Belgien vor dem WM-Achtelfinale: Die Betonung des Kollektivs

Nach einer bravourösen Vorrunde muss die belgische Elf jetzt zeigen, was sie wirklich draufhat. Kann sie dem Ruf als Geheimfavorit gerecht werden?

Belgische Fans am vergangenen Donnerstag beim Spiel Belgien gegen England in Kaliningrad

Belgische Fans am vergangenen Donnerstag beim Spiel Belgien gegen England in Kaliningrad Foto: dpa

An Informationen fehlt es nicht. Roberto Martinez erzählt viel über das belgische Nationalteam. Jede Frage beantwortet er bei dieser Weltmeisterschaft mit großer Ausführlichkeit. Der katalanische Trainer versucht, genau zu erklären, warum er was macht, warum wer spielt und wie viele positive Dinge er bei dem Turnier von seiner Mannschaft gesehen hat. Man hat das Gefühl, da will einer verstanden und vor allem auch wertgeschätzt werden. „Drei Siege in der Vorrunde“, sagt er, „sind keine Selbstverständlichkeit.“

Und doch weiß man noch nicht sonderlich viel über dieses Team, das über so große Fußballer verfügt wie Kevin de Bruyne, Eden Hazard, Dries Mertens und Romelu Lukaku. Die Auftaktgegner Panama und Tunesien taugen nicht als Maßstab, um den ewig scheiternden Geheimfavoriten der letzten großen Turniere für dieses Mal seriös mehr Hoffnung machen zu können.

Als mit England der erste ernsthafte Gegner auf dem Spielplan stand, war Belgiens Auswahl bereits fürs Achtelfinale am Montag in Rostow gegen Japan qualifiziert. Martinez schickte eine B-Elf aufs Feld, die im Duell mit der B-Elf von England, das ebenfalls nicht mehr punkten musste, den etwas bemühteren Eindruck machte.

Das ist der Mannschaft hoch anzurechnen. Denn als Gruppenzweiter hätten die Belgier von ihrem Stammquartier in Moskau aus nicht so viel reisen müssen, wie Martinez hinterher klarstellte. Jetzt muss man im Viertelfinale mit dem fünfmaligen Weltmeister Brasilien als Gegner rechnen. Den Engländern schmeckte diese Vorstellung möglicherweise nicht. Martinez stellte indes klar: „Man kann bei einem großen Turnier nicht erfolgreich sein, wenn man den leichten Weg sucht.“

Und er erzählte wieder einiges mehr. Wie viele positiven Dinge er bei diesem Spiel gesehen habe. Wie wichtig es war, dass der lange verletzte Thomas Vermaelen wieder näher an die Mannschaft herangeführt werden konnte. Wie der erst 21-jährige Youri Tielemans vom AS Monaco sich immer besser integriere und wie gut sich da ein neues Team zusammengefunden habe.

Auf der Bank

Gegen Japan wird das so hoch gelobte Team vornehmlich auf der Bank Platz nehmen. Und es werden wieder de Bruyne, Hazard, Mertens und Lukaku auflaufen. Diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass man seit Jahren in Belgien von der goldenen Generation spricht. Ob bei dieser WM die guten Ergebnisse für diese Ehrenbezeugung nachgeliefert werden, ist vermutlich selbst nach einem Einzug ins Viertelfinale schwer einzuschätzen.

Fairplaypunkte haben den Japanern das Weiterkommen ermöglicht, zu den großen Teams dieses Turniers zählen sie nicht. So bequem ist der Weg für das belgische Team ins Viertelfinale nie gebaut gewesen. Und Martinez weiß um die günstige Gelegenheit. Vor der Partie gegen Japan erklärte er: „Wir haben eine gute Gelegenheit zu zeigen, welches Talent wir als Mannschaft haben.“

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Die Betonung des Kollektivs gehört zu den Standards auf jeder Pressekonferenz von Roberto Martinez. Immer wieder spricht er von der Notwendigkeit eines ausbalancierten Kaders. Mit Radja Nainggolan ließ er einen der großen Stars der vergangenen Jahre zu Hause, obwohl der beim AS Rom gerade eine bestechend gute Saison gespielt hatte.

Martinez erklärte dies mit taktischen Gründen und seinen Sorgen um das Gleichgewicht auf dem Rasen. Einige in Belgien glauben eher, die unbequeme Art von Nainggolan habe Martinez nicht gepasst.

In jedem Fall war es ein Zeichen, das auch seine Wirkung nach innen nicht verfehlt haben dürfte. Denn Kritik musste sich Martinez auch von seinem vielleicht wichtigsten Spieler, Kevin De Bruyne, gefallen lassen.

Taktisch besser

Nach einem Freundschaftsspiel gegen Mexiko (3:3) vergangenen November schimpfte er, der Gegner sei taktisch besser gewesen. Und De Bruyne beklagte, Belgien würde mit vielen offensiven Spielern sehr defensiv agieren. Das passe nicht zusammen.

In Deutschland hätte eine solcher Angriff auf Löw vermutlich eine Krise ausgelöst. Trainer Martinez musste sich dagegen in Tapferkeit üben. De Bruyne hat in Belgien einen größeren Stellenwert als er. So sagte er: „Ich habe die Aussagen nicht als persönliche Kritik an mir aufgenommen.“

Obwohl das belgische Team in den letzten anderthalb Jahren ungeschlagen ist, hat es Martinez nicht leicht. Die souveräne Qualifikation für die WM wurde als Selbstverständlichkeit erachtet. Bei Gegnern wie Griechenland, Bosnien, Estland, Zypern und Gibraltar ist das auch nachvollziehbar. Der goldenen Generation fehlt es an einem vorzeigbaren Erfolgserlebnis gegen eine der ganz großen Fußballnationen.

Wie es um Martinez Autorität genau bestellt ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Nach den Erfolgen in der Vorrunde sind die Schwingungen im belgischen Lager eher positiv. „Wir haben uns taktisch enorm weiterentwickelt. Wir sind jetzt stärker und daran glauben wir auch“, sagte Torhüter Thibaut Courtois dieser Tage.

Aus den Erfahrungen des Scheiterns ist schon oft Großes entstanden. Vielleicht hat auch deshalb Nico Kovac, der neue Trainer des FC Bayern München, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kurz vor der WM Belgien zu seinem Geheimfavoriten erkoren. Beunruhigenderweise für die Belgier hat er an selber Stelle bekundet, er mache sich keine Sorgen um das deutsche Team.

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