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Abschiebungen nach AfghanistanPurer Zynismus

Kommentar von

Martin Sökefeld

Mit Geld will das Innenministerium Afghaninnen und Afghanen zur Heimreise locken. Dobrindt macht mit seinen Drohungen die Erpressung perfekt.

Mit allen Mitteln will Innenminister Alexander Dobrindt die Menschen nach Afghanistan zurückbringen Foto: Michael Kappeler/dpa

E twa 165 Afghan*innen, denen die Ampelregierung eine sichere Zukunft in Deutschland versprochen hat, weil sie als Ak­ti­vis­t*in­nen oder queere Menschen unter dem Taliban-Regime massiv gefährdet waren, haben gerade Post von der GIZ bekommen. Darin bietet ihnen das Bundesinnenministerium Geld an, wenn Sie das Aufnahmeprogramm verlassen. Unterlegt ist dieses „Angebot“ mit der Drohung, dass Ende des Jahres die Aufnahme sowieso beendet wird und dass bis dahin nicht alle Fälle abschließend bearbeitet, also nach Deutschland geholt werden können.

Was dann droht, wissen die Betroffenen nur zu gut: Abschiebung durch die pakistanischen Behörden nach Afghanistan. Das ist eine an Zynismus nicht zu überbietende Erpressung. Falls sich einige tatsächlich für das Angebot entscheiden würden, könnte die Bundesregierung sagen: Seht her, haben wir es nicht immer schon gewusst? Die Leute sind unter dem Taliban-Regime gar nicht gefährdet, sie gehen freiwillig zurück! Und gleich erscheint Afghanistan viel sicherer, auch für Abschiebungen aus Deutschland.

Mit der „freiwilligen“ Rückkehr ist das so eine Sache. Sie wird auch abgelehnten Asylbewerbern angeboten, aber sie ist selten freiwillig. Sie ist nur das letzte Mittel, um eine Abschiebung zu vermeiden. In der Migrationsforschung spricht man deswegen auch von „Selbstabschiebung“. Für die Behörden ist diese Selbstabschiebung sehr praktisch, denn sie vermeidet den großen Aufwand einer tatsächlichen Abschiebung. Mit ein paar tausend Euro „Starthilfe“ ist das „Problem“ für die Behörden billig gelöst.

So denkt die Bundesregierung vermutlich auch im Fall der Afghan*innen: Ein bisschen Geld, und das „Problem“ ist gelöst. Mindestens eine Familie, die bereits im August von Pakistan nach Afghanistan abgeschoben wurde, hat eine solche E-Mail auch bekommen. Wie praktisch, da ist nicht mal mehr eine Selbstabschiebung nötig.

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Den Af­gha­n*in­nen bleibt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Humanität spielt unter dieser Bundesregierung keine Rolle mehr.

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6 Kommentare

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  • "Mit ein paar tausend Euro „Starthilfe“ ist das „Problem“ für die Behörden billig gelöst."



    Der durchschnittliche Verdienst in Afghanistan beträgt im Monat um die 25€, das Jahresgehalt wird - je nach Quelle - mit 200 bis 300€ umrissen.



    Die "paar tausend Euro" Starthilfe, es handelt sich dabei um die Summe von 5.000€, plus der möglichen Einmalzahlung von weiteren 1.500€, entspricht also 15 bis 20 Jahresgehältern in Afghanistan.

    • @Saskia Brehn:

      Und Sie glauben echt, dass ihnen das Geld dann in Afghanistan gehört ? Das ist lächerlich, das wird ihnen sofort abgenommen werden. Die Taliban lachen sich kaputt, Die Menschen werden direkt an der Grenze ja den Taliban-Grenzern übergeben.

    • @Saskia Brehn:

      Das ganze schöne Geld nützt mir halt wenig, wenn mich die Taliban ermordert oder eingekerkert haben. Ich glaube, genau dieser widerwärtige Zynismus ist es, um den es im Kommentar auch geht.

  • Man kann gar nicht so viel fressen, wie man... Sie wissen schon.

    Und das Schlimmste ist, wie viele Menschen auch hier im Forum das alles völlig okay finden.

  • Zynismus ist sicher auch dabei, aber getragen wird der Ansatz doch wohl von einer derartigen Menschenfeindlichkeit, wie wir sie in Deutschland, zumindest im Regierungshandeln schon längst überwunden glaubten. Mittlerweile gewinnt man den Eindruck, unter einem AfD Innenminister könne es kaum schlimmer kommen.

    Es scheint keine Woche zu vergehen, in der man sich für Kanzler und Innenminister nicht in Grund und Boden schämen muss. Dobrindt sollte als CSU‘ler an einen Satz von FJS erinnert werden: „Pacta sunt servanda.“

  • Ja, das, was Dobrindt da vorschlägt, reiht sich in den gesamten Regierungs-Zynismus der CDU-SPD-Regierung ein.

    Und dann aber von einer "Brandmauer" zur AfD sprechen. Damit streut man Sand in die Augen der Wähler:innen.

    Fast jeder Gesetzesentwurf und Vorschlag von der CDU deckt sich mit den Vorschlägen und Zielen der AfD.

    In Deutschland haben wir 2 ultrarechte Problemparteien, die sich kaum voneinander unterscheiden und die es zu bekämpfen gilt.