12. Manifesta in Palermo: Kunst inmitten des Zerfalls

Korruption und Kriminalität haben das Herz Palermos verfallen lassen. Hier schlägt die Manifesta, eine wandernde Biennale, ihre Zelte auf.

An einem Gebäude hängen Banner mit der Aufschrift "Manifesta 12"

Im Herzen Palermos findet 2018 die Manifesta statt Foto: Manifesta 12

Die Manifesta ist eine europäische Wanderbiennale, ihre 12. Ausgabe macht ab Juni 2018 Station in Palermo. Sie ist eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Amsterdam, die zeitgenössisch relevante Kunst in den Dialog mit ausgewählten Städten oder Regionen bringt. Mal mit mehr Geräusch (St. Petersburg unter der Leitung von Kasper König), mal mit weniger (Nikosia musste 2006 wegen politischer Querelen kurzfristig abgesagt werden), mal recht verstolpert („What people do for money“, 2016 in Zürich, irritierte mit fader Bevölkerungsnähe). Diesmal also Palermo und diesmal mit den Urbanisten-Profis von OMA, dem Büro von Rem Kohlhaas, als Creative Mediator. So heißen Kuratoren jetzt schon deshalb, weil man verstanden hat, dass übergriffiges Hoheitsgebaren einhergehend mit ignorantem Aktivismus heutzutage tunlichst zu vermeiden sind.

Noch wird der Palermo-Atlas geheim gehalten, der Untersuchungen zum aktuellen Zustand der Stadt auf Basis der geografischen und historischen Besonderheiten der sizilianischen Metropole bündelt. Gesammelt von den vier Co-Mediatoren, dem Sizilianer und OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli, von Mirjam Varadinis vom Kunsthaus Zürich, von dem spanischen Architekten Andrés Jaque, der sich mit den Schnittstellen von Kunst, Forschung, Politik und Gestaltung befasst, und der holländischen Filmemacherin und Journalistin Bregtje van der Haak. Sie stellen den Atlas demnächst vor. Er soll Dokumentation sein, dabei Transparenz, Vision und Diskussion befördern. Die Künstler, die diesem Konzept der Auseinandersetzung mit einem gelinde gesagt problematischen Stadtgefüge folgen sollen, finden spannende Ausgangssituationen vor.

Etwa der im Herzen des Centro Storico liegenden Piazza Magione, eine riesige Brache, die 1943 nach dem Bombardement der Alliierten entstand, als sie den angepeilten Hafen knapp, aber gründlich verfehlten. Die nach dem Krieg als Wiedergutmachung zur Verfügung gestellten Gelder für einen Wiederaufbau der Palazzi flossen jahrzehntelang zum Wohle der mafiösen Strukturen in schlampig geplante Wohnviertel am Rande der Altstadt und Anderweitiges.

Die Manifesta könnte zur Wiederbelebung des Geländes, das zwischenzeitlich zu einem Riesenparkplatz verkommen war, beitragen. Es wurde nicht renoviert, der Zerfall war Programm. Nach und nach jedenfalls verließen die Bürger das Herz ihrer Stadt, mussten es verlassen, weil die Lebensbedingungen unerträglich wurden, die Besitzverhältnisse sind bis heute schier unentwirrbar. Da gibt es zum Beispiel die von vier prachtvollen Barockpalazzi begrenzte Kreuzung Quattro Canti, an der die alljährliche Santa-Rosalia-Prozession ihren feierlichen Abschluss findet. Als Filetstücke würden Urban Developer in aller Welt sie bezeichnen, doch stehen zwei davon seit ewigen Zeiten leer.

Harmonie von Korruption und Kriminalität

Rätsel wie diese durchziehen die heruntergekommene Altstadt. In der überwiegend die Ärmsten wohnen, Migranten aus Afrika, Hängengebliebene, Seltsame und Störrische. Noch widersetzt sich alles, sicher auch das alte, allerdings stark bröckelnde System der Mafia, einer Gentrifizierung nach globalem Vorbild. Die Wohlhabenden der Mittelschicht haben sich in stadtnahen Vierteln – und einem Jahrzehnte währenden Niedergang ihrer einst mächtigen, gloriosen Metropole – eingerichtet. Sie sind ungebrochen stolz auf ihre Geschichte, ihr arabisch-normannisches Erbe, sie verweisen darauf, dass sie praktisch mit allen Kulturen, die sie über die Jahrhunderte überrannt oder geprägt haben, vertraut sind, globalisiert seit Gedenken.

Und doch möchte es einem das Herz zerreißen. Das harmonische Wirken von Korruption, Kriminalität, rigorosem Machtstreben und Gier im Konzert von Politik, Kirche und Mafia hat die Stadt und ihren Ruf ruiniert. Touristen schauen auf ihrem Insel-Trip kurz vorbei, gruseln sich ein bisschen und ziehen weiter zu den herrlichen antiken Stätten in Taormina und Syrakus.

Sollten die Manifesta-Künstler, deren Namen übrigens noch streng geheim gehalten werden, über Palermo nicht im verführerischen Stadtverbesserungsmodus herfallen, werden sich die (abgesehen von Taxifahrern und Hoteliers) noch ein wenig skeptischen Palermitani dem Spektakel mit Bildungsanspruch bereitwillig zuwenden.

Der offenbar stets kampfbereite Bürgermeister Leoluca Orlando sieht eine große Chance in der kulturellen Aufwertung seiner Stadt. Das begeistert nicht alle, die Arbeitslosigkeit ist exorbitant, die Armut hoch, soziale Projekte sollten Vorrang haben, meinen viele. Palermo, sagt Leoluca Orlando, gleiche mit seiner Geschichte und seinem Völkergemisch einem wertvollen Mosaik, dessen Rahmen allerdings Menschenrechte und Respekt bilden müsse. Sonst funktioniere das nicht. Er kämpfe gegen ein ökonomisches, religiöses und kriminelles Gewaltsystem. Unerschrocken pathetisch fügt er hinzu, sein Schwert sei die Kultur.

Internationale Achtung hat ihm sein Credo „Mobilität ist ein Menschenrecht“ eingetragen. Er plädiert nicht nur für die Aufnahme von Flüchtlingen, sondern für die unmittelbare Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, wobei er keinen Unterschied zwischen Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen macht. Damit macht man sich nicht nur Freunde. Dass viele Flüchtlinge mangels Arbeitsmöglichkeiten rasch weiterziehen, verhindert, dass er in die Bredouille gerät.

Der Bürgermeister plädiert für die unmittelbare Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, wobei er keinen Unterschied zwischen Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen macht.

Dass die Mafia, ohnehin ein schrumpfender Haufen in Zeiten digitaler Kontrollmöglichkeiten und subtilerer Einschüchterungsmethoden, sich nun anders organisiert (im Prostitutions- beziehungsweise Drogengeschäft operieren nun nigerianische Migranten unter verdeckter Supervision alter Mafiastrukturen), verhindert nicht, dass sie unweigerlich zum Auslaufmodell wird. Während Orlando für die Erneuerung einer kommunalen Politkultur steht, die auf Dia­log und frische demokratische Denkmodelle setzt. Gar nicht so einfach in der Stadt des Gattopardo, der, wenn er melancholisch gestimmt war, gern auf die Vergeblichkeit allen Tuns verwies.

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