Cumhuriyet-Journalist über seine Zeitung: „Einfach unsere Arbeit machen“

Ali Celikkan beschreibt die Situation nach dem Putschversuch vom Juli – und wieso es falsch ist zu schweigen.

Polizeieinheit mit Fahrzeug vor dem Cumhuriyet-Gebäude am 31.10.2016

Staatsmacht baut sich auf: vor dem Gebäude der Cumhuriyet-Redaktion am Montag Foto: imago/Depo Photos

BERLIN taz | Als nach dem Putschversuch im vergangenen Juli der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, sind wir als die jungen Mitarbeiter der Zeitung bis zum letzten Druckschluss in der Redaktion geblieben. Wir haben Bier getrunken und über unsere Zukunft nachgedacht. „Nun haben Sie die Macht, alles zu tun, was sie wollen. Sie können morgen kommen und die Redaktion grundlos schließen“, sagte einer von uns. „Ja, aber was können wir schon tun? Wo wollen wir schon hin?“, sagte ein anderer.

Statt zu fragen, wie es der Pressefreiheit in der Türkei gehen wird, falls diese Zeitung geschlossen wird, dachten wir – vielleicht sehr egoistisch – darüber nach, was aus uns werden sollte. Cumhuriyet war sowohl für die freie Presse als auch für uns die letzte Bastion in der Türkei. Wir waren uns alle einig: „Es gibt in der Türkei keinen anderen Ort als diesen, an dem wir arbeiten können.“

Und Aydin Engin, der am Montag als einer von 13 Cumhuriyet-Journalisten festgenommen wurde, hatte uns damals ein bisschen Hoffnung gemacht: „Ich habe vier Putsche miterlebt, macht euch keine Sorgen. Lasst uns einfach unsere Arbeit machen.“

In den folgenden drei Monaten wurden Hunderte Medien geschlossen, viele Journalisten haben ihre Arbeit verloren. Während eine Regierung, die Tag und Nacht von „Demokratie“ spricht, alles Demokratische im Land zunichte gemacht hat, ist die Türkei in eine Einbahnstraße geraten. Unsere Zeitung hat jedes Wort gedruckt, das versucht hat, die Wahrheit zu erzählen – und an jedem Wort haben sie sich gestört.

Soll das ein Witz sein?

Das Regierungspresseorgan Sabah beschrieb die Ereignisse vom Montag so: „Es wurde bekannt, dass die Operation im Zusammenhang mit Ermittlungen steht, die im August begannen und dem Verdacht nachgehen, dass die Tageszeitung Cumhuriyet sich im Namen der Terrororganisationen FETÖ (Anm. d. Red.: Gülen-Bewegung) und PKK strafbar gemacht hat. Zu dem heißt es, dass es belastendes Beweismaterial gibt.“

Sie alle wurden am Montag wie Terroristen behandelt, vor den Augen ihrer Familien

Soll das ein Witz sein? Wäre diese Situation nicht so grausam, wir würden am liebsten darüber lachen. Welches „belastende Beweismaterial“ kann die Cumhuriyet sowohl mit FETÖ als auch mit der PKK verbinden? Natürlich gibt es die, die jetzt lachen, die denken, wir seien Volksverräter, die wollen, dass wir hingerichtet werden. In dieser von Erdoğans Hand geteilten Gesellschaft gibt es inzwischen Gruppen, die völlig fern von der Realität sind, die toben und in sozialen Netzwerken zur Gewalt aufrufen.

Die Gefahr des Schweigens

Gerade habe ich ein Bild vor mir, das Menschen zeigt, die ihr Leben der freien Presse gewidmet haben – jetzt sind sie in Begleitung von Polizisten. Murat Sabuncu etwa. In dieser schwierigen Zeit ist er sehr stolz auf seinem Posten als Chefredakteur der Cumhuriyet. Er ist in Untersuchungshaft. Hikmet Çetinkaya schreibt seit Jahrzehnten kritisch über die Gülenisten. Er ist Autor zahlreicher Bücher über die Beziehungen zwischen AKP-Regierung und Fettullah Gülen. Nun ist er wegen des Verdachts auf Unterstützung der Gülen-Bewegung in Untersuchungshaft.

Sie alle wurden am Montag wie Terroristen behandelt, vor den Augen ihrer Familien. Doch die Welt schweigt nicht mehr im Angesicht dieser mittelalterlichen Justiz. Eines der liebsten Sprichwörter der Türken lautet: „Schweig nicht, je länger du schweigst, desto schneller bist du selbst dran.“ Viele schweigen derzeit aus Furcht, doch Cumhuriyet war immer auf der Seite jener, denen ein Redeverbot erteilt wurde. Und erhält nun als Dank sehr viel Solidarität. Den gesamten Montag über standen mehr als 500 Menschen, Familien, Kinder, vor dem Redaktionsbüro und riefen Slogans wie: „Seite an Seite gegen die Diktatur!“ Die Leitung der Zeitung sitzt zwar in Haft, aber die Zeitung wird für den Druck vorbereitet. Mit Texten, die zweifellos so frei sein werden wie gewohnt.

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