Adil Yiğit über seine Abschiebung: „Ich werde bestraft“

Der Erdoğan-kritische Journalist Adil Yiğit lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Jetzt droht ihm die Abschiebung. Ein Gespräch über hartnäckige Hoffnungen.

Ein Mann mit Brille, grauem Bart und Glatze sitzt auf einem dunklen Sessel.

Nicht geschaffen fürs bequeme Wegschauen: der Sozialarbeiter und Journalist Adil Yiğit Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Yiğit, im April feiern Sie Ihren 60. Geburtstag. Wissen Sie schon, wo Sie feiern werden?

Adil Yiğit: Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht genau. Ich denke, ich werde im kleinen Freundeskreis feiern. Hoffentlich hier in Hamburg.

Ihre Aufenthaltsgenehmigung endet am 20. Februar. Das zuständige Amt hat angekündigt, eine Verlängerung nicht genehmigen zu wollen. Dagegen haben Sie allerdings Einspruch eingelegt. Haben die Behörden darauf bereits reagiert?

Nein. Mein Anwalt hat schon im Dezember eine Stellungnahme zu meinem Bescheid abgegeben. Das Amt begründet den Bescheid unter anderem damit, dass ich nicht erwerbstätig bin. Allerdings besuche ich seit November eine Maßnahme des Arbeitsamtes, um wieder als Sozialarbeiter arbeiten zu können. Bisher habe ich trotzdem noch keine Antwort auf meinen Einspruch erhalten, überhaupt keine Reaktion.

Also müssen Sie einfach abwarten?

Es scheint so. Für mich ist das alles ein großes Fragezeichen. Ich weiß nicht, warum das so lange dauert.

59, lebt in Hamburg und arbeitete dort zunächst als Sozialarbeiter. Später begann er für die taz zu schreiben. Heute betreibt Yiğit die regimekritische Onlineplattform Avrupa Postası. Er gehört zu den 32 JournalistInnen, denen beim G20-Gipfel nachträglich die Akkreditierung entzogen wurde. Nach mehr als 30 Jahren in Deutschland droht Yiğit Ende Februar die Abschiebung.

Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit in Deutschland plötzlich von Abschiebung bedroht zu sein?

Ich bin traurig und durcheinander. Mein Umfeld weiß natürlich von meiner Situation. Wenn jemand fragt, wie die aktuelle Situation ist, fällt mir eine Antwort schon sehr schwer. Was soll ich sagen? Ich weiß es nicht. Das alles ist mir schon sehr peinlich.

Warum peinlich?

Ich weiß nicht, welches Wort ich sonst benutzen sollte. Eigentlich ist es eine Unverschämtheit. Nach so vielen Jahren in Deutschland, in denen ich mir hier mein Leben aufgebaut und eine Familie gegründet habe, bin ich nun von Abschiebung bedroht. Manchmal frage ich mich, ob das nur ein böser Traum ist.

Sie erhalten viel Unterstützung, unter anderem von der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU), die für Sie ein Bleiberecht fordert.

Das stimmt, es gibt einige Organisationen, die sich sehr für mich einsetzen. Besonders die Unterstützung meiner Journalistenkollegen freut mich sehr. Das fühlt sich super an. Deshalb fühle ich mich nicht ganz alleine.

Gibt es auch Seiten, von denen Sie sich mehr Unterstützung wünschen würden?

Ja, von den türkischen Journalisten in Hamburg. Das ist ein Verein, den ich 2010 selbst mit gegründet habe. Zwei Jahre lang war ich sogar zweiter Vorsitzender. Jetzt habe ich meine Mitgliedschaft aber beendet.

Warum?

Weil der Verein zu vielen Fällen von in der Türkei inhaftierten Journalisten, unter anderem auch im Fall von Deniz Yücel, nicht einmal eine Erklärung abgegeben hat. Neunzig Prozent der Mitglieder sind regierungsnahe Journalisten. Bei Veranstaltungen werden immer wieder Vertreter vom türkischen Konsulat eingeladen. Das alles habe ich bereits mehrfach kritisiert. Zu meinem Fall wurde dann lediglich eine zweizeilige formale Erklärung abgegeben. Da hat es mir einfach gereicht.

Wie erklären Sie sich das Verhalten Ihrer KollegInnen?

Manche sagen, sie können nicht objektiv sein, weil sie noch mal in die Türkei zurückkehren wollen. Ich denke jedoch, wenn etwas wahr ist, dann muss es auch geschrieben werden. Wir können nicht so tun, als würden wir nichts sehen und nichts hören und einfach schweigen. Wir können nicht diese Drei-Affen-Rolle spielen.

Haben Sie das Gefühl, mit der drohenden Abschiebung für Ihre Vergangenheit bestraft zu werden?

Ich bin mir sicher, dass ich für das, was ich in der Vergangenheit gemacht habe, bestraft werde. Allerdings mit anderen Methoden.

Sie spielen darauf an, dass Ihnen beim G20-Gipfel nachträglich die Akkreditierung entzogen wurde.

Ja, das ist alles kein Zufall. Das Bundeskriminalamt hat sich zwar entschuldigt und gesagt, es hätte eine Verwechslung vorgelegen, aber das glaube ich nicht. Deshalb beteilige ich mich auch weiter an der Sammelklage gegen das Bundespresseamt. Und nun zeigen mir die da oben, wer der Stärkere ist.

Sie gehörten einst der militanten marxistisch-sozialistischen Organisation „Devrimci Sol“ („Revolutionäre Linke“) an und engagierten sich auch in Deutschland gegen das Regime in der Türkei. Wie blicken Sie jetzt auf diese Zeit zurück?

Da bin ich gespalten. Einerseits habe ich sehr gute Sachen gemacht. Ich hatte den Traum von einer demokratischen Türkei und dafür habe ich gekämpft. Andererseits hatte unsere Bewegung auch Flecken, da gibt es nichts schönzureden und es tut mir sehr leid, dass unsere Geschichte auf so traurigen Dingen basiert.

Sie saßen mehr als zwei Jahre in Haft, weil in einer von Ihnen angemieteten Wohnung Waffen gefunden wurden.

Es war ein Fehler, was ich damals getan habe. Ich hatte ein eigenes Geschäft, ein Reisebüro. Auf Bitte einiger Freunde habe ich diese Wohnung angemietet. Es war damals so üblich unter Genossen, dass man sich solche Gefallen tut. Ich selbst war nur ein oder zwei Mal in der Wohnung. Was dort gefunden wurde, gehörte nicht mir. Das ist nun 20 Jahre her. Ich bin mir meiner Fehler trotzdem bis heute bewusst und habe teuer dafür bezahlt, nicht nur mit der Haft.

Wodurch noch?

Von einem Tag auf den anderen habe ich mein Geschäft verloren. Ich war von einem Tag auf den anderen von meiner Familie getrennt. Das war ein großer Bruch, unter dem ich immer noch leide. So etwas möchte ich nicht noch mal erleben.

Sie haben sich deshalb von jeglichen politischen Organisationen losgesagt und ein neues Leben angefangen.

Auch das war nicht einfach. In der Organisation galt ich als Verräter, weil ich ausgestiegen bin und die Morde an den eigenen Genossen als falsch verurteilte. Und weil ich immer noch politisch aktiv bin, fragt sich die Öffentlichkeit, ob ich mich wirklich davon distanziert habe. Sie wollen mich als Funktionär einer bestimmten Organisation sehen. Das bin ich aber nicht. Ich muss keiner Organisation angehören, um mich gegen die politischen Entwicklungen in der Türkei und in Kurdistan einzusetzen.

Sondern?

Ich mache ganz harmlose und demokratische Dinge, mit denen ich nicht einmal Geld verdiene. Zum Beispiel habe ich gerade Briefmarken drucken lassen, auf denen die Bilder von zu Unrecht in der Türkei inhaftierten Menschen zu sehen sind. Und ich nutze natürlich meine journalistischen Möglichkeiten.

Was treibt Sie an?

Ich könnte es mir schön gemütlich machen. Ich bin fast 60, habe Kinder und ein warmes Zuhause. Aber das bin ich einfach nicht. Ich fühle mich nicht wohl, solange es Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und in Kurdistan gibt. Ich kann nicht einfach wegschauen.

Sind Sie sehr politisch erzogen worden oder woher kommt Ihr Engagement?

Ich komme aus einer aufgeklärten sozialdemokratischen Familie. Wir haben damals ein kleines Kino betrieben. Ich durfte die Filme, die wir zeigten, immer mit aussuchen. Das hat mich sehr neugierig gemacht. Der Ort, in dem wir gelebt haben, war traditionell reaktionär. Trotzdem haben unsere Filme den Menschen viel Freude bereitet. Das hat mich sehr beeindruckt und mir gezeigt, dass man zwar viel reden kann, aber es auch andere Arten der Kommunikation gibt.

Hätten Sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, müssten Sie heute nicht ihre Abschiebung fürchten. Warum haben Sie das nie getan?

Ehrlich gesagt wollte ich das nicht. Natürlich habe ich hier einen wichtigen Teil meines Lebens verbracht. Ich habe hier eine Familie gegründet. Aber immer, wenn ich darüber nachgedacht habe, habe ich mich auch gefragt: Wofür kämpfe ich? Für eine türkische Demokratie. Mein Traum war immer, irgendwann in die Türkei zurückzukehren und Politik zu machen. Das hat mich immer davon abgehalten, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Mit einem deutschen Pass wäre das nicht möglich gewesen.

Das klingt so, als wäre das heute nicht mehr Ihr Traum.

Leider ist das manchmal so mit Träumen: Sie können nicht immer verwirklicht werden.

Also haben Sie die Hoffnung aufgegeben?

Nein, die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben. Ich hoffe immer noch auf ein politisches Erdbeben, auf eine demokratische Türkei. Aber die Realität bindet mir die Hände. Solange die westlichen Länder mit der türkischen Regierung flirten und ihre schmutzigen Waffengeschäfte fortführen, kann ich aber nur davon träumen.

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