Bundestagswahl 2017: Die fünf Hindernisse für Rot-Rot-Grün

SPD-Chef Sigmar Gabriel guckt nach links, viele Grüne und Linke sind begeistert. Doch es gibt da ein paar Knackpunkte.

Rote Kirschen hängen vor grünen Blättern

Ob mit denen gut Kirschen essen ist? SPD, Linke und Grüne müssten sich für eine Koalition durchaus zusammenraufen Foto: dpa

BERLIN taz | Rot-Rot-Grün klingt für viele nach einer verlockenden Ablösung der großen Koalition. Aber: Jeder der drei möglichen Koalitionspartner bringt seine eigene Geschichte, eigene Interessen und Vorbehalte mit. Ein Überblick.

Eingeübte Verachtung

Sigmar Gabriel funkt seit Monaten versöhnliche Signale nach links. Der SPD-Chef warb im Juni im Spiegel für „ein Bündnis aller progressiven Kräfte“ in Deutschland. Er tauchte diese Woche überraschend bei einem Kennenlerntreffen von 100 Abgeordneten aus den drei Parteien auf. Und er versuchte, eine rot-rot-grüne Mehrheit für eine Bundespräsidentin zu organisieren, was grandios scheiterte, weil der Name seiner Wunschkandidatin Margot Käßmann durchsickerte und sie öffentlich absagte.

Seit über zehn Jahren diskutieren Strategen aus allen drei Parteien Chancen, Inhalte und Perspektiven eines Linksbündnisses, ein Bemühen, das wegen seiner Vergeblichkeit zuletzt etwas Melancholisches hatte. Hinter den linken Frühlingsgefühlen der Sozis stecken handfeste taktische Interessen. Wenn Gabriel 2017 eine klitzekleine Chance aufs Kanzleramt haben will, braucht er eine Machtoption – und Rot-Rot-Grün ist noch die wahrscheinlichste. Außerdem leiden viele Sozialdemokraten an akutem GroKo-Frust. Eine weitere Legislaturperiode an der Seite Angela Merkels wirkt auf viele Abgeordnete wie das Versprechen eines FKK-Urlaubs in Sibirien.

Derlei Nöte und Zwänge bedeuten allerdings keineswegs echte Begeisterung oder Überzeugung. Gabriel selbst hält ein Linksbündnis insgeheim für wenig tragfähig. Und wichtige Sozialdemokraten hatten für die Linkspartei jahrelang nur Verachtung übrig, sie betrachten die Konkurrenz auch heute noch als zu bekämpfendes Racheprojekt Oskar Lafontaines.

Verachtung aber ist das Schlimmste, sie zerstört alles, was diese fragile Koalition bräuchte, nämlich Vertrauen, Wertschätzung und Umgang auf Augenhöhe. Dass es den Sozialdemokraten gelingt, ihr lieb gewonnenes Linkspartei-Trauma in einem knappen Jahr zu überwinden und auf einen professionellen Umgang umzuschalten, darf bezweifelt werden. Dafür sind die Vorbehalte zu groß und die Gesprächskanäle zu verstopft. Nicht einfach, das alles.

Wichtigkeit: hoch

Motto: Annäherung durch Wandel

Erfolgsaussichten: geht so

Sehnsucht nach Merkel

Die Grünen haben ihr Portfolio inzwischen an die Wünsche und Sehnsüchte der bürgerlichen Mitte angepasst. Gutes Essen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und natürlich das Ökologische an sich, diese Themen sollen im Mittelpunkt stehen. Alles, was akademisch gebildete und verheiratete Gutverdiener verstören könnte, etwa eine schnelle Abschaffung des im Grunde skandalösen Ehegattensplittings, wird von Spitzengrünen nicht mehr thematisiert.

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fuhr sensationelle Wahlerfolge mit seinem ökokonservativen Kurs ein. Versöhnung statt Konfrontation, der Konsens ist ein Wert an sich, das sind seine wichtigen Schlagworte. Entscheidende Leute im Bund, etwa Cem Özdemir oder Katrin Göring-Eckardt, sind fest davon überzeugt, dass die Grünen nur mit dem Ausgriff in die bürgerliche Mitte wachsen. Schwarz-Grün ist das natürliche Bündnis für diese Strategie, zumal sich mit der machtbewussten Union Konflikte viel leichter lösen lassen als mit der Linkspartei.

Damit bei den Grünen Rot-Rot-Grün als echte Alternative im Spiel bliebe, müssten die mittefixierten Grünen ab und zu Signale auch nach links blinken. Und es bräuchte eine Figur von Gewicht, die diese Position aus voller Überzeugung vertritt. Der beste Kandidat dafür wäre Anton Hofreiter, der einzige Parteilinke, der sich für die Spitzenkandidatur im Wahlkampf beworben hat. Sein Erfolg oder Misserfolg bei der Urwahl der Grünen ist deshalb entscheidend für Rot-Rot-Grün. Ob Hofreiter Spitzenkandidat wird, steht im Januar fest.

Wichtigkeit: mittel

Motto: Gleichgewicht des Schreckens

Erfolgsaussichten: kann klappen

Oppositionsverliebtheit

Die Spitzenpolitikerin, die am schärfsten gegen Rot-Rot-Grün polemisiert, ist die wichtigste Figur für dieses Bündnis. Sahra Wagenknecht repräsentiert den oppositionsverliebten Hardlinerflügel der Linken, sie ist außerdem die einzige Parteiprominente, die medial wirklich Durchschlagskraft entfaltet. Für Rot-Rot-Grün gilt das, was für alle Kompromisse gilt: Wer schon katholisch ist, muss nicht bekehrt werden. Wichtig sind die Zweifler.

Der Fundiflügel der Linkspartei müsste mit guten Argumenten dazu gebracht werden, dieses Bündnis zu unterstützen. Und dieses Wunder vollbrächte nur Wagenknecht. Rot-Rot-Grün hätte vermutlich nur eine knappe Mehrheit im Bundestag, im Moment geben die Umfragen das Bündnis überhaupt nicht her. In der Linke-Fraktion des nächsten Parlaments werden wieder diverse Leute sitzen, die nur Opposition machen wollen und die Agenda 2010 als unverzeihlichen Fehler der SPD ansehen. Ein Frank-Walter Steinmeier treibt ihnen deshalb heute noch die Zornesröte ins Gesicht. Warum sollten sie Regierungsvorlagen eines SPD-Kanzlers mittragen?

Auch wenn Wagenknecht gerne die kompromisslose Oppositionsfrau gibt, sie besitzt genügend Ehrgeiz und Gestaltungswillen, um ein Regierungsamt anzustreben, etwa als Sozial- oder Wirtschaftsministerin. Auch der alleinige Fraktionsvorsitz käme infrage, im Parlament hätte sie die große Bühne und eine gewisse Distanz zur Regierung. Um die Fundamentalkritiker zu befrieden, bräuchte sie große Erfolge in einem zu verhandelnden Koalitionsvertrag. Und Wagenknecht selbst, die total Überzeugte, müsste bei relevanten Themen das Gesicht wahrend schwenken.

Wichtigkeit: existenziell

Motto: Opposition ist Mist

Erfolgsaussichten: messbar

Sensible Inhalte

Die Außenpolitik gilt als entscheidendes Hemmnis für Rot-Rot-Grün, und zwar zu Recht. Die Linkspartei ist strikt gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr, sie hat große Probleme mit der Nato und sie will einen weitreichenden Umbau der UNO. Diese Positionen sind mit der außenpolitischen Verortung Deutschlands nicht kompatibel. Und zwischen der Russlandfreundlichkeit vieler Linker und den Sanktionsforderungen der Grünen wegen Syrien liegen Welten.

Die Linke müsste also ihre Außenpolitik in Teilen revidieren, wenn sie regieren wollte. Auch die Grünen, ehemals eine Friedenspartei, machten diese Rosskur erst durch, nachdem sie schon an der Regierung waren – der Streit über den Kosovokrieg und Joschka Fischers Verweis auf Auschwitz ist bekannt.

Doch auch auf anderen Feldern lauerten Sprengfallen – zum Beispiel in der Steuer- oder Finanzpolitik. Rot-Rot-Grün käme vermutlich in Versuchung, ein sehr teures Regierungsprogramm aufzuschreiben. Eine auskömmliche Rente für alle, mehr sozialer Wohnungsbau, neue Milliarden für Bildung und die Energiewende – all das muss finanziert werden. Leider engt die von SPD und Grünen mitgetragene Schuldenbremse den Spielraum ein. Gleichzeitig werden sich SPD und Grüne nicht trauen, die harten Umverteilungspläne der Linken mitzutragen, die Reiche zu hohen Extrasteuern zwingen wollen.

Das bedeutet: Das Linksbündnis wäre auf Diät, es müsste von Anfang mit Investitionen maßhalten. Die Herausforderung für alle Beteiligten ist nicht zu unterschätzen, schließlich lassen sich mit Geld am ehesten Empfindlichkeiten heilen. Und solche existieren zuhauf.

Wichtigkeit: hoch

Motto: Weniger ist mehr

Erfolgsaussichten: sind zumindest vorhanden

Diffamierung durch Gegner

Wie schrill der Ton in der Debatte über Rot-Rot-Grün auch im Jahr 2016 noch wird, bewies diese Woche CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. „Die Masken sind gefallen“, wetterte er vor einem – eher mäßig wichtigen – Kennenlerntreffen von 100 Abgeordneten von SPD, Linken und Grünen. „Diese Linksfront würde Deutschland massiv schaden.“

Auch wenn die Union keine Rote-Socken-Kampagne mehr so orchestrieren könnte, wie sie es 1994 gegen die PDS tat: Der Gegenwind im Wahlkampf 2017 wird immens sein, wenn SPD und Grüne ein Bündnis mit der Linken nicht ausschließen. Wichtige Wirtschaftsverbände wie der DIHK steigen zuverlässig auf die Barrikaden, wenn es um eine fairere Verteilung des deutschen Reichtums geht. Und CDU und CSU werden sich dankbar auf die Verteufelung von Rot-Rot-Grün stürzen, um vom eigenen Grundsatzstreit in der Flüchtlingspolitik abzulenken.

Aller Sehnsucht nach dem wohltemperierten Konsens und Versöhnung zum Trotz: Auf eine so harte gesellschaftspolitische Auseinandersetzung müssten sich SPD, Grüne und Linke strategisch vorbereiten. Sie bräuchten für ihre Reformen Verbündete und gesellschaftliche Resonanzräume. Wer von SPD, Linken und Grünen wirklich dieses Bündnis will, muss den Schulterschluss mit Gewerkschaften, Kirchen oder Umweltverbänden suchen – und mit den Teilen der Wirtschaft, die einen sozialökologischen Umbau wirklich fördern.

Wichtigkeit: hoch

Motto: Wann wir schreiten Seit’ an Seit’

Erfolgsaussichten: gut

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