Bischof Franz-Josef Overbeck über TTIP: „Es geht nicht allein um Wirtschaft“

Die Entwicklungsländer müssten mit an den Verhandlungstisch, sagt Overbeck. Zur Not wird die Kirche gegen TTIP klagen.

Franz-Josef Overbeck, Ruhrbischof in Essen

Diese Woche im Amt des Militärbischofs: Dr. Franz-Josef Overbeck Foto: Wolfgang Borrs

Diese Woche verabschiedet das Europaparlament seine Resolution zum Handelsabkommen TTIP. Im Detail umstritten sind vor allem die Schiedsgerichte bei Klagen von Investoren – ob sie mit Unabhängigen oder mit privaten Anwälten besetzt werden, zum Beispiel. Das Europaparlament muss der „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ dereinst zustimmen. Deshalb ist seine Haltung wichtig. taz: Auch die deutsche Bischofskonferenz bereitet ein Positionspapier zum Freihandelsabkommen TTIP vor. Ist denn TTIP Sünde?

Franz-Josef Overbeck: Nein. TTIP ist der Versuch, in einer postmodernen Welt Zusammenhänge zu schaffen, die – wenn es gut läuft – den Wohlstand von vielen Menschen mehren sollen. Ich würde nicht sagen, dass man TTIP nicht unterschrieben sollte. Aber die sozialen Aspekte müssen erweitert werden. Das gilt vor allem mit Blick auf Schwellenländer und die so genannte Dritte Welt, aber auch in Hinblick auf Umweltverträglichkeit, den Umgang mit Ressourcen und die sozialen Aspekte.

Warum beschäftigt sich die katholische Kirche mit einem Wirtschaftsthema wie TTIP?

TTIP berührt globale sozialethische Fragen. Es geht dabei um die Gerechtigkeits- und die Solidaritätsperspektive sowie das, was die katholische Soziallehre Weltallgemeinwohl nennt. Das macht TTIP zu einem katholischen Thema.

Was droht Entwicklungs- und Schwellenländern durch TTIP?

Das Problem ist, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und der EU immer Folgen für Dritte beinhalten. Es stellt sich die Frage, ob durch TTIP die Wettbewerbsbedingungen für die armen Länder derart unattraktiv oder nachteilig werden, dass sie noch mehr marginalisiert werden, und sie keinen Schritt nach vorne gehen können. Sie könnten faktisch aus den Gewinn bringenden Zonen herausgehalten werden. Die Armen dürfen nicht Opfer einer Ökonomisierung werden, die den Wohlstand weniger vervielfältigt, und die anderen außen vor lässt.

Wie könnte eine weitere Marginalisierung der Entwicklungsländer verhindert werden?

Die Entwicklungsländer gehören mit an diesen Verhandlungstisch. Das sollten die Verhandlungspartner durchsetzen, übrigens auch um ihrer selbst willen. Heute gibt es keine nicht-globalisierten Wirtschaftsbeziehungen mehr. Uns kann nicht daran gelegen sein, dass sich diese Länder nicht entwickeln. Die terroristische Gewalt in Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens sowie die politische Destabilisierung in diesen Regionen zeigen, was es bedeutet, wenn reiche Länder nicht rechtzeitig eine kluge Sozial-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik betreiben. Als Katholik bin ich der Überzeugung, dass alles nur in universellen Zusammenhängen funktioniert. Das muss man einüben. Das ist anstrengend und neu. Man darf die sozialen und moralischen Fragen nicht unterschätzen, es geht nicht allein um wirtschaftliche Aspekte.

Der 50-jährige Katholik ist seit 2009 Bischof von Essen, zwei Jahre später wurde er Militärbischof für die Bundeswehr. Seit vergangenem Jahr sitzt er der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz vor. Unter Papst Benedikt XVI. war der gebürtige Landwirtsohn aus Marl außerdem Mitglied der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika.

Genmais aus den USA ist bei Kritikern von TTIP ein großes Thema. Menschen, die Gott spielen – das ist doch ein Thema für die katholische Kirche.

In einer Freihandelszone herrscht noch größere Konkurrenz. Gerade da sind gentechnisch veränderte Pflanzen vermeintlich attraktiv wegen ihrer größeren Gewinnmöglichkeiten. Aufgrund unserer Bezüge zur Bibel nehmen wir aber eine kritische Haltung dazu ein. Das Problem ist der berühmte Dammbruch-Effekt: Wenn Gentechnik einmal erlaubt wird, gibt es keine Grenze mehr. Die Staaten haben ja sehr unterschiedliche Gesetze dazu, und die müssen vereinheitlicht werden. Die Frage ist dann: Nach welchem Standard?

Die Kirche stellt sich also in eine Reihe mit deutschen TTIP-Gegnern wie Gewerkschaften, Berufsverbänden und NGOs.

TTIP hat auch Vorteile, beispielsweise lässt das erhöhte Handelsvolumen neue Arbeitsplätze entstehen. Als Bischof von Essen weiß ich, dass viele Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich fehlen. Eine positiv gelenkte gesteigerte Wirtschaft sorgt dafür, dass Europa nicht abgehängt wird. Aufgrund der demographischen Entwicklungen in Europa und aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas und Asiens, wird sich die Produktion verlagern. Wenn Europa und die Vereinigten Staaten nicht stärker zusammenarbeiten, werden sie auf Dauer den Kürzeren ziehen. Man darf bei TTIP nicht naiv sein. Es geht nicht um eine grundsätzliche Verdammung, sondern um eine kritische Begleitung.

Die katholische Kirche ist mit ihren Unternehmen auch ein Marktteilnehmer. Ist TTIP eine Bedrohung für die katholische Wirtschaft?

Unsere Unternehmen haben sich dem Wettbewerb zu stellen und müssen daher effizient geführt werden. Gleichzeitig müssen sie auch sozial geführt werden, denn sie sind katholisch. Insgesamt muss ein sozialer Mindeststandard gesichert werden. Wenn ich unter diesen Standard falle, bin ich nicht bereit, mitzumachen.

Nach allem, was bislang über TTIP bekannt ist, werden Subventionen nach Inkrafttreten des Abkommens schwieriger. Die Kirchensteuer ist doch so eine Subvention. Bekommen katholische Unternehmen wie die Caritas keine Probleme, wenn sie darauf verzichten müssen?

Ja, wenn man glauben würde, dass die Kirchensteuer eine Steuer wäre wie alle anderen auch. Das ist sie aber nicht. Sie ist ein Mitgliedsbeitrag der Katholiken für ihre Kirche, der durch den Staat eingezogen wird wegen der besonderen Beziehung zur Kirche. Und der Staat lässt sich das auch kräftig bezahlen. Deshalb heißt es Steuer. Wenn es in Deutschland auch einen rechtlichen Unterschied gibt zwischen der Verfasstheit der Caritas und der einer Diözese, so ist die Caritas doch nicht vom Bischof und damit von der Kirche getrennt zu verstehen. Das miteinander zu verschränken, ist in einem solchen Abkommen kaum abbildbar. Das wird sicherlich zu Konflikten führen. Aber da muss man dann mutig einsteigen, zur Not auch mit den Mitteln des Bundesverfassungsgerichts.

Aber es gibt doch viele katholische Einrichtungen, die nur mithilfe von Staatsgeldern überleben, beispielsweise Schulen oder Kindergärten?

Das ist aber das Problem des Staates, nicht das der Kirche. Es stimmt, dass wir vom Staat relativ viele Gelder für das Führen von Schulen oder Kindertagesstätten bekommen. Denn wir übernehmen subsidiär eine Aufgabe, die sonst der Staat zu übernehmen hätte. Es ist ein Segen, dass wir das können, und wir tun es gerne. Aber wenn wir es nicht mehr können, muss es der Staat tun. Wieder ein Beispiel aus meinem Bistum: Zwei Drittel bis drei Viertel der sozialen Einrichtungen im Ruhrgebiet sind historisch den Kirchen zu verdanken. Denn der Staat wollte sich nicht darum kümmern, als es die vielen Berg- und Stahlarbeiter gab und Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten und Schulen benötigt wurden. Also hat es die Kirche getan.

Eine letzte Frage: Wie finden Sie die Entscheidung der Iren für die Homo-Ehe?

Wir leben in einer pluralen Welt. Von daher gilt, dass sich auch die Kirche dem Wettbewerb der Meinungen stellen muss. Schauen sie nach Afrika: Dort erleben Sie eine andere Welt. Dort wird in einigen Ländern Homosexualität nicht nur verteufelt, sondern teilweise mit der Todesstrafe bedroht. Wir erleben in der Kirche eine echte Globalisierung. Da gibt es Mega-Themen wie Ehe, Sex und Homosexualität, weil sie alle bewegen. Doch es gibt in der Kirche eine Grundposition, nach der die Ehe eine Partnerschaft von Mann und Frau meint. Mir gefällt es überhaupt nicht, dass wir diese Diskussion mit undifferenzierten Schlagworten führen. Wir alle, ob Befürworter oder Gegner, müssen lernen, über diese Themen nicht polarisierend zu diskutieren. Die einen mögen sagen, das ist ein Fortschritt in Irland, ein immenser Kulturgewinn. Wir sagen das so nicht.

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