Milchproduktion in Niedersachsen: Das Leid der Turbo-Kühe

In einem Schlachthof wurden nicht mehr transportfähige Milchkühe angeliefert. Die genetisch optimierten Tiere erbringen Höchstleistungen und sterben jung.

Allein auf Größe und maximalen Ertrag getrimmt: Euter einer Milchkuh Foto: Carmen Jaspersen

HANNOVER taz | Kühe können locker zwanzig Jahre alt werden. In der Milchproduktion werden sie meist nicht älter als fünf. Dann kommen sie zum Schlachter. Sie haben dann Zehntausende Liter Milch gegeben und ihre Körper sind erschöpft. Die Hochleistungskuh schlechthin, die schwarz-weiße Holstein-Friesian, gibt zwischen 8.000 und 16.000 Kilogramm Milch in etwas weniger als einem Jahr. So preisen es die Züchter im Internet an.

Um ein Kalb satt zu kriegen, müsste eine Kuh nur etwa acht Kilogramm Milch am Tag geben. Das wären im selben Zeitraum rund 2.400 Kilogramm Milch. Dass die Kuh unter Hochdruck produziert, stimuliert von Zucht und Futter, geht nicht spurlos an ihr vorbei. Die Tiere verlieren an Gewicht, weil ihre ganze Energie ins Euter geht.

Das haben spätestens die jüngst veröffentlichten Bilder aus den Schlachthöfen in Bad Iburg und Oldenburg gezeigt, die Tierschützer heimlich aufgenommen haben. Milchkühe wurden dort an Ketten aus Transportern gezogen und mit Elektroschockern malträtiert, weil sie zu schwach waren, um einen einzigen Schritt zu tun.

Das betrifft nicht nur einzelne Kühe. In Bad Iburg hing die versteckte Kamera des Vereins „Soko Tierschutz“ etwas mehr als vier Wochen. Zu sehen sind laut der Tierschützer etwa 200 Tiere, die nicht mehr eigenständig laufen konnten.

Ausgemergelte Tiere

Die Tierquälerei in solchen Schlachthöfen ist grausam. Der eigentliche Skandal beginnt aber davor. Die Milchkühe sind nicht erst durch den Transport so ausgemergelt, sondern durch ihr Leben als Milchmaschinen.

In Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen leben rund 1.254.600 Milchkühe. Zu Milchkühen werden sie mit zwei bis zweieinhalb Jahren gemacht. Dann bekommen sie das erste Kalb und werden kurz danach von ihm getrennt. Oft sofort, mal Stunden oder wenige Tage später. Das Kalb bekommt nur die erste Milch der Kuh, die sogenannte Biestmilch. Diese soll vor Krankheiten schützen. Danach gibt es künstlich hergestellte Ersatzmilch aus dem Tränkeeimer.

Milchkühe sind Maschinen, die Gras in den wertvollen Rohstoff Milch umwandeln

Eine Bindung zwischen Kalb und Mutter ist unerwünscht. Denn die Kälber werden nach der Geburt zunächst einzeln in sogenannten Kälber-Iglus gehalten. Das sind weiße Plastikboxen mit einem kleinen Auslauf davor. Die männlichen Kälber werden gemästet und wandern nach etwa 22 Wochen als zartes Kalbfleisch in die Supermarktregale – falls sich das Mästen lohnt. Die weiblichen Kälber zieht der Bauer als Nachschub für die Milchproduktion groß.

Jedes Jahr ein Kalb

In den ersten Wochen nach der Geburt ist die Milchleistung der Kühe am größten und fällt dann langsam ab. Damit die Milchleistung stimmt, werden die Kühe schnell wieder künstlich befruchtet. Jedes Jahr ein Kalb ist das erklärte Ziel der Milchbranche.

Die Kuh ist also ständig trächtig. Wird sie dennoch geschlachtet, erstickt dabei das Kalb in ihrem Leib. Seit 2017 ist es in Deutschland verboten, Säugetiere im letzten Drittel der Trächtigkeit zu schlachten. Notschlachtungen sind aber weiterhin erlaubt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hatte in einer Studie geschätzt, dass drei Prozent der Milchkühe in diesem fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft sind, wenn sie geschlachtet werden.

Es ist eine einfache Rechnung. Wenn Kühe mit zwei bis zweieinhalb Jahren das erste Kalb bekommen, danach jedes Jahr eines folgt und sie nicht älter als fünf Jahre werden, ist ihr Leben im Schnitt nach zwei bis drei Kälbern vorbei. Das scheint sich noch immer zu rechnen. Zwar gibt es Landwirte, die umdenken und weniger auf Milchleistung und stärker auf eine längere Lebensdauer der Kühe setzen, Mainstream ist das aber noch nicht – auch aufgrund des großen wirtschaftlichen Drucks.

Wie weit entfernt die Züchter und Tierhalter davon sind, Milchkühe als empfindsame Wesen wahrzunehmen, zeigen die Rassebeschreibungen im Internet: Dort werden das „enorme genetische Leistungsvermögen“, ein „großes Grundfutter- und Trockensubstanzaufnahmevermögen“ oder die „funktionsfähigen, sehr gut melkbaren Euter“ gepriesen. Milchkühe sind Maschinen, die Gras in den wertvollen Rohstoff Milch umwandeln.

Insgesamt entfernt sich der Landwirt immer mehr von seinen Tieren. Das war in der vergangenen Woche auf der Fachmesse Eurotier in Hannover gut zu sehen. Dort haben Firmen Roboter präsentiert, die verschiedene Futtermittel aus verschiedenen Behältern einsammeln, mischen und direkt vor die Kühe fahren. Der Landwirt muss zum Füttern nicht mehr selbst in den Stall gehen und auch fürs Ausmisten gibt es Maschinen.

Doch wenn der Landwirt weniger vor Ort ist, entdeckt er dann Verletzungen und Krankheiten? Können intelligente Ohrmarken, die die Bewegungen der Tiere erfassen und damit angeblich auch ihr Befinden, den direkten Kontakt wirklich ersetzen?

Der Verein Soko Tierschutz hat ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie ein frisch geborenes Kalb von einem Mistschieber, der im Prinzip wie ein Schneeräumer funktioniert, durch den Stall geschoben wird. Die Mutterkuh steht hilflos daneben. Eigentlich separiert der Landwirt trächtige Kühe kurz vor der Geburt von der Gruppe. Wenn das Kalb aber zu früh kommt, mitten im Stall und die Maschine setzt sich in Bewegung, ist das lebensgefährlich für das Kalb.

Videos sind Momentaufnahmen

Sicher zeigen solche Videos immer eine Momentaufnahme. Sie sind nicht für alle Ställe zu verallgemeinern und auch die Zustände in Bad Iburg oder Oldenburg nicht für alle Schlachthöfe. Viele Landwirte bemühen sich um ihre Tiere und es gibt eine ganze Industrie, die sich selbstdrehende Kratzbürsten und Kuhmatratzen ausdenkt, damit es den Tieren besser geht.

Trotzdem liegt der Fehler nicht nur an einzelnen Landwirten, die ihre Tiere schlecht behandeln, sondern im System. Solange das Ziel der Verbesserungen von Stall, Beschäftigung und Tiergesundheit nur ist, dass Milchkühe immer noch mehr Milch produzieren, wird sich am Zustand der Tiere vor der Schlachtung nichts ändern.

Denn am Ende des Produktionszyklus ist bei dieser enormen Milchmenge auch die Kuh am Ende.

Mehr über das Elend der Milchkühe lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz.nord oder am E-Kiosk.

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