G20-Musical in der Neuköllner Oper: Schmerzen am Herzen und der Welt

In Berlin arbeitet die UdK den Gipfel mit Musiktheater auf. Das ist unterhaltsam, aber oft zu schablonenartig und klischeebeladen.

Zwei Menschen tanzen

Szenenbild aus „Welcome to Hell“ Foto: Matthias Heyde

Barrikaden brennen. Das SEK steht bereit. In Sichtweite der Straßenkämpfe am Schulterblatt kaufen ein paar Jugendliche Döner. Jemand schreit „Anticapitalista!“. Das Musical „Welcome to Hell“, eine Koproduktion der Neuköllner Oper und des Studiengangs „Musical“ der Berliner Universität der Künste, versucht, die Tage des G20-Gipfels in Hamburg aufzuarbeiten. Das Gipfelhappening dient dabei als Projektionsfläche für persönliche Zerrissenheit und zwischenmenschliche Konflikte, aber auch als zugespitztes Bild des gesellschaftlichen Status Quo.

Drei Charaktere verkörpern diesen Zustand am offensivsten: Ein verängstigter Polizist, ein Autonomer und ein französischer Teilnehmer des offiziellen Gipfels. Alle drei verlassen ihre vorurteilsbeladenen Charakterhüllen kaum. Vor allem der überzeichnete Autonome Andi ist Prisma der Klischees des Musicals.

Andi stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Seine Eltern überweisen ihm monatlich 2000 Euro, er klaut trotzdem Sixpacks im Getränkemarkt – des Punkseins wegen. Er beherrscht linksradikales Basisvokabular und könnte ob der Ungerechtigkeiten der Gesellschaft die ganze Zeit nur um sich schlagen. So wie er für selbstreferenzielle, letztlich also sinnlose Militanz steht, repräsentieren die anderen ganz unmissverständlich Polizeigewalt und globale Ungerechtigkeit.

Angenehme Ambivalenz

Es sind die Charaktere dazwischen, die interessanter, da authentischer und realistischer erscheinen. Figuren, an deren Erleben man die Tage des G20-Gipfels oder eben jeden Tag der Vereinzelung in der spätkapitalistischen Leistungsgesellschaft nachempfinden kann.

Eine junge Frau namens Sabine, die es wegen einer Angststörung nicht schafft, ihre Einzimmerwohnung zu verlassen. Eine verschwörungstheorieaffine Bloggerin, die das Weltgeschehen ausschließlich online verfolgt und per Vlog kommentiert. Oder die gelangweilte Teenagerin Mina aus dem Schleswig-Holsteinischen Husum, die ihre Mutter anlügt, um zum Gipfel fahren zu können, „weil gerade alle in Hamburg sind“.

„Welcome to Hell“ (ein Musical von Peter Michael von der Nahmer und Peter Lund): 15. März bis 29. April in der Neuköllner Oper. (Termine: www.neukoellneroper.de/play/welcome-to-hell/)

Die Supermarktkassiererin Krissy muss eigentlich in der Schule sitzen, während sie im Supermarkt Bierflaschen scannt. Sie ist schwanger, möchte das Kind aber nicht, weil ihr Freund sie schlägt. Sie will endlich ihr Abitur schaffen, bangt aber um ihren prekären Job. Am Ende schließt sie sich denen auf der Straße an.

Die Wege aller Figuren kreuzen sich an den Tagen des Gipfels, in der Sternschanze, auf St. Pauli, in der Davidwache. Sie schreien sich an. Verstehen sich nicht. Dann helfen sie einander. Zwischen Freundschaft und Feindschaft, Empathie und Hass geht es immer wieder um eine Frage: Was an meiner Misere ist gesellschaftlich bedingt? Was habe ich einfach selbst verbockt?

„Sex sells“ gilt auch für G20

Schwer nachvollziehbar sind die zahlreichen und irgendwann unüberschaubaren sexuellen Begegnungen. Klar, Liebe gehört zum Musical. Sex wohl auch. Und man kann nicht den Kapitalismus und das Patriarchat kritisieren, ohne über Begehren zu sprechen. Wenn am Ende aber alle mit allen geschlafen haben, wird das zur beliebigen Schablone.

Als der Gipfel endlich endet, singen die Charaktere zusammen: „Welcome to Hell! Welcome to Hell! Wir alle sind die Hölle!“ Ein Musical, wie GZSZ. Nur eben auf politisch. Ein bisschen Herzschmerz, ein bisschen Weltschmerz, ein bisschen Gesang und Tanz.

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