Unsere Autoren resümieren: Wang Xiaoshan: Die Buchmesse der zwei China

Bringt ein Austausch wie auf der Buchmesse den Fortschritt schneller voran? Der offiziellen chinesischen Delegation ging es vor allem darum, täglich Jubelmeldungen nach Hause zu kabeln.

Roter Riese: In den Landesfarben eingefärbt erscheinen Deutschland und China am Stand eines Verlages auf der Buchmesse. Bild: dpa

Nachmittag des 17.Oktober, eine Veranstaltung im Rahmen des chinesischen Gastlandauftritts: Ein deutscher Leser fragt den Schriftsteller Wang Meng, warum China seine Schrift nicht reformiert. Er habe gehört, es gebe mehrere hunderttausend Schriftzeichen, das müsse doch die Eingabe in die Computertastatur ungeheuer erschweren. Und Nordkorea und die Türkei beispielsweise hätten ihre Schrift ja auch reformiert.

Wang Mengs Antwort war wundervoll und auf den Punkt, das Publikum spendete Applaus und lachte. Das sind so Fragen nach dem Geschmack der amtlichen chinesischen Delegation: Sie tun nicht weh.

Eine Pressekonferenz am gleichen Vormittag war für dieselbe Klientel gar nicht entspannt verlaufen. Ein Korrespondent berichtete, er habe den Eindruck gewonnen, es gebe zwei China auf dieser Buchmesse, ein aus China angereistes und das der chinesischen Exilautoren. Beide nähmen einander überhaupt nicht wahr. Warum die offiziellen Organisatoren keine gemeinsame Veranstaltung für ihre und die Exilautoren ansetze?

Die Antwort des Pressesprechers: Alle Menschen sind frei, man könne niemanden zwingen, jemanden anderen zu treffen. Der Journalist hakt nach: Sie haben gestern eine ganze Reihe von Veranstaltungen abgesagt und Autoren verboten, Interviews zu geben. Darauf die Erwiderung des Pressesprechers: Erstens wisse er nicht, von welchen Veranstaltungen, die abgesagt worden seien, der Journalist rede, er wisse also auch nicht, ob das so stimme, zweitens werde er nach Abschluss seiner Recherchen, falls zutreffend, definitiv die tatsächlichen Gründe für die Absagen nennen. Nach dem türkischen Journalisten durften Korrespondenten der Nachrichtenagentur Xinhua, der China Dayli und der China News Agency ihre Fragen stellen. Überflüssigerweise, denn ihre Fragen waren wie die an Wang Meng: unschädlich.

Die chinesische Delegation trägt das Banner des Austauschs vor sich her, verwehrt sich ihm aber nur allzu oft. Außerdem hatte der Sprecher quasi vollmundig gelogen: Kein Mensch glaubt ihm, dass er die Gründe für die Absagen nicht kennt. Aber er nennt sie eben nicht, als müsse er fürchten, die Worte blieben ihm im Halse stecken.

Und die amtlichen chinesischen Autoren? Sie üben sich im Schattenboxen, reden um den heißen Brei herum. Konfrontiert man sie mit Problemen, weichen sie aus oder schweifen ab, ganz so, wie eine deutsche Zeitung trefflichst titelte: Keiner fragte nach Liu Xiaobo. Tatsächlich gab es Fragen nach Liu Xiaobo, aber laut gestellt wurden sie fast ausschließlich von Leuten, die nicht in China leben. Diejenigen, die sie in China stellen, sitzen im Gefängnis oder stehen unter Polizeiaufsicht.

Gerade habe ich erfahren, dass vorgestern Ai Xiaobo, Professorin an der Sun Yatsen Universität in Kanton, eine mutige und der Regierung unliebsame Intellektuelle, von der Geheimpolizei gewaltsam von Shenzhen nach Kanton verbracht und unter Hausarrest gestellt worden ist. Bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Es sind wirklich zwei China, zwei Sorten von Autoren, zwei Sorten von Intellektuellen. Wobei ich ernsthaft zweifle, ob man die Vertreter der ersten Gattung, die das Lied der Regierung singen, überhaupt noch als Intellektuelle bezeichnen kann. Es waren also zwei China gleichzeitig präsent auf der Frankfurter Buchmesse, jedes hat sein Ding gemacht, man ist sich nicht einmal begegnet. Lediglich auf einer Pressekonferenz der offiziellen Delegation tauchten ein paar Leute mit Free Tibet Bannern auf, aber die waren blond und blauäugig.

In meinem ersten Artikel habe ich geschrieben, Austausch ist gut, er kann den Fortschritt schneller voranbringen. Aber in den letzten Tagen wurde mir klar, dass es der offiziellen chinesischen Delegation einzig darum ging, täglich Jubelmeldungen nach Hause zu kabeln, wie herzlich sie aufgrund ihres guten Auftritts hier in Deutschland aufgenommen worden sei. Um substantiellen Austausch ging es ihr jedenfalls nicht. Und diese Veranstaltungen hätte man statt in Fa lan ke fu (chinesische Entsprechung für Frankfurt, A.d.Ü.) auch in Lan zhou oder Fu zhou (chinesische Provinzhauptstädte) abhalten können. Das hätte keinen großen Unterschied gemacht.

Die Buchmesse ist bald zu Ende, und damit auch unser Projekt. Was ich unbedingt noch loswerden möchte: Die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen im Taz-Team hat sehr viel Spaß gemacht. Jedesmal, wenn es Probleme gab, wurde klar und deutlich ausgesprochen, womit man unzufrieden ist, um anschließend gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Nicht sie vertuschen, sondern sie zu benennen, ist die Grundlage für die Lösung von Problemen. In dieser Hinsicht haben wir den Offiziellen einiges voraus!

Aus dem Chinesischen von Petra Mann.

WANG XIAOSHAN, geb. 1967, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt für die chinesische Ausgabe des amerikanischen Sportmagazins Sports Illustrated. Bis 2006 war er bei der Neuen Pekinger Zeitung als Feuilletonchef tätig.

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