AfD-Jugend „Generation Deutschland“: Wer führt hier wen?
Die am Samstag in Gießen neu gegründete „Generation Deutschland“ wirkt radikalisiert und diszipliniert zugleich. Ein Auftritt wirft Fragen auf.
Der Möchtegern-Führer Björn Höcke ließ es sich nicht nehmen, persönlich zur Gründung der neuen AfD-Jugend nach Gießen zu kommen. Der ideologische Kopf des völkischen Parteimainstreams genoss das Bad in der Menge sichtlich. Die Menge, das waren hier in der Hessenhalle: junge Halbstarke mit Hitlerjugend-Rasiermesserscheiteln und mittelalte Männer in reaktionärem Burschenschaftslook, die in ihren Parteitagsreden sprachen wie lupenreine Rechtsextremisten.
Frauen waren kaum da. Zwischen Ständen von extrem rechten Organisationen mit Identitären-Merch und verfassungsfeindlichen Pamphleten bildete sich eine Traube gleich Frisierter um Höcke – für Selfies und Handshakes. Die Jugendorganisation, die sich jeztt großspurig „Generation Deutschland“ nennt, ist offensichtlich rechtsextrem und stolz darauf.
Und die Jugend ist wichtig für die extrem rechte Mutterpartei: Für extrem rechten Kulturkampf in den sozialen Medien, Straßen-Wahlkampf und als Vehikel, um den Diskurs noch weiter nach rechts zu verschieben. Die Neugründung ist kein Versuch, die Parteijugend zu deradikalisieren, sondern vielmehr sie einzubinden und gleichzeitig zu professionalisieren. Sie soll als Kaderschmiede dienen, um fähiges Personal rekrutieren zu können – was in der AfD rar ist.
Neue Zugriffsmöglichkeit
Auch will die Partei mehr Einfluss auf die Jugendorganisation haben: Die unter anderem wegen Verbotsbefürchtungen aufgelöste Junge Alternative (JA) war ein eigenständiger Verein, auf den der Bundesvorstand disziplinarisch nicht einwirken konnte. Bei der neuen Parteijugend ist das anders – die mit breiter Mehrheit verabschiedete Satzung sieht vor, dass Mitglieder der Jugendorganisation auch AfD-Mitglieder sein müssen. Damit hat die Partei Durchgriffsrechte, etwa falls Mitglieder über die Stränge schlagen sollten.
Die Frage ist nur: Was heißt das in dieser Organisation? Am Samstag sprach der Bundesvorstand einem Vorstand das Vertrauen aus, der sich vielfach verfassungsfeindlich geäußert hat und seine ideologische Nähe zur der rechtsextremen Identitären Bewegung demonstrativ herausstellt. Einer rief gar das Motto der Hitlerjugend zum „Leitstern“ der neuen AfD-Jugend aus: „Jugend muss durch Jugend geführt werden!“
Die neue AfD-Jugend führt sich also selbst, aber sie hat von der Parteiführung den ausdrücklichen Segen dafür: AfD-Chefin Alice Weidel war extra für ein Grußwort angereist. Zwischen vier großen schwarz-rot-goldenen Nationalfahnen opferrollte sie wie gehabt: „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas in Deutschland noch einmal vorkommt – man kennt so etwas aus anderen Regimen, wo gegen Andersdenkende mit Gewalt vorgegangen wird“, sagte sie mit Blick auf die antifaschistischen Proteste. Sie nannte diese „zutiefst undemokratisch“ und plädierte für Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Dass die Grundrechte auch für die Gegenseite gelten, ließ sie dabei aus.
Dann holte sie zum Rundumschlag gegen „die Medien“ aus. Im Fokus: die Öffentlich-Rechtlichen. Bei der Tagesschau habe sie lesen müssen, dass rechtsextreme Netzwerke in Gießen seien – „so'n Quatsch“, spottet Weidel, schaltet in Angriffsmodus und ruft: „Sie sind dadurch mitverantwortlich durch die Aufladung dieses Klimas! Rüsten Sie ab!“ Damit meinte sie selbstverständlich nicht die jährlichen Rekordhöchststände rechter Gewalt und den von der AfD angeführten Rechtsruck. Weidel sagte, sie werde fälschlich als rechts geframed. Es folgten Jubel und böse Blicke zur Presse, die wie immer bei AfD-Veranstaltungen weit hinten sitzen muss und sich nicht frei bewegen darf.
Opferlegenden und Patriotenproteine
Die laut Weidel angeblich nicht anwesenden rechtsextremen Medien waren 30 Meter weiter – im Vorraum der Hessenhalle – postiert. Und zwar mit der Genehmigung des Bundesvorstands. Neben Höcke tummelten sich diverse extrem rechte Organisationen. Der extrem rechte Verleger Götz Kubitschek verkaufte zusammen mit seinem Sohn, Wieland Kubitschek, Aktivist der Identitären Bewegung, Bücher aus seinem Antaios Verlag. Dieser verlegt Revolutionsanleitungen ebenso wie Martin Sellners verfassungswidriges Konzept von „Remigration“, das vorsieht, Deutsche, die den Rechten nicht deutsch genug sind, zu vertreiben.
Antaios war nicht die einzige extrem rechte Organisation vor Ort: Die den Identitären nahe Medienagentur Tannwald-Media hatte einen Stand. Diese generiert mit KI rassistische und deutschtümelnde Memes. Weitere Aussteller verkauften Patrioten-Proteine, Remigrations-Aufkleber oder gleich solche mit Neonazi-Szenecodes wie „1161“ (Anti-Antifaschistische Aktion).
Opferlegenden aber strickt Weidel trotzdem schnell und routiniert. Sie wünschte zum Beispiel allen „gute Genesung“: darunter ein AfD-Abgeordneter, der sich auf der Anreise mit Gegendemonstranten geprügelt hatte. Es handelt sich um den Bundestagsabgeordneten Julian Schmidt, Zeitsoldat der auch im Afghanistan-Einsatz war, selbst austeilte und auch kassierte. Zudem fuhr ein Auto mit Delegierten aus Berlin in eine Rettungsgasse hinter einem Krankenwagen her und fuhr dabei fast Gegendemonstrant*innen um, die zum Dank die Rückscheibe des Autos zerschlugen.
Als wäre das nicht genug, log der bayerische AfD-Landesvorsitzende Stephan Protschka, in dem er behauptete, dass die Linksradikalen ein Polizeipferd getötet hätten. Was die Polizei jedoch umgehend richtig stellte. Das Pferd sei ohne Fremdeinwirkung eine Böschung heruntergefallen. Aber Tier und Reiterin seien wohlauf.
Aber die Realität spielt in der Parallelwelt in der Hessenhalle an diesem Tag wohl keine Rolle. Da verwundert es schon fast, dass die Jugendorganisation sich nicht den Namen „Jugend Germania“ gibt, den ein Delegierter vorschlägt. Und dieser Mann gilt innerhalb des AfD-Spektrums als „gemäßigt“ (!).
Neuer Jugendführer Jean-Pascal Hohm
Am Nachmittag soll dann ein Anführer gewählt werden. Der Parteivorstand unterstützt den ehemaligen JA-Vorsitzenden Jean-Pascal Hohm. Der 28-jährige Cottbusser bezeichnet sich selbst schamlos als „rechts“ und wird nicht müde zu betonen, wie gut die Arbeit der Identitären Bewegung sei, die immerhin auf der Unvereinbarkeitsliste der Mutterpartei steht.
Unfreiwillig komisch ist, dass Hohm sich angesichts der russlandfreundlichen Propaganda seiner Partei in seiner Antrittsrede dazu genötigt sieht, klarzustellen: „Weder Tino Chrupalla noch Alice Weidel sind Knechte Russlands.“ Darüber, wie nah man Russland sein will, hatte es zuletzt interne Streitigkeiten gegeben.
Hohm leitet schnell wieder über auf sicheres Terrain: das Völkische. Der Mann ohne Berufsausbildung sagt, er wolle mit seiner Generation Deutschland dafür sorgen, dass „Deutschland die Heimat der Deutschen bleibt“. Er behauptet stumpf, Deutsche würden auf Schulhöfen zur Minderheit oder seien es schon.
Mit diesen Sätzen verknüpft er einen ethnischen Volksbegriff mit politischen Zielen – was verfassungsfeindlich ist. Seine Scheitelarmee in der Hessenhalle beantwortet das mit Standing Ovations und ruft „Hohm! Hohm! Hohm!“, was sich zwar nur mittelgut rufen lässt. Geschenkt. Er wird mit 90,4 Prozent der Stimmen zum alleinigen Vorsitzenden gewählt.
Die Gründung der Generation Deutschland zeigt, wie professionalisiert und diszipliniert extrem rechten Netzwerke mittlerweile zusammen wirken, um auch die AfD maßgeblich zu beeinflussen. Das deutlichste Zeichen dafür: Zu Jean-Pascal Hohm, der bestens vernetzt ist – etwa mit der rechtsoffenen Hooligan- und Protestszene in Cottbus und auch Fuchs in einer rechten Burschenschaft – gab es nicht einmal einen Gegenkandidaten.
Völkische haben die Nase vorn
Danach wird die Liste diszipliniert durchgewählt. An zweiter Stelle kommt Jan Richard Behr. Er ist ebenfalls alter JA-Kader, war mehrfach bei Kubitschek in Schnellroda zu Besuch und – das darf hier nicht fehlen: hat Kontakte zur Identitären Bewegung – er bekommt 89,24 Prozent.
Auch Adrian Maxhuni aus Niedersachsen stellt sich vor: Auch er ist langjähriger Kader der JA und gehört zum völkischen Netzwerk in der Partei, das dort spätestens seit 2021 Mainstream ist und in der Jugendorganisation noch länger. Der Landesverband Niedersachsen hatte 2022 die von ihm geführte Junge Alternative als Jugendorganisation aberkannt, weil sie zu radikal aufgetreten ist.
Damals forderten JA-Gruppen in Chats: „Wir sollten Tierversuche stoppen und Flüchtlinge dafür nehmen“ oder „die Endlösung für die Musels in Deutschland“. Maxhuni führte die JA Niedersachsen trotzdem weiter. Darüber hinaus soll er Kontakte zu einem alten NPD-Ideologen haben, der Schulungen durchführt. Zur Belohnung erhält er von den Delegierten in Gießen 81,09 Prozent der Stimmen.
Kontrovers wurde es erst bei der Kandidatur zum 3. Vize-Vorsitzenden: Hier schicken die verfeindeten Lager des chronisch zerstrittenen Landesverbands Nordrhein-Westfalen jeweils eigene Kandidaten ins Rennen. Am Ende dominiert, wie erwartet, das völkische Netzwerke um den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich („das freundliche Gesicht des NS“). Ihr Kandidat, Patrick Heinz, wird mit deutlichem Vorsprung gewählt; er bekommt 78 Prozent.
Zuvor hielt er eine klar rassistische und rechtsextremen Rede. Er generalisierte Gewalt an Schulen als Problem vom „Mohammed“, der in den Pausen Butterflys zücke und deutsche Schüler verprügele. Das wolle er genau so formulieren, insistierte Patrick Heinz und sagte bockig: „Dann sind wir intolerant und werden intolerant bleiben!“. Szenenapplaus.
Selbst der ihm unterlegene Kandidat des in der AfD als zu liberal kritisierten Lagers um NRW-Landeschef Martin Vincentz hatte in seiner Bewerbungsrede „Remigration“ gefordert, sich also angebiedert. Doch er erhielt nur 17,7 Prozent – deutlicher könnten die Kräfteverhältnisse in der Jugend der AfD kaum zum Ausdruck gebracht werden.
Umstrukturiert, nicht entradikalisiert
Unterm Strich hat die AfD ihre extrem rechte Jugendorganisation umstrukturiert, die radikalen Inhalte bleiben aber die gleichen wie bei der Jungen Alternative. Sie sollen ab jetzt nur professioneller verpackt werden. Auch deswegen riet Chrupalla davon ab, auf Häuser zu klettern und Banner zu droppen.
Seine Diktatursozialisation ließ grüßen: Er schwor die neue AfD-Jugend mit einem alten FDJ-Slogan ein: „Für bessere Zukunft richten wir die Heimat auf“ – dem Lieblingslied von Erich Honecker. Vom Begriff „Bevölkerungsaustausch“ wollte Chrupalla in einem TV-Interview nicht reden, aber ansonsten dürfe die neue Jugend ruhig auch über die Stränge schlagen. Wie ein Feigenblatt ging dann seine Aufforderung unter, dass man gleichzeitig anschlussfähiger auch für Deutsche mit Migrationshintergrund und Frauen werden wolle. Waren ja auch kaum welche da.
Abzuwarten bleibt, inwiefern es tatsächlich zu Parteiordnungsmaßnahmen kommen wird, wenn die neue Jugendorganisation ihren Rechtsextremismus genau so offen zur Schau trägt wie die aufgelöste JA. In Gießen hatte man jedenfalls den Eindruck, dass der AfD – einschließlich Bundesvorstand – ihren Rechtsextremismus mutig zeigt. Betrachtet man die Umfrage-Werte scheint ihr das nicht zu schaden.
Leitsatz der Hitlerjugend wird bejubelt
Die Frage ist nur: Ist der Bogen irgendwann überspannt? Und wie viele Verbotspunkte will die AfD noch sammeln? Auch Kevin Dorow aus Schleswig-Holstein, ein Burschenschaftler mit mehreren Schmissen im Gesicht, testete die Grenzen aus. Er kandidierte als erster Beisitzer im Vorstand und hielt die bis dahin radikalste Rede: „Wir distanzieren uns nicht“, ruft er in den Saal, lobt das AfD-Vorfeld und leitet dann über zum Motto der Hitlerjugend: „Jugend muss durch Jugend geführt werden“, forderte er.
Das HJ-Motto hatte Rechtsextremist Björn Höcke vor einigen Wochen in Social Media gepostet und wieder gelöscht, nachdem herauskam, dass er wieder wissentlich NS-Parolen verbreitet hatte. Dorow bezieht sich in Gießen auf Höcke und ruft das Motto von der Bühne. Für die Nazi-Parole gibt es Szenenapplaus. Kevin Dorow wird danach mit 88,6 Prozent gewählt.
Wurde dieser Mann von außen eingeschleust?
Noch absurder wird es, als Alexander Eichwald die Bühne betritt, der eine bizarre Rede hält, die in Tonalität und Gestik an Adolf Hitler erinnert. Das wurde selbst AfD-Delegierten zuviel, einer fragte, ob das ein V-Mann sei. Auch im Netz gab es sofort Spekulationen, ob es sich dabei um eine Aktion eines linken Aktivisten handeln könnte.
Doch tatsächlich: Eichwald ist AfD-Mitglied und im Stadtrat von Herford als „Sachkundiger Bürger“ benannt – mit Stimmrecht. Jean-Pascal Hohm sagte danach, der Auftritt habe gezeigt, wie wichtig es sei, bei Aufnahmegesprächen genau hinzuschauen. In einem Podcast hatte er kürzlich noch behauptet, dass es kein Problem für rechte Aktivisten sein sollte, AfD-Mitglied zu werden – wenn man nicht mit Namen und Gesicht bereits bekannt sei. Die Partei kündigte Ordnungsmaßnahmen gegen den Hitler-Imitator an. Doch selbst nach diesem Führer-Cosplay erhielt Eichwald immerhin 12 Prozent.
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