Attac verliert Gemeinnützigkeit: „Gemein“ heißt nicht „nützlich“

Nach Attac will die CDU der Deutschen Umwelthilfe ihre Gemeinnützigkeit aberkennen. Das wäre ein Erfolg für Lobbyisten.

Menschen erlegen symbolisch vor dem Bundestag ein Plastikmonster.

Gehen vielen auf die Nerven – Attac-Aktivist*innen vor dem Bundestag Foto: imago

Attac geht Leuten auf die Nerven. Ständig verschicken die Globalisierungskritiker Pressemitteilungen, sie standen auch schon nackt vor dem Kanzleramt. Die Attac-Akti­vist*innen setzen sich für eine Finanztransaktionssteuer ein oder klären darüber auf, wie man seine Hausbank wechseln kann, wenn die alte zu viel Dreck am Stecken hat. Sie finden Stuttgart 21 schlecht oder veranstalteten Seminare, wenn in Frankfurt Banken blockiert werden.

Lauter linkes Zeug also. Kein Wunder, dass die Schadenfreude über ein Urteil des Bundesfinanzhofs diese Woche bei Teilen von Union, FDP und der AfD groß war. Der hat entschieden, dass Attac wohl nicht gemeinnützig ist. Viele Vertreter der Zivilgesellschaft schüttelten ungläubig den Kopf. Denn Tausende Organisationen genießen diesen Status, vom Charlottenburger Damen-Schwimmverein Nixe e. V. über Greenpeace, die Bundespolizei-Stiftung bis zu Clowns ohne Grenzen e. V. Was das Urteil bedeutet, dazu die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Ist Attac am Ende?

Attac-Sprecherin Frauke Distelrath muss bei der Frage schmunzeln. „Also, wir sitzen das jetzt nicht locker auf einer Arschbacke aus. Das Urteil erschwert unsere Arbeit, aber wir sind nicht in der Existenz gefährdet“, sagt sie. Schon die vergangenen fünf Jahre arbeitete die Organisation wegen des Rechtsstreits vorläufig ohne den Status der Gemeinnützigkeit und hat daraus die Spendenkampagne „Jetzt erst recht!“ gemacht.

Das größte finanzielle Problem für Attac ist, dass gemeinnützige Stiftungen der Organisation kein Geld mehr geben können. Sonst haben die Unterstützer*innen und Mitglieder den Schaden, weil die ihre Zuwendungen nicht mehr von der Steuer absetzen können. Das fällt bei ein paar Euro Spende vielleicht nicht ins Gewicht, wohl aber bei Großspenden, die Attac hin und wieder erhält. Ab einer gewissen Summe wird sogar Schenkungssteuer fällig.

Okay, also weniger Geld für Attac, soll das jetzt ein Skandal sein?

Für zivilgesellschaftliche Organisationen ist der Status der Gemeinnützigkeit existenziell. In vielen Fällen arbeiten Vereine als gesellschaftliches Korrektiv zur Lobbyarbeit von Konzernen, sei es im Zusammenhang mit dem Dieselskandal oder im Kampf für Klimaschutz. Attac wurde jetzt seine laute, öffentliche Einmischung ins tagespolitische Geschäft zum Verhängnis – nur ist das genau die Idee von Zivilgesellschaft. Sie ist eben auf Öffentlichkeit angewiesen.

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Die Wirtschaft kann Politik dagegen auf verschlungenen Wegen beeinflussen: Die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft Rumäniens sponsert etwa Coca-Cola als „Platin Partner“ – „und kämpft gleichzeitig gegen höhere Recyclingvorgaben oder eine in vielen EU-Ländern diskutierte Zuckersteuer“, schreibt der Verein LobbyControl. Die Daimler AG kann ihre jeweils 100.000 Euro Spenden an CDU und SPD im April 2017 von der Steuer absetzen – wer Attac als Gegengewicht unterstützen will, kann das nicht.

Welche Organisationen sind in Deutschland denn überhaupt steuerbegünstigt?

Laut Abgabenordnung sind Parteien steuerbegünstigt und Organisationen, die kirchliche, mildtätige (soziale) oder gemeinnützige Zwecke verfolgen. Solche Organisationen sind teilweise von eigenen Steuerzahlungen befreit. Außerdem können Spenden an solche Organisationen die Steuerlast der Spender reduzieren.

Wann ist eine Organisation gemeinnützig?

Wenn sie sich uneigennützig für Zwecke der Allgemeinheit einsetzt. Letztlich kommt es aber weniger auf die abstrakte Definition an. In der Praxis orientieren sich die Finanzämter vor allem an den Beispielen für Gemeinnützigkeit, die der Gesetzgeber in Paragraf 52 der Abgabenordnung ausdrücklich aufgezählt hat, unter anderem Kultur, Sport, Wissenschaft, Brauchtumspflege und Denkmalschutz.

Viele Zwecke sind aber nicht aufgeführt, weshalb beispielsweise Organisationen, die sich gegen die Diskriminierung von nichtweißen Menschen oder Homosexuellen einsetzen, immer wieder Pro­bleme mit den Finanzämtern wegen ihrer Gemeinnützigkeit bekommen. Das schreibt die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, in der sich rund 80 Vereine und Stiftungen wie Attac, Pro Asyl, Germanwatch oder Oxfam organisiert haben.

Spielen Themen der sozialen Bewegungen in der Abgabenordnung keine Rolle?

Doch, schon. Aufgeführt sind zum Beispiel Völkerverständigung, Hilfe für Flüchtlinge, die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Umweltschutz. Umweltverbände machen sich nach dem BFH-Urteile deshalb keine Sorgen. Nicht genannt aber sind so gesellschaftlich wichtige Themen wie etwa soziale Gerechtigkeit, Rechte von sexuellen Minderheiten oder Datenschutz.

Was hat der Bundesfinanzhof im Attac-Urteil genau entschieden?

Er hat den Gemeinnützigkeitszweck der Volksbildung eng ausgelegt. Es sei nicht möglich, politisches Engagement für einen nicht in Paragraf 52 erwähnten Zweck einfach zur politischen Bildung zu erklären. Politische Bildung beziehe sich darauf, anderen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. Hierfür sei „geistige Offenheit“ erforderlich. Wer nur seine eigenen politischen Ziele durchsetzen will, betreibe keine politische Bildung.

Wie geht es weiter im Attac-Streit?

Der BFH hat den Fall an das Finanzgericht Kassel zurückverwiesen. Dort muss noch geprüft werden, ob der Attac-Trägerkreis sich die (möglicherweise nicht gemeinnützigen) Tätigkeiten des Attac-Netzwerks zurechnen lassen muss. Erst wenn dies bejaht wird, verliert Attac die Gemeinnützigkeit endgültig.

Welche NGOs betrifft das BFH-Urteil?

Probleme mit der Gemeinnützigkeit könnten alle Organisationen bekommen, die sich auf „politische Bildung“ berufen, weil sich in Paragraf 52 kein passenderer Gemeinnützigkeitszweck fand. Die Organisation Campact etwa prüft derzeit, ob das Urteil eine Gefahr für ihre Gemeinnützigkeit darstellt. Denn sie mischt sich, wie Attac, laut in die Tagespolitik ein und beruft sich dabei auf ähnliche Kriterien wie die Globalisierungskritiker.

Bekommt die Deutsche Umwelthilfe nun Pro­bleme?

Nein. Umweltschutz ist in Paragraf 52 ausdrücklich erwähnt. Wenn die Union der DUH die Gemeinnützigkeit entziehen will, versteht sie das Steuerrecht nicht. Die Gemeinnützigkeit ist keine Belohnung für Organisationen, die der Regierung sympathisch sind. Das hindert einige Abgeordnete nicht, die DUH wegen ihrer vielen Klagen auf Dieselfahrverbote hart anzugehen: „Als nächstes muss man an die Umwelthilfe ran.

Es kann nicht sein, dass kleine militante Splittergruppen die Gesellschaft drangsalieren und dann auch noch ‚Gemeinnützigkei‘ für sich reklamieren“, schrieb der CSU-Bundestagsabgeordnete Stefan Müller. Die AfD fast wortgleich: „Jetzt auch DUH ins Visier nehmen!“ Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger (CDU) sagte dem Handelsblatt, es gebe gute Gründe, zu hinterfragen, ob das „Gebaren der Deutschen Umwelthilfe noch den Anforderungen der Gemeinnützigkeit entspricht“. Die DUH feuerte scharf zurück und warf Bilger auf taz.de vor: „Er disqualifiziert sich in dieser Debatte durch seine de­magogische Zuspitzung.“

Können auch rechtsextremistische Organisationen gemeinnützig sein?

Verfassungswidrige Organisa­tionen können das nicht. Dies ist schon seit Jahrzehnten die Praxis der Finanzämter. Seit 2009 steht es auch ausdrücklich in der Abgabenordnung. Die Auflistung in einem Verfassungsschutzbericht ist dabei aber nur ein „widerlegbares“ Indiz.

Ist nach dem BFH-Urteil, die Diskussion über Gemeinnützigkeit zu Ende?

Natürlich nicht. Es ist jetzt eine politische Frage, ob der Katalog der Gemeinnützigkeitszwecke in Paragraf 52 der Abgabenordnung so ergänzt wird, dass auch Attac die Gemeinnützigkeit zuerkannt werden kann. Das Bundesfinanzministerium sagt auf Nachfrage, man prüfe noch, ob man tätig werden müsse. Der SPD-Politiker Lothar Binding will, dass der Bundestag die Abgabenordnung überarbeitet. Auch im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist das vereinbart. Es stand aber schon in vielen Koalitionsverträgen, seit die „Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ im Jahr 2002 forderte, Gemeinnützigkeit anders zu definieren.

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