Montagsinterview Mit Tacheles-Künstler: "Das Tacheles ist eine Utopie"

330.000 Euro wurden ihm geboten, damit er seine Metallwerkstatt im Tacheles verlässt. Doch Hüseyin Arda will um keinen Preis aufgeben.

Hüseyin Arda in seiner Metallwerkstatt im Tacheles Bild: Detlev Schilke

taz: Herr Arda, ganz schön trostlos hier auf dem Hinterhof. Patrouillierende Sicherheitsmänner, eine Mauer versperrt die Toreinfahrt, von Baggern plattgewalzte Steppe, wo früher Künstlerhütten standen …

Hüseyin Arda: Toll, nicht?! Das Kapital zeigt seine Zähne! Man versucht, uns zu bedrohen und zu drangsalieren. Nachdem man auf dem Rechtsweg nicht gegen uns angekommen ist, wird jetzt mit halblegalen Aktionen versucht, das Tacheles zu eliminieren und die Leute zu vertreiben. Sie haben uns Wasser und Strom abgestellt, jeden Tag gibt es Ärger mit den Securities.

Und die letzten Buden, inklusive Ihrer Metallwerkstatt, wurden von der Sicherheitsfirma mit einem Zaun umstellt.

Den Zaun finde ich gar nicht mal schlecht. Er ist ja auch ein Eingeständnis unserer Gegner: Bis hierhin erstreckt sich ihr Eigentum, dahinter haben sie nichts zu suchen.

Seit April haben sich mehrere Nutzer aus dem Haus kaufen lassen, allein die Gastronomie-Leute um das Café Zapata haben eine Million Euro erhalten. Wie viel hat man Ihnen geboten?

Zuerst 100.000 Euro, am Ende warens 330.000 Euro. Für mich war das von Anfang an ein unmoralisches Angebot. Ich hab dem Anwalt und seinen Bodyguards gesagt, sie sollen verschwinden.

Arda wird im Juni 1969 in Eskisehir/Türkei geboren. Er beginnt ein Medizinstudium in Ankara, zieht 1989 nach Westberlin zu seiner späteren Frau. Schon wenig später gibt er sein Studium auf, schließt sich für einige Monate in Japan einem Tanztheater an. Kurz nach der Besetzung des Tacheles im Februar 1990 stößt Arda mit seiner Theatergruppe dazu - und bleibt. 1992 eröffnet er seine Metallwerkstatt im Erdgeschoss.

2003 überwirft sich Hüseyin Arda mit Tacheles-Vorstand Martin Reiter, wird 2006 aus dem Haus geschmissen. Arda baut seine Metallwerkstatt im Hinterhof wieder auf. Bekannt wird er durch seine Installation "Wörter für Berlin": in der Stadt verteilte Botschaften, geformt aus Wortskulpturen.

Der Kreuzberger und Vater eines 19-jährigen Sohnes arbeitet momentan an einer Ausstellung, die im September in Istanbul eröffnet wird ("Kelime Kelime Istanbul"). Er ist Gastdozent für zeitgenössische Kunst an der Technischen Universität Istanbul.

Das Kunsthaus sowie weitere Grundstücke an der Oranienburger Straße sollen zwangsversteigert werden. Größter Gläubiger ist die HSH Nordbank.

Mal ehrlich: Haben Sie nie geschwankt, das viele Geld abzulehnen?

Wenn ich im rein privaten Interesse hier wäre, müsste ich dumm sein, das Geld nicht anzunehmen. Wir stehen hier aber für ein öffentliches Interesse, weil wir einen künstlerischen Freiraum erhalten wollen. Ein Gesamtkunstwerk, das so sonst nirgendwo auf der Welt existiert und dessen Atmosphäre man nicht einfach wieder herstellen könnte. Ich werde für kein Geld der Welt gehen! Ich machs nicht. Wenn ich die Werkstatt hier verkaufen würde, empfände ich das als korrupt. Ich würde mich schämen.

Andere Ihrer Kollegen haben das Geld genommen.

Im Grunde hätten sie es nicht gedurft. Denn das Tacheles ist ein öffentlicher Ort, der allen gehört, nicht Einzelnen. Aber die Kanzlei hat die Leute einzeln angesprochen und gegeneinander ausgespielt. Sie wurden erpresst und in ihrer Not ausgenutzt. Man darf ja nicht vergessen: Nicht alle, aber der überwiegende Teil der Künstler hier ist ziemlich arm. Ich will die Leute nicht verurteilen. Und ich weiß, dass keiner, der gegangen ist, wirklich glücklich geworden ist mit seiner Entscheidung. Es ist, meine Meinung, einfach illegal und menschenverachtend, wie mit ihnen umgegangen wurde.

Wer steckt hinter den Geldzahlungen?

Darüber kann ich nur spekulieren. Der Anwalt hat nie gesagt, wen er hier eigentlich vertritt. Aber egal, ob die HSH Nordbank oder irgendein Investor - es ist jemand, dem Kunst und diese Stadt scheißegal sind. Denen gehts nur um neoliberale Profite, die wollen eine seelenlose Stadt. Sie haben null Respekt vor der Arbeit des Tacheles.

Warum sind Sie standhafter als Ihre Kollegen?

Was wäre eine Gesellschaft ohne Idealisten? (lacht) Man muss Utopien auch leben, dafür kämpfen. Es gibt halt keinen, der das für einen macht. Vielleicht sinds auch emotionale Gründe. Ich liebe das Tacheles. Einfach ein wunderschöner Ort, immer wieder faszinierend. Und es wäre doch ziemlich undankbar, jahrelang hier alles mitzunehmen, einen auf netten Besetzer zu machen und dann, wenns ein bisschen eng wird, die Kohle zu nehmen und abzuhauen, oder? Ich finde, es sagt viel, dass man sich für so eine Haltung verteidigen muss.

Die Politik scheint das Tacheles schon aufgegeben zu haben. Wie lebt es sich in einem öffentlich bereits beerdigten Projekt?

Beerdigt? Das wollen wir erst mal sehen. Das Tacheles ist seit 20 Jahren bedroht, sollte schon ein Dutzend Mal geräumt werden. Und ist immer noch da. Ich bin immer noch sehr optimistisch.

Trotzdem: Erstmals seit Jahren sind Teile des Tacheles geräumt - fast ohne Gegenprotest. Fühlen Sie sich allein gelassen?

(kurzes Schweigen) Manchmal ist das in der Tat so. Wenn selbst Freunde kommen, gute Freunde, und sagen, was machst du denn eigentlich noch hier? Such dir doch ein anderes Atelier! Dann denkst du, okay, irgendwie scheinen wir falsch zu kommunizieren. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass wir für sie hier stehen, für eine lebenswerte Stadt. Wenn das nicht gelingt, macht der ganze Kampf keinen Sinn.

Warum gehen die Leute nicht fürs Tacheles auf die Straße?

Wir hatten ja eine Demonstration mit 500 Menschen.

In einer 3,5-Millionen-Einwohner-Stadt.

Ich weiß auch nicht. Zum einen gibt es ja Bürgerprotest - in der Kastanienallee oder beim Wasservolksbegehren. Aber beim Thema Stadtpolitik scheinen die Menschen erstaunlich depolitisiert. Ich habe schon das Gefühl, dass die Berliner das Tacheles behalten wollen. Wir kriegen ja viel positives Feedback. Aber dafür kämpfen? Da herrscht eher die Einstellung: Ach, die machen das schon, das wird schon nicht geräumt.

Wie wollen Sie die Bürger auf Ihre Seite ziehen?

Wir müssen alle mobilisieren: die Öffentlichkeit, Politiker, NGOs. Es muss klar werden, dass jeder Einzelne diese Stadt mitzugestalten hat. Ich hoffe ja, dass sich demnächst wieder eine sachlichere Debatte übers Tacheles entwickelt. Noch läuft da eine riesige Diskreditierungskampagne gegen uns: "Das sind nur noch Spinner. Das Tacheles ist nicht mehr das, was es mal war." Natürlich nicht! Auch das Tacheles entwickelt sich weiter, ist doch schön.

Die Kritik lautet eher: Der Touri-Kommerz steht im Tacheles längst im Vordergrund.

Es ist wirklich interessant, dass die bestbesuchte Ausstellung der Stadt stigmatisiert wird, weil die Menschen, die hierherkommen, Touristen sind, mit denen man offenbar nichts zu tun haben will. Eine tolle, kosmopolitische Stadt ist das! Und womit wird denn hier Kommerz gemacht? Es gibt keinen Eintritt. Und die paar Schmuckverkäufer und Barleute? Das gehört doch zu alternativer Kultur dazu! Der hochangesehene Künstler und der Penner an einem Ort - ist doch faszinierend.

Haben künstlerisch nicht andere Institutionen längst dem Tacheles den Rang abgelaufen?

Wer denn? Based in Berlin? Kein Hahn kräht danach, sorry. Das ist eine künstlich inszenierte Geschichte. So läuft Kunst nicht. Man kann Kreativität nicht erzwingen. Aber man kann dafür eine bestmögliche Atmosphäre schaffen, so wie hier im Tacheles.

Welcher Künstler, welches Werk aus dem Tacheles hat zuletzt wirklich Akzente gesetzt?

Wenn ein junger Künstler nach Berlin kommt, kommt er zuerst ins Tacheles. Im Sommer sind wir hier über 100 Künstler, allein bei uns auf dem Hinterhof sind wir 23. Das transportiert sich auch nach außen. Wir haben Projekte und Kunstwerke in der Türkei, in Italien, in Frankreich. Jedes Jahr kommen eine halbe Million Besucher hierher, Minimum. Ich weiß nicht, welche Ausstellung das schafft. Was sollen wir noch mehr machen?

Kommen die Leute wirklich wegen der Kunst oder eher wegen der Atmosphäre?

Das lässt sich ja nicht voneinander trennen. Ich war vor Kurzem in einer Galerie in der Friedrichstraße, drinnen Warhol und was weiß ich. Die Menschen trauen sich in so was gar nicht rein! Die gucken kurz durch die Tür und sind dann wieder weg. Im Tacheles wird Kunst fürs Volk gemacht. Nicht elitär, sondern für alle erfahrbar.

Trotzdem ist das Tacheles in Berlin nicht unumstritten. Würde es heute besser dastehen, wenn die Künstler nicht notorisch zerstritten wären?

Ich fürchte ja. Es ist unser Schwachpunkt, dass wir nicht mehr wie am Anfang eine geschlossene Gruppe haben, sondern ein Künstlerkollektiv aus Individualisten, die es im Moment nicht schaffen, sich neu zu organisieren. Es muss unser Ziel sein, wieder eine gemeinsame Sprache zu finden.

Wie kommt ein Mediziner wie Sie eigentlich zur Kunst?

Ich war ja nur Medizinstudent, in der Türkei, und wollte 1989 mein Studium in Berlin fortsetzen. Aber dann, die Liebe! (lacht) Die Mutter meines Sohnes ist Tänzerin. Wir haben in Westberlin gelebt und schon nach wenigen Monaten war mir klar, dass ich nicht einfach weiterstudieren will, sondern zur Kunst muss. Dafür waren diese Stadt und diese Frau einfach zu inspirierend! Wir sind nach Japan, ich habe dort Tanz studiert, Butoh. Dann fiel die Mauer und wir sind zurück, um diese Zeit nicht zu verpassen.

Und im Februar 1990 wurde das Tacheles besetzt?

Bei der Besetzung selbst war ich noch nicht dabei. Aber im Mai wurden wir mit unserer Tanzgruppe in den Theatersaal des Tacheles eingeladen. Da haben wir gesehen, dass das auch ein wunderschöner Ort zum Proben wäre, und sind geblieben. Und als im Café Zapata Interieur benötigt wurde, habe ich angefangen mit Metall zu experimentieren.

Warum weiß die Politik das Tacheles nicht zu schätzen?

Ich glaube, dass sie sich gar nicht richtig mit dem Tacheles und der Idee dahinter beschäftigt haben. Die denken, schmeiß die Spinner raus, dann machen wir schön unsere institutionalisierten Galerien und unser Atelierförderprogramm. Ein Tacheles-Plagiat. Aber das wäre zum Scheitern verurteilt. Weil es mit der Freiheit, die unsere Gäste bewundern, nichts mehr zu tun hat.

Was wäre Ihr Gegenvorschlag?

Die Politik darf nicht weiter weggucken und diese Stadt von Investoren überrennen lassen. Das Tacheles ist ja kein Einzelfall. Wir sind in einer Zeit angekommen, in der sich die Menschen gegen die Übernahme ihrer Stadt wehren und organisieren müssen. Wenn wir unsere Stadt nicht wahrnehmen, dann werden es die Kapitalisten tun. Es kann doch nicht sein, dass obwohl das Tacheles-Grundstück noch nicht verkauft ist, hier alles für ein fiktives Spekulationsvorhaben schon mal plattgemacht werden soll. Schon 1998 sollte hier gebaut werden, 2005 wollten sie fertig sein. Nichts ist passiert, außer den Künstlern hat hier niemand investiert. Und weiß man denn, wer heute hier was bauen will? Ich habe noch kein Konzept gesehen.

Die HSH Nordbank sagt: Sind die Künstler geräumt, finden sich die Kaufinteressenten.

Pfff. Schöne, neoliberale Träume. Die Menschen aus ihrer Stadt vertreiben, Traditionen zerstören. Darum gehts. Was ist, wenn verkauft wird und hier wieder zehn Jahre nichts passiert?

Das Gelände ist das letzte unbebaute Filetstück in der Gegend.

Das war es 1998 auch schon. Inzwischen fordert selbst der Bund der Steuerzahler, den damaligen Verkauf rückabzuwickeln.

Bald ist Wahl: Auf wen hoffen Sie bei der Tacheles-Rettung?

Momentan sehe ich niemanden, der offensiv für uns eintritt. Aber wer die Weltoffenheit dieser Stadt preist, sollte auch die Institutionen unterstützen, die für diese Weltoffenheit stehen.

Glauben Sie wirklich, dass es noch mal eine große Rettungskampagne fürs Tacheles gibt?

Heute scheint das vielleicht utopisch. Aber das Tacheles ist schon immer eine Utopie.

Sie arbeiten seit 21 Jahren auf dem Gelände. Haben Sie eigentlich Angst, dass Ihr Lebenswerk scheitert?

Lebenswerk? Doch, das ist hier ein Lebenswerk. Sehr große Teile meines künstlerischen Schaffens wurden hier ermöglicht, ich bin ein Kind des Tacheles. Aber ich mache das Haus nicht von meiner Person abhängig. Das Tacheles sollte auch ohne mich funktionieren, sonst wäre es kein Freiraum.

Wo würden Sie Kunst machen, wenn es das Tacheles nicht mehr gäbe?

Als Künstler bin ich nicht an einen Ort gebunden. Du kannst überall Kunst machen, und sei dein Atelier nur dein Koffer. Ich pendele ja heute schon zwischen Berlin und Istanbul, habe dort ein Atelier und eine Dozentenstelle an der Uni. Aber ich würde mir auf jeden Fall wieder ein Atelier in Berlin suchen. Ich liebe diese Stadt, ich habe meinen Sohn und meinen Lebensmittelpunkt hier. Aber über so was mache ich mir gerade keine Gedanken, weil ich mich lieber auf das Jetzt konzentrieren möchte.

Könnte heute nicht ein anderer Ort die Tacheles-Idee viel mehr widerspiegeln?

Unsere Kunst könnten wir natürlich auch überall sonst machen. Darum gehts nicht. Es geht nicht um unser kleines, privates Atelier, sondern um den Erhalt der Idee von wirklich freier Kunst, an diesem Standort. Mein Sohn ist 19 Jahre, ich finde, auch seine Generation hat es verdient, einen Freiraum wie diesen zu erleben. Aktuell gibt es eine Anfrage aus Paris, von einem Filmproduzenten (Pierre Ange Le Pogam), der im Sechsten Arrondissement eine Art Tacheles aufbauen möchte. Sehen Sie, anderswo versucht man die Tacheles-Idee zu kopieren, in Berlin versucht man sie plattzumachen. Das ist absurd!

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