Bundestagswahl 2013: Grüner Sommerpoker

Macht er weiter oder nicht? Christian Ströbele will in den Großen Ferien entscheiden, ob er 2013 nochmal antritt

Christian Ströbele Bild: dapd

Er ist der einzige direkt gewählte grüne Bundestagsabgeordnete. Zehn Jahre währt das nun schon. Ob das für Hans-Christian Ströbele aber auch nach der Wahl 2013 so bleibt, ist offen. Zum einen, weil sich die Grünen auch im Bundestagswahlkreis Mitte Chancen auf das Direktmandat ausrechnen, zum anderen, weil sich der 73-jährige Ströbele noch gar nicht festgelegt hat, ob er nochmals antritt. Tut er es nicht, könnte der Kreuzberger Landesparlamentarier Dirk Behrendt sein Nachfolger werden.

„Ich werde mich im Sommer entscheiden“, sagte Ströbele jüngst der taz. Er sei noch wankelmütig – „an einem Tag denke ich: Du machst weiter, am nächsten: Du hörst auf.“ 2002 hatte Ströbele – der zuvor über die Landesliste der Grünen im Bundestag saß – den Wahlkreis 84 Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost gewonnen, mit knappem Vorsprung vor einem SPD-Bewerber. Vorangegangen war ein außergewöhnlicher Wahlkampf mit eigenem Programm und eigenem Wahlplakat, gestaltet vom Comic-Zeichner Gerhard Seyfried. Auf der Landesliste der Grünen hatte Ströbele zuvor keinen aussichtsreichen Platz erhalten.

Diesen Erfolg wiederholte er bei der Bundestagswahl 2005 – aber nicht länger mit knappem Vorsprung, sondern mit 43,5 Prozent der Erststimmen. 2009 wurden daraus sogar fast 47 Prozent. Das waren so viele Stimmen, wie die Kandidaten von SPD, Linke und CDU zusammen erhielten.

Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg sähen ihn gern weiter im Bundestag. „Hans-Christian ist mein Wunschkandidat“, sagt der Pressesprecher ihrer Kreisspitze, Werner Heck. „Jeder neue Kandidat müsste große Fußstapfen füllen.“ Für zu alt hält er Ströbele auch mit 73 nicht: „Wenn wir mit dem Fahrrad fahren, ist er fitter als ich“, sagt der um Jahrzehnte jüngere Heck. Im Bundestag sind von den 620 Mitgliedern nur vier älter als Ströbele, je eines bei CDU, SPD, FDP und Linkspartei.

Nahe liegender Kandidat für die besagten großen Fußstapfen wäre Dirk Behrendt, derzeit rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus und führender Kopf des linken Parteiflügels. Er holte bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 im Kreuzberger Wahlkreis 2 ein noch besseres Ergebnis als Ströbele: Mit 49,8 Prozent stimmte jeder zweite Wähler für ihn.

Zu hören war jüngst auch, der Landesvorsitzende Daniel Wesener, langjähriger Mitarbeiter Ströbeles, interessiere sich für eine Kandidatur. „Das ist definitiv falsch“, sagte Wesener der taz. Er habe als Landesvorsitzender bereits einen tollen Job. Der Bildungspolitiker und Landesparlamentarier Özcan Mutlu, lange in Kreuzberg und nun in Mitte zu Hause, hatte bereits 2009 Ambitionen auf ein Bundestagsmandat. Für den Ströbele-Wahlkreis gilt er aber als chancenlos, seit er seinen Kreuzberger Abgeordnetenhauswahlkreis 2011 bereits in der parteiinternen Vorentscheidung verlor. Mutlu mochte sich dazu nicht äußern.

Behrendt schloss Interesse nicht aus. „Ich bestätige nichts und ich dementiere nichts“, sagte er der taz. Falls Ströbele nicht wieder antritt, kann sich Behrendt nach so langer Zeit mit männlichen grünen Direktkandidaten indes auch eine Frau vorstellen. Namen nannte er nicht.

Klärt sich bis zum Herbst, dass Behrendt auf Ströbele folgt, hätte das große Auswirkungen auf die grüne Abgeordnetenhausfraktion. Die will im Oktober zu einer Doppelspitze zurückkehren. Derzeit führt Ramona Pop, Exponentin des Realo-Flügels, die Fraktion nach dem Rücktritt ihres langjährigen Kovorsitzenden Volker Ratzmann Ende 2011 allein. Ratzmann gab im Februar auch sein Abgeordnetenmandat auf. An Pops Seite wird absehbar ein Vertreter des linken Flügels treten – die Forderung dieses Lagers nach einem der beiden Spitzenposten hatte den tiefen Streit im vergangenen Herbst ausgelöst.

Das aber führt zu einem Dilemma. Normalerweise müsste Behrendt als führender Kopf der Linken Kofraktionschef werden. Er ist aber für viele Realos eine zu polarisierende Figur. Das gilt weiterhin – auch nachdem Behrendt beim Parteitag im Januar bei seinen Gegnern öffentlich Abbitte leistete. „Ich möchte mich entschuldigen bei denen, denen ich Wunden geschlagen habe“, sagte Behrendt damals. Ein Fraktionskollege hatte ihm zwei Monate zuvor vorgeworfen, einen „Vernichtungsfeldzug“ zu führen. So wie der frühere Fraktionschef Ratzmann aber ein rotes Tuch für die Parteilinken war, so bleibt es Behrend trotz seiner Entschuldigung für zahlreiche Realos.

Wird deshalb ein anderer Linker Fraktionschef, hätte der zwangsläufig ein Akzeptanzproblem. Denn auch Behrendts Gegner gestehen ihm zu, er sei ein brillanter Kopf und herausragender Redner – er nutze das bloß nicht, um zu integrieren. Er wäre zwangsläufig weiter die eigentliche Führungsfigur der Linken, egal wer an Pops Seite rückt. Wechselt Behrendt jedoch in den Bundestag, wäre nach Ratzmanns Rückzug die zweite polarisierende Figur aus der Fraktion raus und das Konfliktpotenzial verringert.

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