicht „ehrlich machen“ will, das „Denkverbote“ aufstellt, kurz: eine „falsch verstandene politische Korrektheit“. Würden Sie dieser These zustimmen?

Da würde ich Ihnen widersprechen. Ich erwähne verschiedene durch Zahlen belegbare Ursachen für den Anstieg der Eigentumskriminalität, darunter die Öffnung des Schengenraums. Dass Europa die wunderbare Freizügigkeit genießt, hat zur unmittelbaren Folge auch den Anstieg der Eigentumskriminalität aus Osteuropa. Damit muss man umgehen. Und dass man das über Jahre nicht getan hat, hat auch mit dieser falsch verstandenen politischen Korrektheit zu tun. Niemand stiehlt etwas, weil er Rumäne oder Pole ist. Sondern Menschen tun das, weil es einfach ist und weil sie das Gefühl haben, dabei zumeist straffrei davonzukommen. Das Gleiche gilt für die aktuelle Debatte über Kriminalität und Flüchtlinge: Man weiß, dass es kleine Gruppen aus bestimmten Flüchtlingskreisen gibt, die verantwortlich sind für eine Zunahme von bestimmten Kriminalitätsdelikten in bestimmten Regionen Deutschlands. Das muss man benennen.

Olaf Sundermeyer: „Bandenland. Deutschland im Visier von organisierten Kriminellen“. C. H. Beck, 175 Seiten, 14,95 Euro

Ein Kapitel in Ihrem Buch trägt den Titel „Die Lehren aus ‚Köln‘ “, also aus den massiven Übergriffen in der Silvesternacht 2015. Welche Rolle spielt „Köln“ in einem Buch über organisierte Kriminelle in Deutschland?

Zunächst: Die Komponente sexuelle Gewalt, die zur Aufladung von „Köln“ erheblich beigetragen hat, spielt in meiner Betrachtung keine Rolle, diese Debatte möchte ich auch nicht führen. Im Rheinland, in Köln und Düsseldorf, ist die von mir behandelte drastische Zunahme der Eigentumskriminalität in bestimmten Bereichen auf organisierte Banden zurückzuführen. Es gibt deutliche Überschneidungen von diesem Milieu und dem, was in der Silvesternacht in Köln stattgefunden hat. Und die wenigen Leute, die in Köln bekannt wurden, haben fast alle eine kleinkriminelle Vergangenheit. Ein Großteil der Zunahme von Taschendiebstählen in NRW ist auf Täter zurückzuführen, die von der Polizei, der Soko Casablanca, in der sogenannten Nafri-Datei gespeichert wurden, also von Menschen aus den Maghrebstaaten. Dieses Phänomen war allen, die sich mit Kriminalität beschäftigen, schon lange vor der Silvesternacht 2015 bekannt. Nur hat es vor dieser Nacht keine öffentliche Debatte darüber gegeben – schon gar nicht in den überregionalen Medien. Mir haben Ermittler gesagt: Köln hat uns im Prinzip geholfen.

Welche Rolle spielen die Medien?

Ich kann jetzt über mich reden und sagen, dass ich in den vergangenen Jahren immer große Widerstände hatte, über das Thema zu berichten. Mir war es zum Beispiel wichtig, über organisierte Taschendiebe in Berlin zu berichten, deren Struktur als organisierte Kriminelle analog zu Familienstrukturen von Roma-Clans ist. Das war sehr schwierig durchzusetzen, weil sich in unseren Kreisen immer die Frage stellte: Um Gottes willen, diskriminieren wir diese Menschen nicht? Aber ich bin der Meinung, dass das Wesen dieser organisierten Kriminalität des Taschendiebstahls in Berlin und NRW nur über die Familienstrukturen zu erklären ist. Es ist ein schmaler Grat, aber es war immer mein Anspruch, das zu benennen, ohne auf die Seite derjenigen zu wechseln, die das aus fremdenfeindlichen Motiven tun.

geboren 1973 in Dortmund, arbeitet beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und für andere Medien. Er ist Autor zahlreicher Beiträge (Print/TV) zum Thema Rechtsextremismus sowie organisierte Kriminalität. Zuletzt erschien: „Rechter Terror in Deutschland“, München 2012. Website Olaf Sundermeyer

In Ihrem Buch sprechen Sie von Menschen, bei denen Integration gescheitert sei, zum Beispiel von kriminellen arabischen Großfamilien in Berlin. Was unterscheidet die von der Mafia in Italien?

In Italien sind Menschen kriminell, die gesellschaftliche Macht haben. In Deutschland leben die Leute, die Sie ansprechen, am Rand der Gesellschaft. Deswegen ist es einfach, mit dem Finger auf sie zu zeigen. Die Sicherheitsbehörden machen das aber nicht so gerne, weil sie dann einräumen müssten, dass es ein Problem gibt, das man nicht gelöst hat. Da muss man ticken wie eine Behörde, um das verstehen zu können. Im Wahljahr fällt man dann in hektische Betriebsamkeit, die Politik will sich bewusst handlungsfähig zeigen, nach dem Motto „Wir haben die Lösungen, die AfD hat sie nicht“.

Viele Leute in den Sicherheitsbehörden stehen aber der AfD nahe. Beunruhigt Sie das?

Das beunruhigt mich sehr. Ich kenne viele dieser Polizisten, Justizvollzugsangestellten, Staatsanwälte und Richter, die AfD-Mitglieder oder -Sympathisanten sind. In Sachsen sehe ich das zum Beispiel als Riesenpro­blem, auch weil ich in meiner Arbeit dort merke, dass die Polizei bei Demonstrationen sehr viel mehr Sympathie für die rechte Szene aufbringt als etwa in Berlin. Die AfD ist eine zutiefst rassistische Partei, sie geht davon aus, dass bestimmte Menschen weniger wert sind als andere. Und das darf bei keinem ­Polizisten und schon gar nicht bei einem Richter oder Staatsanwalt vorkommen.

Warum haben die kriminellen arabischen Familienclans in Ihrem Buch keine Namen? Nennt man sie nicht, weil man sonst von den potenten Anwaltskanzleien, die diesen Clans zuarbeiten, verklagt wird? Oder weil man persönlich bedroht wird?

Über konkrete Bedrohungen im Zusammenhang mit meiner Arbeit rede ich grundsätzlich nicht. Aber ich gebe Ihnen recht: Es ist ein Eiertanz zwischen Erkenntnisvermittlung und dem Risiko, das man eingeht. Und ich empfinde das als Belastung. Aber damit muss man umgehen.

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