Kriegsparteien verhindern Hilfe: Im Jemen ist selbst Mehl umkämpft

Die meisten Toten des Jemen-Kriegs fordern nicht die Kämpfe, sondern Hunger und Krankheit. Hilfe kommt nur zum Teil bei den Bedürftigen an.

Kinder warten auf Essen

Ein Mädchen in Sanaa wartet auf die Essensspende einer lokalen Hilfsorganisation Foto: reuters

BEIRUT taz | 51.000 Tonnen Getreide. Das würde reichen, um 3,7 Millionen Menschen einen Monat lang zu ernähren. Vergangene Woche jedoch schlugen die Vereinten Nationen Alarm: Wenn sie nicht bald Zugang zu den Getreidesilos in der jemenitischen Hafenstadt Hudaida erhielten, drohe das Korn zu verrotten.

Seit September schon blockieren die Huthi-Rebellen nach UN-Angaben den Zugang von Mitarbeitern des Welternährungsprogramms zu den Silos. Die Huthis kämpfen gegen die jemenitische Regierung, die versucht, die besetzten Teile des Landes mit Unterstützung einer saudisch geführten Militärkoalition zurückzuerobern.

Der Jemenkrieg hat Zehntausenden Menschen das Leben gekostet. Die Mehrzahl der Toten aber forderten nicht die Kämpfe, sondern Hunger und Krankheiten. Rund 85.000 Kinder seien an den Folgen von Hunger gestorben sein, schätzt die Organisation Save the Children.

Am Dienstag erklärten die UN, dass zwei Drittel des Landes vor einer Hungersnot stünden. Eine Hungersnot wird ausgerufen, wenn drei Kriterien erfüllt sind: Einer von fünf Haushalten leidet unter extremem Lebensmittelmangel; drei von zehn Kleinkindern sind stark unterernährt; mindestens zwei von 10.000 Menschen sterben täglich an Nahrungsmangel. Im Jemen sind die ersten beiden Kriterien in vielen Gegenden bereits erfüllt oder beinahe erfüllt. Die UN beschreiben die Situation als schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt.

Kontrollen verzögern Weitertransport

Die blockierten Getreidesilos in Hudaida sind nur einer von mehreren Faktoren, die zu der desaströsen Lage beitragen. Doch sie zeigen, wie die Kriegsparteien teilweise verhindern, dass bitternötige Hilfsleistungen die Notleidenden erreichen. Im vergangenen Jahr hielt ein Brief eines Expertenpanels an den UN-Sicherheitsrat fest, wie beide Seiten – Saudi-Arabien und die jemenitische Regierung einerseits, die Huthi-Rebellen andererseits – ein Hindernis für Hilfslieferungen darstellen.

Saudi-Arabien hat im November 2017 die jemenitischen Häfen und Flughäfen geschlossen, nachdem die Huthis eine Langstreckenrakete auf Riad abgefeuert hatten. Die Seeblockade ist mittlerweile teilweise wieder aufgehoben, doch seither werden alle Lieferungen, die über den Hafen von Hudaida ins Land kommen, von den UN und der Militärkoalition kontrolliert. Das verzögert den Weitertransport. Über Hudaida laufen rund siebzig Prozent aller Importe.

Auf der anderen Seite erschweren nach Angaben der UN-Experten auch die Huthis die Verteilung von Hilfsgütern, indem sie Produkte abzweigen, Lieferungen verzögern oder Gebiete zu Militärzonen erklären.

„Die Huthis erheben Zölle an Checkpoints und ziehen einen gewissen Prozentsatz der transportierten Ware ein“, erklärt der Aktivist und Analyst Hisham al-Omeisy gegenüber der taz. Die beschlagnahmten Güter – etwa Speiseöl oder Mehl – verteilten sie dann entweder an ihre Kämpfer oder verkauften sie auf dem Schwarzmarkt.

UN-Partner bereicherten sich

Eine Recherche der Nachrichtenagentur AP veranschaulicht das Ausmaß der Veruntreuung von Hilfsgütern: So hatten die UN zum Beispiel in die Stadt Saada im Norden des Landes die doppelte Menge der Hilfsgüter geschickt, die eigentlich nötig gewesen wären. Trotzdem hätten aber 65 Prozent der dortigen Bevölkerung nicht genug zu Essen gehabt.

Auch das Welternährungsprogramm hat Anfang des Jahres offengelegt, dass nur ein Teil der Hilfslieferungen bei den Betroffenen ankommt. In der Hauptstadt Sanaa sollen nur 40 Prozent jener, die Anspruch auf Hilfsgüter hatten, auch tatsächlich versorgt worden sein. In Saada soll es ein Drittel gewesen sein. Mindestens eine ihrer Partnerorganisationen soll Hilfsgüter abgezweigt haben, erklärte die UN-Organisation. Sollten die Huthis nichts gegen die Korruption unternehmen, würden die Hilfslieferungen eingestellt. Die Huthi-Rebellen wiesen die Vorwürfe zurück.

Die umgehenden Dementis der Huthis auf Vorwürfe zeigten, wie sehr den Rebellen an ihrem Image gelegen sei, sagt Analyst al-Omeisy. Er hält es für falsch, dass sich die UN mit Kritik weitgehend zurückhalten aus Furcht, die Huthis könnten ihnen den Zugang zu den von ihnen kontrollierten Gebieten ganz verwehren. „Die Huthis reagieren sehr sensibel auf Kritik seitens der UN. Das sollten die UN nutzen.“ Die Huthis könnten es sich nicht erlauben, die UN zu verprellen.

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