Asylzahlen des Bundesinnenministers: Zählen will gelernt sein

Seehofer befeuerte den Asylstreit mit der Ankündigung, 2018 könnten bis zu 220.000 Zuwanderer ins Land kommen. Die Angabe ist nicht gedeckt.

Ein somalischer Flüchtling hält eine Aufenthaltsgestattung in den Händen

220.000 Zuwanderer in Deutschland? Guckt man sich die Zahlen für 2018 genau an, sieht es nicht so aus Foto: dpa

Am 20. Juni, kurz bevor der Asylstreit in der Union völlig aus dem Ruder lief, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine deutlich höhere Prognose zu den Flüchtlingszahlen abgegen, als dies die Zahlen seines eigenen Ministeriums hergaben. Das geht aus der Antwort des Staatssekretärs Marco Wanderwitz auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die der taz vorliegt.

Bei der Vorstellung der Zahlen für den Mai 2018 hatte Seehofer behauptet, trotz des Rückgangs der Asylzahlen sei damit zu rechnen, dass der im Koalitionsvertrag vereinbarte „Korridor für die jährliche Zuwanderung nach Deutschland in Höhe von 180.000 bis 220.000 Personen (…) in diesem Jahr erreicht oder sogar überschritten werden“ könnte. Nach Erfahrungen der Vorjahre sei für den Sommer/Herbst mit einem saisonal bedingten Anstieg der Antragszahlen zu rechnen.

Diese Annahme ist nicht gedeckt. Die Bundesregierung hat für die Berechnung des „Korridors“ vier Faktoren angegeben: Die Zahl der bisherigen Asylsuchenden für 2018, die Anzahl der Nachzüge der Familien sowohl von Menschen mit Asylstatus als auch von subsidiär Schutzberechtigten sowie die Resettlement-Aufnahmen.

Bis Ende Mai 2018 haben rund 70.000 Menschen Asyl in Deutschland ersucht. Auf das Gesamtjahr hochgerechnet ergibt dies einen Wert von 168.000. Dafür, dass es im Sommer/Herbst einen Anstieg geben könnte, nennt die Bundesregierung keinen Beleg. Im vergangenen Jahr gab es einen solchen Anstieg nicht.

Dazu kommen 9.811 erteilte Visa zum Familiennachzug im 1. Quartal 2018. Davon sind – legt man den Wert des Vorjahres zugrunde – knapp die Hälfte aus typischen Hauptherkunftsländern Asylsuchender, der Rest wird als Arbeitsmigranten nicht auf den „Korridor“ angerechnet. Auf das Gesamtjahr hochgerechnet käme man also auf rund 18.000 Personen.

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Dazu rechnet Seehofers Ministerium 4.600 geplante Resettlement-Aufnahmen von Flüchtlingen im Jahr 2018 sowie 5.000 Familiennachzüge zu subsidiär Schutzberechtigten ab August 2018. Das sind jene 1.000 Nachzüge im Monat, die das kürzlich eigens dazu verabschiedete Gesetz erlaubt. Ob diese Zahl wegen bürokratischer Hürden überhaupt erreicht wird, ist sehr fraglich.
 Diese Zugänge zusammengenommen ergeben prognostisch für das Jahr 2018 eine Zugangszahl von gut 195.600.

Davon muss – laut Koalitionsvertrag – die Zahl der Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen abgezogen werden: Bis Ende Mai 2018 waren dies 11.131 Abschiebungen sowie 7.554 freiwillige Rückkehrer. Auf das Jahr gerechnet wäre dies insgesamt knapp 45.000. Damit ergeben die Zahlen der Bundesregierung für die Berechnung des „Zuwanderungskorridors“ eine Nettozahl von nur gut 150.000 – weit weniger also, als Seehofer behauptet hat.

„Seehofer will beim Thema Asyl bewusst eine negative Stimmung im Land erzeugen“, sagt die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke. Dass dies in keiner Weise von den Zahlen gedeckt sei, sei „inakzeptabel“. Seehofer betreibe angesichts zurückgehender Asylzahlen „mit Fake News eine Eskalation in der Asylpolitik“. Von einer drohenden Überforderung Deutschlands könne „nicht einmal im Ansatz die Rede sein“, sagt Jelpke.

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