Bürgermeisterkandidat Zohran Mamdani: Ein Sozialist für alle New Yorker?
New York wählt einen neuen Bürgermeister. Aussichtsreichster Kandidat: der „demokratische Sozialist“ Zohran Mamdani. Was ihn so erfolgreich macht.
Aufregend war das vergangene Oktoberwochenende in New York. Die klare Herbstluft schien vor Energie nur so zu knistern. So berichten es Menschen, die in der Stadt leben, am Telefon. Die ganze Stadt sei auf den Beinen gewesen und das nicht nur, weil am Sonntag 55.000 Menschen am Marathon teilnahmen und Hunderttausende die Läufer feierten. Oder weil am Freitagabend zwei Millionen Menschen die Halloween-Parade besuchten, eines der beliebtesten Spektakel des Jahres.
Zwischen all dem ging die New Yorker Bürgermeisterwahl auf die Zielgerade – eine Wahl, die die Stadt in Erregung versetzt, wie schon lange keine Lokalwahl mehr. Tausende Freiwillige zogen am Sonntag allein für den demokratischen Spitzenkandidaten Zohran Mamdani durch die Stadt. Laut dessen Instagram-Account wollten sie an über 200.000 Türen klopfen. Das wären mehr als jemals zu vor an einem einzigen Wahlkampftag gewesen. Am Ende schafften sie 157.678.
Auch die Kandidaten selbst schwirrten emsig durch New York. Mamdani und sein Herausforderer Andrew Cuomo gaben sich schon am Sonntagmorgen beim Radiosender WBLS die Klinke in die Hand, der vorwiegend von afroamerikanischen Bürgern gehört wird. Cuomo kandidiert parteiunabhängig, seit er die Vorwahl der US-Demokraten überraschend gegen Mamdani verlor.
Danach sausten beide zu Gottesdiensten in Schwarzen Kirchen in Harlem und der Bronx. Der republikanische Kandidat Curtis Sliwa sprach unterdessen im konservativ geprägten Brighton Beach zu seinen Anhängern. Cuomo war später bei einer jüdischen Gemeinde in Queens, während sich Mamdani beim Marathon, den er selbst schon zwei Mal gelaufen war, zeigte. Am Abend wurde Mamdani dann noch in einem schwulen Tanzclub in Chelsea dabei gefilmt, wie er die Menge anheizt und zu Jay-Z schwoft.
Am Dienstag wählen bis zu 4 Millionen New Yorker, wer in den kommenden 4 Jahren die Geschicke ihrer Stadt lenken wird – mit einem Etat, der knapp ein Viertel so groß ist wie der Deutschlands und über 300.000 Regierungsbeamten.
Letzte Umfragen sehen Mamdani weit vorn
Die Energie, die diese Wahl auslöst, offenbarte sich bereits, als die Wahllokale zur frühzeitigen Stimmabgabe öffneten. Schon vor dem Wochenende hatten mehr als eine halbe Million New Yorker gewählt, darunter eine überproportional große Anzahl junger Wähler. Ein gutes Zeichen für Zohran Mamdani, dessen Erfolg in den Vorwahlen im Sommer besonders darauf beruhte, eine junge Wählerschaft zu mobilisieren.
Wenn die Umfragen sich nicht dramatisch irren, wird der 34-jährige Mamdani neuer Bürgermeister der größten Stadt der USA. Letzte Statistiken rechnen ihm 42 bis 50 Prozent der Stimmen zu. Sein ärgster Gegner, der Ex-Gouverneur Cuomo, kommt auf 25 bis 32 Prozent. Der Republikaner Sliwa, seit seinen Tagen als Bürgermilizionär eine New Yorker Medienfigur, hatte im Grunde nie eine ernsthafte Chance.
Der mutmaßliche Erfolg Mamdanis ist zweifellos Grund dafür, dass diese Wahl in New York und weit darüber hinaus immense Aufmerksamkeit genießt. Mit Mamdani, den noch vor einem Jahr außerhalb New Yorks niemand kannte, erleben die USA den Aufstieg eines neuen Politstars. Wohl seit dem Auftauchen des jungen Barack Obama als Redner beim demokratischen Wahlparteitag 2004 hat das Land kein solch unverhofftes Auftauchen eines politischen Talents mehr gesehen. Passenderweise rief Obama Mamdani Sonntagfrüh an, um ihm Glück zu wünschen und Mut zuzusprechen.
Rückenwind für die linken US-Demokraten
Selbst Mamdanis Gegner loben die Art und Weise, wie er seinen Wahlkampf führt. Als Millennial bespielt er die sozialen Medien so gekonnt wie kaum ein Politiker vor ihm in den USA. Dabei vermittelt er glaubwürdig, dass er sich um die Menschen seiner Stadt sorgt. Anstatt ihnen zu predigen, hört er ihnen zu. Anders als sein Gegner Cuomo begegnet er ihnen auf Augenhöhe. Und er hat ein simples Versprechen für sie: ein bezahlbares New York für alle. Erreichen will er das unter anderem durch Steuererhöhungen, gedeckelte Mieten und einen Mindestlohn von 30 US-Dollar pro Stunde.
So gelingt es Mamdani, viele Wähler der unteren Mittelschicht aus den Fängen der Maga-Bewegung zurück in die Arme der demokratischen Partei zu holen. In den letzten Jahren schaffte das kein demokratischer Politiker mehr. Selbst in der Bronx und in Queens verfängt Mamdani – Bezirke, deren Bewohner sich besonders ignoriert und vernachlässigt von der demokratischen Partei fühlten.
Die Demokraten im ganzen Land blicken entsprechend gebannt auf Mamdanis Kampagne. Die Partei liegt seit dem Biden-Harris-Debakel am Boden. Ihre Zustimmungswerte sind so schlecht wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Die Parteifraktion im US-Kongress wirkt angesichts Trumps Bulldozer-Politik vollkommen gelähmt. Das alte demokratische Parteiestablishment hat offenkundig ausgedient. Das brachte kürzlich auch der demokratische Senator Cory Booker auf den Punkt, als er frustriert bemerkte: „Wir können nicht mehr Politik wie üblich machen.“
Mit Mamdani bekommt nun der linke Flügel der Partei um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez Rückenwind. Sanders und Cortez tingeln seit Monaten auf ihrer „Anti-Oligarchie“-Tour durchs Land und erhalten dabei, ähnlich Mamdani, erstaunlich positive Resonanz – selbst von nicht wenigen bisherigen Trump Wählern.
Das Parteiestablishment tut sich dennoch schwer mit Mamdani. Hakeem Jeffries, Fraktionsvorsitzender im Repräsentantenhaus und selbst New Yorker, rang sich im letzten Augenblick noch eine halbherzige Unterstützungserklärung für Mamdani ab. Chuck Schumer, der die Demokraten im Senat anführt, ist bis heute stumm.
Sozialismus: für 62 Prozent der Amerikaner unter 30 ist das was Gutes
Sich zu Mamdani zu bekennen, erscheint der alten Garde noch immer als gefährlich. Dessen Selbstidentifikation als „demokratischer Sozialist“ könnte die Wähler und vor allem die Geldgeber verschrecken. Dazu kommt seine Identität als Muslim und seine unmissverständliche Kritik an Israel.
Viele New Yorker Wähler haben mit diesen Positionen keine allzu großen Probleme. Gerade unter jüngeren Wählern ist Sozialismus kein Schimpfwort mehr – 62 Prozent der Amerikaner unter 30 verbinden damit positive Dinge. Der Begriff erwirkt schon lange eher Assoziationen mit erfolgreichen europäischen Sozialdemokratien als mit der Sowjetunion.
Was Mamdanis klare Pro-Palästina-Haltung angeht, ist die jüdische New Yorker Wählerschaft gespalten. Rund 40 Prozent von ihnen stimmen voraussichtlich für Mamdani. Gerade die konservativeren Juden der Stadt lehnen ihn jedoch ab. USA-weit ist blinde Solidarität mit Israel derzeit übrigens nicht mehrheitsfähig. 60 Prozent der Amerikaner fühlen sich von Israels Politik in Gaza abgestoßen.
Das Ergebnis der New Yorker Bürgermeisterwahl wird am Mittwochmorgen deutscher Zeit erwartet. Gleich, wie diese Wahl ausgeht und wie viel Mamdani von seiner ehrgeizigen Agenda als Bürgermeister New Yorks durchsetzen könnte: Die alte demokratische Parteiführung wird dauerhaft nicht umhinkommen, ihre Politik zu überdenken. Und selbst wenn unklar ist, ob eine Politik à la Mamdani US-weit mehrheitsfähig wäre – das ist schon ein enormer Erfolg.
Anmerkung der Redaktion: In der zuerst veröffentlichten Version dieses Textes hieß es, für Mamdani seien allein am Sonntag rund 90.000 Freiwillige im Einsatz gewesen und hätten an über 200.000 Türen geklopft. Richtig ist: mehr als 90.000 Freiwillige waren insgesamt in seine Kampagne involviert. Am Sonntag waren 6.500 davon aktiv und klopften an über 157.000 Türen. Diesen Fehler haben wir korrigiert.
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