Bütikofer über EU-China-Treffen: „Das wird ein Tiefpunkt-Gipfel!“
Der China-Experte Reinhard Bütikofer erwartet beim EU-China-Treffen vor allem: Streit. Gleichzeitig müsse die EU härter gegen Peking auftreten.

taz: Herr Bütikofer, Chinas Regierung hat letzte Woche Ihre Einreisesperre aufgehoben. Widerlegt China damit diejenigen, die eine Verhärtung Pekings gegenüber der EU festgestellt haben?
Reinhard Bütikofer: Dass Peking jetzt die 2021 verhängten Reisebeschränkungen gegen vier Europaparlamentarier und mich aufhebt, ist da kein Gegenbeweis. Diese Sanktionen haben China mehr geschadet als uns. Trotzdem gibt Peking nur häppchenweise nach und hält manche Sanktionen weiterhin aufrecht. Insbesondere aber geht Peking substanziell in keinem Bereich auf die EU zu. Außenminister Wang Yi hat in Brüssel unsere Kritik an Chinas Unterstützung für Russlands Ukrainekrieg offensiv gekontert, das Neutralitätsgerede fallen lassen und erklärt, China habe ein Interesse daran, dass Putin diesen Krieg nicht verliert. Und auch handelspolitisch fährt die Volksrepublik weiter einen Konfliktkurs.
72, war als Student Maoist und bis 2024 für die Grünen Mitglied des Europäischen Parlaments. Er gilt als einer der einflussreichsten China-Politiker Europas.
taz: Die EU hat als Reaktion auf Chinas Sanktionen gegen Sie ein ausgehandeltes Investitionsabkommen auf Eis gelegt. Sollte sie es jetzt aktivieren?
Bütikofer: Nein. Dieses Investitionsabkommen war damals schon fragwürdig und wäre heute gewiss kein Instrument, um unsere Wirtschaftsinteressen gegenüber China wirksam zu vertreten. Das sieht nicht nur die Europäische Kommission so, sondern auch der Bundesverband der Deutschen Industrie. Der Zug ist abgefahren.
taz: Hat Europa überhaupt noch Einfluss auf China? Spricht die EU aus Sicht Pekings nicht viel zu selten mit einer Stimme und wird deshalb nicht ernst genommen?
Bütikofer: Wir Europäer sind gegenüber China durch große Versäumnisse von Wirtschaft und Politik in manche Abhängigkeit geraten, etwa bei Seltenen Erden. Aber umgekehrt ist Peking, auch wegen Trumps Hartleibigkeit, stark am Zugang zu unserem Markt und unseren guten Technologien interessiert. Daraus kann die EU einen Hebel machen. Europäische Akteure allerdings, die immer noch meinen, man müsse vor allem Peking gut zureden, die nimmt man in China nicht ernst. Zu Recht.
taz: Europas Verhältnis mit China hat wegen Pekings engen Beziehungen zu Moskau im Ukrainekrieg und der Exportschwemme subventionierter Güter einen Tiefpunkt erreicht. Was erwarten Sie von dem Gipfel?
Bütikofer: Sie haben das richtig beschrieben. Deshalb wird das ein Tiefpunkt-Gipfel! Es wird dort streitig zugehen. Vorzeigbare Ergebnisse erwarte ich nicht. Aber Europa würde mit Beschönigen nichts gewinnen. Peking muss begreifen, dass die EU hart sein kann, obwohl sie öfter wie ein Hühnerhaufen aussieht.
taz: Peking und Brüssel lehnen Trumps Zolldrohungen ab. Bietet das Chancen der Annäherung?
Bütikofer: Andersrum! Weil Trump den US-Markt mehr und mehr gegen China abschottet, droht der EU als dem anderen großen Markt ein noch höherer Druck durch den Export hoch subventionierter chinesischer Überproduktion, für die es in China selbst keinen Absatz gibt. Das gilt für viele Branchen. Zugespitzt gesagt: Wenn wir nicht aufpassen, führt unfairer Wettbewerb zu einer Deindustrialisierung Europas „made in China“.
taz: Muss Europa zur Abwehr der chinesischen Exportschwemme bald selbst höhere Zölle einführen?
Bütikofer: Zölle, wie von der Kommission bei Elektroautos mit guter Begründung verhängt, sind ein Instrument neben anderen. Wir haben auch das Procurement-Instrument [Regeln für internationales Beschaffungswesen, d. Red.] oder das Foreign Subsidy Instrument [Verordnung über Drittstaatssubventionen, d. Red.]. Und wir können bei chinesischen Investitionen in Europa genauer hinschauen. Zum Beispiel hat der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau auf die mögliche Einführung von Local-content-Regelungen hingewiesen.
taz: Unter Xi Jinping sind die Spielräume der chinesischen Zivilgesellschaft weiter beschnitten worden. Wie sollte da eine europäische Menschenrechtspolitik aussehen?
Bütikofer: Wir müssen zu Hause zeigen, dass wir Menschenrechte nicht nur anderen gegenüber predigen. Wir müssen China gegenüber etwa die Zwangsarbeit, der viele Uiguren unterworfen werden, nicht nur benennen, sondern solche Produkte auch von unserem Markt verbannen. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht unglaubwürdig werden, weil unsere Menschenrechtspolitik international selektiv kritisiert.
taz: Peking droht Taiwan immer unverhohlener und bereitet eine Blockade der Insel vor. Wie sollte Europa reagieren?
Bütikofer: Aus eigenen Interesse dürfen wir Europäer nicht wegschauen. Diese Bundesregierung und die vorherige haben jeweils klar gesagt, dass der Status quo dort nicht einseitig und schon gar nicht durch Gewalt oder Zwang geändert werden darf. Wir müssen Peking deutlich machen, dass es für gefährliche Abenteuer einen hohen Preis zahlen würde. Und unsere Solidarität mit dem demokratischen Taiwan sollten wir ausbauen.
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