Direkte Demokratie: Das Wählen soll nicht zu einfach sein

In Brandenburg wird das Mitregieren ein bisschen leichter: 16-Jährige dürfen bei Volksbegehren abstimmen, die Sammelzeit für Unterschriften wird verlängert. Doch das Grundproblem bleibt, klagen Kritiker: Zum Unterschreiben muss man weiter aufs Amt.

Brandenburger sehen Wahllokale nur bei Wahlen von innen - Volksentscheide von unten gab es bislang nicht. Bild: dapd, Patrick Sinkel

Der einzige erfolgreiche Volksentscheid in Brandenburg liegt eine halbe Ewigkeit zurück. Und er war sozusagen von oben verordnet. 1992 sollten die BrandenburgerInnen über ihre erste demokratische Verfassung abstimmen. Sie wurde angenommen und wurde anschließend als besonders bürgerfreundlich gefeiert. Nun hat das Land, 20 Jahre später, seine Verfassung geändert mit "deutlichen Erleichterungen für die Bürger", wie es aus der SPD-geführten Regierung heißt. So richtig feiern will das außer der SPD aber niemand. Denn Brandenburg bleibt auch nach den Neuerungen Schlusslicht unter den ostdeutschen Ländern in Sachen direkte Demokratie.

Seit 1992 gab es keinen weiteren Volksentscheid. Bereits alle sieben Volksbegehren - als Vorstufe zu einem Entscheid - scheiterten. Und das liege nicht etwa an einer Politikmüdigkeit und dem mangelnden Willen zur Mitbestimmung, die man den Menschen rundum Berlin gern zuschreibt, sagt Michael Efler vom Verein Mehr Demokratie e. V. In keinem Bundesland liefen mehr Volksinitiativen. Es gebe auch kaum eine Phase, in der in Brandenburg nicht aufgerufen wird, für oder gegen etwas abzustimmen. Insgesamt mehr als 20 Volksinitiativen waren seit 1993 erfolgreich, den Weg zum Volksbegehren sind die wenigsten Interessengruppen gegangen.

Derzeit sind gerade wieder zwei Initiativen erfolgreich abgeschlossen. Weitaus mehr als die nötigen 20.000 Unterschriften haben die Initiatoren jeweils sammeln können: für ein Nachtflugverbot und gegen die Kürzungen der rot-roten Regierung bei den Freien Schulen. Im brandenburgischen Landtag wurden die beiden Anliegen im Dezember vorgebracht, diskutiert und wie erwartet abgeschmettert. Nun steht der nächste Schritt an: Im Januar wird aller Voraussicht nach zu Volksbegehren aufgerufen.

Doch die Hürde für ein Volksbegehren ist in Brandenburg hoch: Anders als in Berlin und anderen ostdeutschen Ländern, wo für ein Anliegen Bürger auf der Straße, in der sogenannten freien Sammlung, ihre Stimme abgeben dürfen, müssen die Märker bei einem Volksbegehren zum Amt. Sie müssen zu ihrer Einwohnermeldestelle anreisen - in einem weitläufigen Flächenland oft kilometerweit vom Wohnort entfernt und selten geöffnet - und sich eintragen lassen. Nicht eins der sieben Volksbegehren - vom Kampf gegen neue Tagebaue bis zu dem gegen den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin - konnte diese Hürde nehmen und die erforderlichen 80.000 gültigen Stimmen für sich verbuchen. "Der größte Volksbegehrenskiller ist die Amtseintragung", sagt Efler.

Trotzdem könnten sich künftig ein paar mehr BürgerInnen in die Listen eintragen. Mitte Dezember hat der Landtag in Potsdam für eine Verfassungsänderung votiert: Künftig dürfen sich schon 16-Jährige an Wahlen auf Landesebene beteiligen. In Berlin scheiterte ein diesbezüglicher Antrag im Frühjahr. "Wir sind das erste Flächenland, das dies auf Landesebene einführt", freut sich Ralf Holzschuher, Fraktionsvorsitzender der Brandenburger SPD. "Damit zeigen wir, dass wir die Interessen junger Menschen ernst nehmen, und setzen uns für mehr Bürgerbeteiligung ein."

Doch Efler ist unzufrieden mit den Reformen. Denn schließlich vertusche die SPD damit, dass die direkte Demokratie hierzulande kaum einen Schritt weiter vorangekommen ist. Seit drei Jahren kämpft der Verein gegen die Amtseintragung in Brandenburg. Erfolglos. "Es ist ärgerlich, dass Brandenburg als einziges ostdeutsches Land immer noch nicht die freie Wahl einführt", sagt Efler. Denn der Vergleich zu etwa Thüringen oder Sachsen zeige, dass vor allem dies den Erfolg von Volksbegehren verhindere - und nicht etwa ein höheres Quorum, also eine Mindestbeteiligung der Wählerschaft.

Brandenburg

Am Anfang steht die Volksinitiative: Dazu sind 20.000 Stimmen nötig, damit das Anliegen im Parlament, dem Brandenburger Landtag, diskutiert wird. Lehnt der Landtag die Forderung der Volksinitiative ab, können die Initiatoren zum Volksbegehren aufrufen. Dies muss innerhalb einer Frist von vier Wochen geschehen.

Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen 80.000 Stimmen innerhalb von künftig sechs statt bisher vier Monaten gesammelt werden. Statt die freie Sammlung einzuführen, erlaubt die rot-rote Landesregierung, dass Stimmen per "Amtseintragung" erfolgen muss. Neu ist, dass die Stadt oder Gemeinde auch andere öffentliche Einrichtungen dafür bereitstellen kann, etwa Schulen oder Bibliotheken. Als "Bremse" für Volksbegehren gilt auch weiterhin das Haushaltstabu. Demnach werden nur Volksbegehren zugelassen, die sich kaum auf den Landeshaushalt auswirken. Bei erfolgreichem Volksbegehren muss der Landtag den Gesetzentwurf, Antrag oder die Vorlage innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe des Ergebnisses behandeln.

Wird das Begehren vom Landtag abgelehnt, kommt es zur dritten Stufe der Volksgesetzgebung, dem Volksentscheid. Dieser ist dann erfolgreich, wenn zum einen mehr als 500.000 Menschen an dem Entscheid teilgenommen haben, ein Viertel der Stimmberechtigten. Zum anderen muss die Mehrheit der Stimmen für den Gesetzentwurf stimmen.

Dem Verein Mehr Demokratie zufolge kann sich Berlin der bundesweit besten Regelungen für Volksbegehren und Volksentscheide rühmen. Auch in Berlin ist das Verfahren dreistufig: einem erfolgreichen Antrag auf Volksbegehren, auch Zulassungsantrag genannt, bei dem 20.000 Stimmen nötig sind, folgt das Volksbegehren selbst: Das Begehren ist zustande gekommen, wenn es sieben Prozent der rund 2,5 Millionen Wahlberechtigten, also 175.000 BerlinerInnen, unterstützen. Ihre Unterschriften können sie sowohl auf dem Amt als auch frei auf der Straße abgeben.

Übernimmt das Berliner Abgeordentenhaus die Forderung des Volksbegehrens nicht, kann zum Volksentscheid aufgerufen werden. Das Parlament kann einen Alternativvorschlag zur Abstimmung stellen. Wie in Brandenburg müssen mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten teilnehmen, das sind in Berlin 616.572 Personen. Die Mehrheit muss für die Vorlage stimmen.

Zwar können Stimmen künftig innerhalb von sechs statt bisher vier Monaten gesammelt werden. Und immerhin dürfen die BürgerInnen künftig auch per Briefwahl abstimmen. Aber in Zeiten, wo die Piratenpartei Abstimmungen per Internet fordert, wirkt diese Erleichterung wie aus dem letzten Jahrhundert stammend. "Der Fortschritt kommt als Schnecke daher", sagt daher Ursula Nonnemacher von den Grünen. Die Innenpolitikerin und Wahlkreisabgeordnete von Falkensee spricht von Zentimeterverbesserung in Sachen direkte Demokratie.

Der Koalitionspartner der SPD, die Linke, hatte für die Einführung der freien Sammlung plädiert, auch innerhalb der SPD wurde darum lange gerungen. Teile der SPD wollten dafür das Quorum heraufsetzen, doch das sei den Bürgern schwer zu vermitteln gewesen, heißt es. Bei der Mindeststimmzahl von nur 4 Prozent der Wahlberechtigten, den 80.000 Stimmen, soll es bleiben. "Wir können aber nicht bundesweit das niedrigste Quorum haben und gleichzeitig die Zulassungsbeschränkungen abschaffen. Wir brauchen ein Mindestmaß an Legitimität", verteidigt der Fraktionsvorsitzende Ralf Holzschuher die Linie der SPD. Mit anderen Worten: Wenn auch noch die freie Sammlung eingeführt werden würde, dann könnte ja jeder mitregieren.

Holzschuher sieht die Gefahr vor allem bei Lobbyverbänden mit großen logistischen Möglichkeiten, wie etwa im Fall des Berliner Volksentscheids, als es um den Erhalt des Flughafens in Tempelhof ging. "Es kann nicht Sinn eines Volksbegehrens sein, dass einzelne, finanziell gut ausgestattete Interessengruppen bevorteilt werden", sagt er. Was er nicht sagt: dass der Tempelhof-Volksentscheid damals am Quorum scheiterte.

"Die Bürger wünschen, sich in Einzelfragen artikulieren zu können und zu entscheiden", hält Nonnemacher dagegen. Sie spüre ein grundsätzliches Misstrauen der SPD gegen die Bürger und eine Skepsis, ob das Volk denn überhaupt zu politischen Entscheidungen fähig sei. Dies führt sie darauf zurück, dass die SPD ununterbrochen seit mehr als 20 Jahren an der Macht ist, ob allein regierend oder in Koalition mit CDU oder Linke. Seit 1990 stellen die Sozialdemokraten den Ministerpräsidenten und vereinen stets mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen auf sich. "Die SPD ist immer dabei", sagt die Grünen-Politikerin Nonnemacher in Anlehnung an alte DDR-Gesänge bissig. "Paternalistisches Denken" wirft sie der Partei vor. Es herrsche bei der SPD die Vorstellung, dass es direkte Demokratie in Brandenburg nicht brauche, schließlich werde ja gut regiert. Auch Demokratieexperte Efler bescheinigt der SPD, dass sie nur wenig darin geübt sei, Macht abzugeben - daher käme "dieses Herummogeln um die direkte Demokratie".

Holzschuher versteht die Aufregung um die freie Sammlung gar nicht: "Es ist auch ein Erfolg vieler Volksinitiativen, dass ihre Anliegen im Parlament diskutiert werden", sagt er. Und schließlich sei gar nicht alles abgelehnt worden. Das Anliegen etwa nach Förderung der Musikschulen sei im Musikschulgesetz vom Land aufgenommen und bei einer weiteren Initiative, der Forderung nach einem Sozialticket für ganz Brandenburg, sei sogar eine bessere Lösung gefunden worden, als die Initiatoren formuliert hatten. Und überhaupt: "Wenn ein Volksbegehren an den nötigen 80.000 Stimmen scheitert, sagt er, "dann liegt es vielleicht auch daran, dass das Thema nicht interessiert oder das Anliegen nicht mehrheitsfähig ist."

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, was die Verfassungsänderungen bringen und ob es wirklich bisher am Thema lag. Für die beiden anstehenden Volksbegehren in Brandenburg sollen die neuen Regelungen bereits gelten.

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