Urteil gegen den Verfassungsschutz: Lebenslänglich überwacht

Der Verfassungsschutz hat den Menschenrechtler Rolf Gössner 38 Jahre lang ausgespäht. Ein Gericht befand das Vorgehen jetzt für rechtswidrig.

Rolf Gössner spricht mit einer Person im Vordergrund des Bildes, die man von hinten sieht

Rolf Gössner 2013 bei der Veranstaltung „Schutz der Verfassung – Praxis jenseits der Gesetze?“ Foto: dpa

MÜNSTER taz | Die 38-jährige Bespitzelung des Bremer Menschenrechtlers Rolf Gössner durch den Verfassungsschutz war von Anfang an rechtswidrig und unverhältnismäßig. Diese Einschätzung, zu der das Kölner Verwaltungsgericht bereits vor sieben Jahren kam, hat am Dienstagabend der 16. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster in der Berufungsverhandlung bestätigt. Es hat damit erneut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bescheinigt, dauerhaft die vornehmsten persönlichen Rechte verletzt zu haben, die das Grundgesetz jedem garantiert.

Die stehen nach Auffassung des OVG Münster eben auch Gössner zu. Der Publizist, Politikwissenschaftler und Rechtsanwalt wurde 2007 zum stellvertretenden Richter am Bremer Staatsgerichtshof gewählt. Er hatte mit Verweis nicht nur auf die Bluttaten des NSU in einer persönlichen Stellungnahme darauf hingewiesen, dass der Inlandsgeheimdienst durch seine „Verwicklung in Neonaziszenen und -parteien“ schon mehrfach „selbst zu einer Gefahr für Verfassung, Rechtsstaat und Demokratie geworden“ sei. Seine eigene harsche Kritik, die im Verfahren als „Diffamierung“und „Verunglimpfung“ diskreditiert worden sei, habe sich leider bestätigt und sei sogar „von der Wirklichkeit übertroffen“ worden.

Spitzelberichte über Gössner hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz von 1970 an gesammelt. Beendet wurde diese längste bisher bekannte Überwachung einer Einzelperson in der Geschichte der Bundesrepublik im Jahr 2008 ebenso anlassarm, wie sie begonnen hatte: Hatte es damals gereicht, dass Gössner beim Sozialdemokratischen Studentenbund ohne Mitglied zu sein einige Monate im Vorstand mitwirkte, entschieden die Kölner Verfassungsschützer 2008, dass sich die Bedrohungslage geändert habe. Worin diese Änderung in dem vergleichweise ereignisarmen Jahr gelegen haben mag, bleibt schleierhaft.

Der Verdacht liegt indes nahe, dass es opportun schien, ein paar Härten abzuräumen, nachdem Gössner zwei Jahre zuvor Klage eingereicht hatte. Möglich, dass man sich in dem drohenden Verfahren wenigstens nicht vorwerfen lassen wollte, jemanden weiterhin zu bespitzeln, der von der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, mit der Theodor Heuss-Medaille für sein Engagement als Herausgeber des „Grundrechte-Reports“ geehrt worden war. Jahre zuvor hatte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der niedersächsischen Grünenfraktion der Schröder-Regierung dabei geholfen, ein grundgesetzkonformes Landesverfassungsschutzgesetz auszuarbeiten.

Die Geheimdienstler bewerteten indes seine Tätigkeiten ganz anders: Gössner habe das Ziel der „Abschaffung wesentlicher Kernelemente der Verfassungsordnung“ verfolgt, so hatte es in den Schriftsätzen aus der renommierten Kanzlei Redeker Sellner Dahs geheißen, mit denen die Bundesrepublik gegen den Publizisten zu Felde gezogen war. Dass er kein Mitglied der DKP oder irgendeiner anderen extremistischen Organisation war, mache ihn nur umso verdächtiger. Als besonders schwerwiegend empfand man in Köln, dass Gössner der Redaktion der geheimdienst- und polizeikritischen Zeitschrift „Geheim“ angehört hatte. Der BfV behauptet nämlich, die Zeitschrift wäre durch die Stasi unterwandert gewesen. Diese Behauptung ist bis heute nicht wirklich belegt. All dies habe Gössner unternommen, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch eine sozialistische zu ersetzen. Um den Vorgang zu beschleunigen, hätte er zunächst einmal versucht, mithilfe der Vierteljahresschrift den Verfassungsschutz zu beseitigen, dieses Bollwerk der Demokratie.

Revision zugelassen

Ja, das klingt wirr und schwer nachvollziehbar: „Ein denunziatorisches Feind- und Zerrbild, in dem ich mich nicht wieder erkenne – und vor dem ich selbst erschrecken würde“, hat Gössner diese Darstellung seiner selbst genannt.

„Ein denunziatorisches Feind- und Zerrbild, in dem ich mich nicht wieder erkenne – und vor dem ich selbst erschrecken würde“

Auch die Münsteraner RichterInnen hatte die Argumentation der Bundesseite nicht überzeugen können: Ihnen fehlten „konkrete Anhalts­punkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“, durch die allein eine Überwachung Gössners gerechtfertigt hätte werden können. Dass die mit der Überwachung einhergehenden Grundrechtseingriffe darüber hinaus auch „unverhältnismäßig gewesen“ seien, ergibt sich aus der Nichtigkeit ihres Anlasses fast schon zwingend.

Dass der Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen hat, ist vielleicht ein Wermutstropfen der Entscheidung: Nach zwölf Jahren ist das Verfahren also immer noch nicht zu Ende, und sollte es dereinst beim Bundesverfassungsgericht landen, „dann bin ich 90, wenn es zur Verhandlung kommt“, so Gössner in einer Pause zur taz. Davon, dass der Bund auch die Möglichkeit ausschöpft, ist auszugehen. Viel zu wichtig scheint dem BfV das Recht, unbescholtene Bürger*innen so anlass-, ergebnis- und sinnlos ausspähen zu dürfen, wie es ihm gefällt.

Schon die Berufung im Fall Gössner scheint von solchen Erwägungen motiviert gewesen zu sein: Silke Willems, die Vertreterin der Behörde, wohnt der Sitzung schweigend bei und will auf Nachfrage der taz „dazu lieber keine Stellung nehmen“. Gössner vermutet, dass es sich tatsächlich um einen Kampf für die bisherige Praxis handele. „Die dürften ja,“, das sei die grundsätzliche Bedeutung seiner 2006 angestrengten Klage, „nicht mehr weitermachen wie bisher, wenn das am Ende rechtskräftig wird.“

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