Gutachten zur Wirksamkeit: Videoüberwachung taugt nicht

Die Hamburger Innenbehörde hat eine Wirksamkeitsanalyse zur Kameraüberwachung auf der Reeperbahn erstellt. Das Ergebnis: Gewalttaten sind seit der Einführung um ein Drittel gestiegen.

Kameras verhindern keine Gewalt: Hier nehmen Polizisten einen Fußball-Fan in Gewahrsam. Bild: dpa

Kritiker haben es vorher gesagt, Praktiker dauernd bestätigt und gerügt: Die Videoüberwachung der Hamburger Reeperbahn senkt nicht die Zahl an Gewalttaten. "Das Ziel der Reduzierung des Fall-Aufkommen insgesamt in dem Bereich Reeperbahn ist in den erstens drei Jahren der Überwachung nicht erreicht worden", besagt eine Wirksamkeitsanalyse, die heute dem schwarz-grünen Senat von der Innenbehörde vorgelegt wird. Erst vor zwei Wochen hatte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht Teile der Videoüberwachung des Kiezes für rechtswidrig und als Eingriff in das "informationelle Selbstbestimmungsrecht" erklärt, wenn von der Polizei live in die Hauseingänge von Reeperbahn-BewohnerInnen gefilmt wird.

Die Bilanz ist ernüchternd: "Das Fall-Aufkommen in den ausgewählten Deliktsbereichen im videoüberwachten Bereich der Reeperbahn stieg im dritten Jahr der Videoüberwachung gegenüber dem Jahr vor Inbetriebnahme der Videoüberwachung um 32 Prozent", heißt es in der Wirksamkeitsanalyse. Besonders auffällig: Die Zahl der Körperverletzungen sei von 2006 bis 2009 gar um 75 Prozent gestiegen - innerhalb des zur Abschreckung vor Straftaten eingerichteten Überwachungsbereichs. In der Umgebung der Reeperbahn sei die Zahl um 46 Prozent nach oben geschossen. Im Klartext: Waren es 2006 noch 182 gefährliche und 369 einfache Körperverletzungen, so sind es drei Jahre später 239 gefährliche und 646 leichte Körperverletzungen.

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar hat seit Jahren in seinen Berichten die präventive Videoüberwachung des Kiezes zur Gefahrenabwehr als rechtswidrig kritisiert. Er bemängelte dabei nicht, dass die Videoaugen zwecks Strafverfolgung eingesetzt werden, jedoch dass Hamburgs Polizei nach Polizeirecht präventiv einen solchen Eingriff in das "informationelle Selbstbestimmungsrecht" nicht zustehe.

Die Reeperbahn im Rotlichtmilieu auf dem Hamburger Kiez gilt als Kriminalitätsschwerpunkt Hamburgs.

12 Videoaugen installierte die Polizei im April 2006 entlang der Amüsiermeile.

Die um 180 Grad schwenkbaren Zoom-Kameras können alles erfassen, die Aufnahmen werden zu Monitoren im Polizeipräsidium übertragen.

Vier Wochen werden die Aufnahmen der KiezbesucherInnen und Anwohnern zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge gespeichert.

Keine gesetzliche Grundlage für das Filmen der AnwohnerInnen sah das Oberverwaltungsgericht in einem Urteil aus dem Juni 2010.

Die Innenpolitikerin der mitregierenden Grünen Antje Möller sieht das ähnlich. Die Wirksamkeitsanalyse sei einerseits spannend, weil sie der "Dunkelfeldaufhellung" von Straftaten diene. Sie sei aber nicht das, was im Koalitionsvertrage 2008 vereinbart worden sei. Damals habe man eine Evaluation von Videoüberwachung öffentlicher Plätze vereinbart. "Das hat nicht stattgefunden. Ich sehe keine präventive Effekte", sagt Möller.

Klare Worte kamen auch von der Linkspartei. "Die Videoüberwachung an der Reeperbahn muss sofort beendet werden", bekräftigt die Innenpolitikerin Christiane Schneider. "Sie ist nicht nur ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte, sondern hat keinerlei präventive Wirkung, wie die gestiegene Zahl der Delikte und insbesondere der Gewaltdelikte in dem überwachten Gebiet belegt." Außerdem koste die Überwachung viel Geld. Hier habe der Senat die Gelegenheit, endlich mal am richtigen Ende zu sparen, sagt Schneider. Dass auch die Videoüberwachung von nicht-staatlicher Seite immer mehr zunehme, verwundere angesichts der ausufernden staatlichen Überwachung nicht, so Schneider: "Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kommt in Hamburg immer stärker unter die Räder."

Die Wirtschaftlichkeitsanalyse wird in der Diskussion um die Novellierung der Hamburger Polizeigesetze, die durch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts unumgänglich ist, neuen Zündstoff sorgen. So teilte erst kürzlich das Oberverwaltungsgericht der Polizei mit, dass das Erstellen von Bewegungs- und Kontaktprofilen von Reeperbahn-BewohnerInnen mittels Videokameras unzulässig und nicht einmal vom Hamburger Polizeigesetz gedeckt sei.

Ein Gutachten des Verwaltungsjuristen Carsten Gericke im Auftrag der Linkspartei spricht dem Landesgesetzgeber sogar Gesetzgebungskompetenzen ab, wenn er Videoüberwachung zum Zwecke der Prävention einzuführen versucht. "Videoüberwachung zur Strafverfolgung ist verfassungskonform", sagt Gericke und sei durch die Strafprozessordnung vom Bundesgesetzgeber zu regeln. "Zum Zwecke der Prävention nach Polizeirecht ist Videoüberwachung verfassungsrechtlich mehr als bedenklich."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.