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Aus Gerichtsbeschluss zitiertInvestigativjournalist zieht vors Verfassungsgericht

Der Journalist Carsten Janz und die Gesellschaft für Freiheitsrechte wollen den Strafgesetz-Paragrafen 353d kippen. Der verletze die Pressefreiheit.

Umstrittene Dokumente: Janz hat zwei kurze Stellen aus unveröffentlichten Prozessakten wörtlich zitiert Foto: Friso Gentsch/dpa

Von

Robert Matthies aus Hamburg

Der Hamburger Investigativjournalist Carsten Janz hat gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Janz und die GFF möchten grundlegend klären, ob der Paragraf 353d des Strafgesetzbuches (StGB) in seiner aktuellen Form die Pressefreiheit verletzt.

Der Paragraf verbietet die wörtliche Veröffentlichung amtlicher Dokumente aus schwebenden Verfahren, bevor diese in öffentlicher Verhandlung erörtert oder das Verfahren abgeschlossen wurde. So soll die Unvoreingenommenheit von Verfahrensbeteiligten, insbesondere von Lai­en­rich­te­r:in­nen und Zeug:innen, geschützt werden. Verstöße können mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden.

Janz war zuvor vom Amtsgericht und Landgericht Hamburg zu einer Geldstrafe von 2.600 Euro verurteilt worden, weil er in einem Artikel für t-online aus einem unveröffentlichten Gerichtsbeschluss wörtlich zitiert hatte. Seine Revision wurde vom Oberlandesgericht Hamburg im September ohne Begründung verworfen.

„Carsten Janz hat nur seinen Job als Journalist gemacht“, sagt Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Es kann nicht sein, dass er allein für das Zitieren aus Gerichtsbeschlüssen bestraft wird. Diese Vorschrift bedroht die kritische Berichterstattung und die Pressefreiheit – und genau das klären wir jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht.“

Zitate als Beweis journalistischer Sorgfalt

Janz hatte am 11. Dezember 2023 bei t-online einen Artikel unter dem Titel „Durchsuchung rechtswidrig – Niederlage für Staatsanwaltschaft“ veröffentlicht. Darin hatte er über polizeiliche Maßnahmen nach dem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Hamburg berichtet, bei dem acht Menschen, einschließlich des Täters, ums Leben kamen.

Er zitierte zwei Sätze aus einem unveröffentlichten Beschluss des Hamburger Landgerichts, die ein Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft offenlegten: Die Behörde hatte ohne ausreichenden Anfangsverdacht eine rechtswidrige Durchsuchung veranlasst.

Janz argumentierte, er sei davon ausgegangen, dass das Verfahren abgeschlossen sei. Eine Rückfrage bei der Gerichtspressestelle unterließ er jedoch, wie er vor Gericht einräumte.

Die Behörde, über die ich kritisch berichtet habe, hat wegen des Berichts gegen mich ermittelt. Das kann nicht im Sinne der Pressefreiheit sein

Carsten Janz, Investigativjournalist

Vor dem Landgericht Hamburg betonte Janz, dass die Information über die rechtswidrige Durchsuchung von hohem öffentlichen Interesse sei, da sie ein Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft belege. Direkte Zitate seien ein Beweis journalistischer Sorgfalt und Glaubwürdigkeit. Der Paragraf sei „pressefeindlich“. Die Norm sei zu unbestimmt und verstoße gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der die Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit, schützt.

„Wenn wir als Jour­na­lis­t*in­nen kritisch darüber berichten, wie Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln, geschieht das im Interesse der Öffentlichkeit. Wer befürchten muss, nach Paragraf 353d Strafgesetzbuch bestraft zu werden, überlegt sich diese Recherchen zweimal“, kritisiert Janz. „Die Behörde, über die ich kritisch berichtet habe, hat wegen des Berichts gegen mich ermittelt. Das kann nicht im Sinne der Pressefreiheit sein.“

Das Landgericht Hamburg wies die Berufung jedoch zurück und hielt Paragraf 353d für verfassungsgemäß. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei nicht erforderlich, da dieses die Norm bereits 1985 und 2014 als verfassungskonform eingestuft habe. Eine Abwägung nach EGMR-Kriterien fand nicht statt, was Janz und seine Verteidigung scharf kritisierten. „Eine solche Abwägung hätte zu einem anderen Ergebnis geführt“, sagte Janz' Anwalt Sebastian Seel nach der Verhandlung im März diesen Jahres.

Die Verfassungsbeschwerde zielt nun darauf ab, die Sache grundsätzlich zu klären. Die Strafnorm sei zu pauschal und lasse keine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an kritischer Berichterstattung und dem Schutz der Justiz zu, argumentiert die GFF. In ihrer aktuellen Form greife die Norm unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Pressefreiheit ein. Eine Verurteilung wie die von Janz sei in einer Demokratie nicht notwendig, da sein Bericht Missstände aufgedeckt habe, ohne laufende Verfahren zu beeinflussen.

Parallelen zum Fall Arne Semsrott

Parallelen gibt es zum Fall des Journalisten Arne Semsrott, Chefredakteur der Plattform Frag den Staat. Semsrott wurde im Oktober 2024 vom Landgericht Berlin wegen der Veröffentlichung dreier Gerichtsbeschlüsse des Amtsgerichts München schuldig gesprochen. Die Dokumente betrafen Ermittlungen gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation, die von der Generalstaatsanwaltschaft München als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde.

Semsrott erhielt eine Verwarnung und eine Geldstrafe. Auch er hat gemeinsam mit der GFF ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof eingeleitet, um die Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Die GFF sieht in beiden Fällen den investigativen Journalismus systematisch gefährdet und fordert, dass das Bundesverfassungsgericht die Norm im Licht der Pressefreiheit neu bewertet. Sollte das Bundesverfassungsgericht Janz' Beschwerde annehmen, könnte der Fall weitreichende Folgen für die Rechtsprechung in Deutschland haben. Eine Entscheidung könnte die Balance zwischen Justizschutz und Pressefreiheit neu definieren und den investigativen Journalismus stärken.

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3 Kommentare

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  • Das oeffentliche Interesse an unveroeffentlichten Beschluessen wiegt bei weitem nicht so hoch wie das oeffentliche Interesse am Rechtsstaat, der unbeeinflusste Zeugen und Richter erfordert. Deshalb ist es Journalisten zuzumuten beim Gericht anzufragen, ob etwas veroeffentlicht ist und ggf bis zur Veroeffentlichung zu warten.

  • Carsten Janz hat nur seinen Job als Journalist gemacht“, sagt Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Es kann nicht sein, dass er allein für das Zitieren aus Gerichtsbeschlüssen bestraft wird."

    Er hat nicht nur seinen Job gemacht, er hat gegen ein geltendes Gesetz verstossen. Man kann ja für die Abschaffung plädieren, aber so lange das Gesetz besteht mus man sich dran halten.

    Weil Zeugen und Angeklagte beinflusst werden könnten, sind auch keine TV oder Radioübetragungen aus deutschen Gerichtssälen (ausser Bundesverfassungsgericht) erlaubt. Das verstösst auch nicht gegen die Pressefreiheit.

    • @Martin Sauer:

      Es geht um einen Gerichtsbeschluss. Was soll da durch eine Veröffentlichung beeinflusst werden?