Debatte Männlichkeit: „Eier zeigen“? Warum nicht!

Die phallische Logik ist demoliert, es braucht neue Leitbilder. Sie dürfen die Männlichkeit nicht verstecken oder kleinreden, ganz im Gegenteil.

Sebastian Schweinsteiger

Schweinsteigers Äußerung transportiert ein anderes Männlichkeitsbild Bild: dpa

„Auf dem Weg zum Punkt hatte ich kurz meine Eier verloren“, offenbarte Bastian Schweinsteiger. Er beschrieb damit seinen Gefühlszustand, als er im Champions-League-Halbfinale zum entscheidenden Elfmeter gegen Real Madrid antrat. „Aber ich habe sie rechtzeitig wiedergefunden“, erklärte er die konsequente Ausführung des Strafstoßes.

Scheinbar ein typischer Machospruch, wie er im Männerfußball gepflegt wird seitdem Extorwart Oliver Kahn nach einer Pleite „Eier, wir brauchen Eier!“ forderte. Doch Schweinsteigers Äußerung transportiert ein anderes Männlichkeitsbild als das seines ehemaligen Mitspielers. Der 27-jährige zeigt damit, wo es mit dem Mann hierzulande hingehen kann.

Denn wie der Nationalkicker scheint auch der deutsche Mann auf dem Weg in die Neuzeit seine Eier verloren zu haben. Er fühlt sich als Opfer gesellschaftlicher Veränderungen. So legen es diverse publizistische Erzeugnisse nahe, die eine Art Männerbashing beklagen. „Das entehrte Geschlecht“ nennt zum Beispiel der Buchautor Ralf Bönt sein „notwendiges Manifest für den Mann“.

Und Christoph Kucklick erklärt in der Zeit und im Spiegel, wie der Mann zum „verteufelten Geschlecht“ wurde. Beide haben Phänomene ausgemacht, die dem Gleichberechtigungsstreben von Frau und Mann zuwiderlaufen. Zudem beklagen sie einen beständigen Angriff auf die männliche Würde.

Damit haben sie durchaus recht. Seit über zehn Jahren wird auf die geringere Lebenserwartung von Männern hingewiesen, auf die Schwierigkeiten von Jungen in einer weiblich geprägten Pädagogik und andere soziale Ungleichgewichtungen. Jedoch: Der Befund ist nicht neu und Therapieversuche waren zaghaft. Zudem ist „der Mann“ nicht Opfer der Gesellschaft. Er dominiert sie nach wie vor – vor allem wirtschaftlich. Dennoch sollte ernst genommen werden, dass sich Männer in ihrer Geschlechterrolle zunehmend unwohl fühlen. Denn es ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft bedenklich, wenn sich ein wesentlicher Teil seelisch demontiert fühlt.

Das Problem: Statistiken stellen Missverhältnisse als Größen dar. Das Beklagen lenkt den Blick auf Ungerechtigkeiten. Doch zu einer Lösung des empfundenen Unrechts führt beides nicht. Wie lässt sich also etwas ändern?

Demolierte Symbolik

Unter anderem durch Symbole. Es ist leichter, neue Wege zu gehen, wenn es ein starkes Leitbild gibt. Für Männer war und ist dieses die „phallische Symbolik“. Ein nach außen gewandtes, auf Kraft, Härte und Aktionismus setzendes Leitbild. „Schneller, höher, weiter!“, heißt dessen Antreiber. Doch diese Symbolik ist mittlerweile stark demoliert. Sie wirkt – zumindest in der Mittelschicht – affektiert und lächerlich.

Für Männer ist das ein harter Schlag, denn sie haben damit einen Kodex verloren, der Männlichkeit im sozialen Zusammenhang definiert hat. Ihr „bestes Stück“, seit ewigen Zeiten als Lust- und Kraftspender gefeiert, klar zu erkennen und greifbar, ist zu einem lächerlichen Anhängsel degradiert oder wird gar als Waffe zur Unterdrückung der Frau diffamiert. Der seelische Knacks dröhnt den betroffenen Männern wie ein ständig wiederkehrender Tinnitus im Kopf.

Die Alternative heißt: „Eier zeigen!“ Nicht als Machogehabe, sondern als selbstbewusste Männlichkeit, die auf das setzt, was vorhanden ist. Die substanzielle Kraft eines Mannes liegt symbolisch in seinem Inneren. Sie ist unabhängig von seinen Erfolgen, seinen Taten, seinen sexuellen Präferenzen und seinem Äußeren.

In den Eiern respektive den Hoden sind (Zeugungs-)Kraft und Verletzlichkeit gleichermaßen beheimatet. Männlichkeit muss nicht durch Aktionismus ständig neu bewiesen werden. Sie ist biologisch auch ohne Heldentaten vorhanden.

Auch ohne Erektion ein Mann

Diesem Leitbild zufolge ist das Mannsein nicht von blauen Pillen abhängig. Der Mann ist auch ohne Erektion ein Mann. Wenn es ihm gelingt, sich so zu akzeptieren, wie er ist, wird er männlicher sein als der Geschlechtsgenosse, der sich an Männlichkeitsidealen abarbeitet oder wegen seines fragilen Männlichkeitsbilds in Depressionen verfällt. Vor allem aber: Die Hoden müssen geschützt werden. Sie sind wertvoll. Sie sind die Kronjuwelen eines Mannes. Damit hat er etwas zu verlieren – und mit Stolz zu verteidigen.

„Eier zeigen“ ist keine maskuline Kampfansage an Frauen, sondern an die Beliebigkeit und die Bequemlichkeit. Es symbolisiert die Fähigkeit, zu sich zu stehen und für etwas einzustehen. Dazu gehört auch der Mut, Dinge einzufordern oder für sie zu werben. Beispiel Karrierefreiheit: Noch immer verdienen Männer im Durchschnitt gut 20 Prozent mehr als Frauen. Dieses finanzielle Übergewicht sichert ihnen eine starke gesellschaftliche Stellung, ist aber gleichzeitig auch ein Zwang. Wer, wie vom Autor Ralf Bönt gefordert, das Recht haben will, nicht zwangsweise der Ernährer einer Familie sein zu müssen, kommt nicht drum herum, „Eier zu zeigen“.

Für alle ein Gewinn

Beispiel Erziehungsarbeit: Trotz „Männer in Kitas“-Kampagnen, Elterngeld und ähnlichen Aktionen werden Väter nur dann ihren Kindern ähnlich nahe sein wie die Mütter, wenn sie klare Position beziehen. Sie müssen ihren Teil der Erziehungsarbeit einfordern und ausfüllen, denn freiwillig werden sie ihn nicht in gewünschter Form bekommen. Ebenso wie Männer stehen auch Frauen diesbezüglich unter Zwängen, sind unsicher und haben etwas zu verlieren. In so einer Situation als Mann „Eier zu zeigen“, deutlich Wünsche und Ängste zu äußern, ist für alle ein Gewinn.

Im angelsächsischen Raum sind die „balls“ ebenso mit Wertschätzung verbunden wie die „cojones“ in Spanien. „Eier zeigen“ kann ein kraftvoller Begriff für selbstbewusste Männlichkeit sein, wenn man ihn in ähnlicher Form nutzt, wie es Bastian Schweinsteiger getan hat – Kraft demonstrieren und Unsicherheit zulassen. Auch Frauen profitieren in Beziehungen von eigenverantwortlichen, klaren und selbstbewussten Partnern. Warum sollen wir diese Symbolik dem eindimensionalen Machismo überlassen, wenn sie doch für beide Geschlechter innovativ sein kann?

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