Debatte Reden über Antisemitismus: Tragische Bindung

Als Nachfahren der Judenmörder haben wir eine besondere Beziehung zu Israel. Das Spannungsverhältnis müssen wir aushalten.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Darüber ziehen Wolken über einen blauen Himmel

Ein Mahnmal allein reicht nicht – über Antisemitismus muss auch gesprochen werden Foto: photocase / Artusius

Manche scheinen zu vergessen, dass es in diesem Land einen deutschen Antisemitismus gibt, der keinen Israelbezug braucht. Er blüht als einheimisches Gewächs im reichen, satten Land der Täter, in engster Nachbarschaft mit Gedenkstätten und Stolpersteinen aus Messing – ohne einen Funken Empathie.

Und just als dieses Milieu neue Bühnen betritt, in Parlamente zieht, sich auf Staatskosten verbreiten darf, geschieht eine eigentümliche doppelte Verlagerung. Wir schieben Flüchtlingen und Einwanderern den Antisemitismus in die Schuhe und setzen uns eine Kippa auf: Wir sind die Guten!

Etwas leiser und bescheidener könnten wir uns diese Frage stellen: Werden im deutschen Alltag, in der deutschen Politik Lehren aus der Schoah so gelebt, dass ein Ankommender sie auf Anhieb begreifen und womöglich überzeugend finden kann?

Dieser Tage wird ein sogenannter Erinnerungskonsens bemüht, gegen den niemand verstoßen dürfe. Als ob das nicht längst geschähe! Und auch die Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Israel wirkt wenig überzeugend, weil sie in Formelhaftigkeit erstickt – sei es aus Unsicherheit, aus Heuchelei oder aus Gleichgültigkeit.

Israel lässt sich nicht von der Schoah lösen. Das bindet uns Deutsche an Israel, und wir müssen das Spannungsverhältnis, das daraus resultiert, aushalten. Das Wort Dilemma ist zu leichtgewichtig, um diese Spannung zu beschreiben. Eher ist unsere Bindung an Israel tragisch, und sie wird es so lange bleiben, wie dieser Staat durch seine Besatzungspolitik das Völkerrecht auf eine Weise verletzt, die üblicherweise die Forderung nach Sanktionen nach sich ziehen würde und nicht die Versicherung von Solidarität.

Einwanderungsgesellschaft Deutschland ist einzigartig

Als Herkunftsdeutsche, als Nachfahren der Judenmörder haben wir eine historisch begründete Beziehung zu Israel, die nicht nur einzigartig ist (weil der Holocaust einzigartig war), sondern unweigerlich auch widersprüchlich und in gewissem Maße jenseits üblicher Logik angesiedelt. Dies Außenstehenden zu erklären, ist nicht leicht, und außenstehend sind zunächst einmal alle, die nicht Nachfahren der Täter sind. Wer will freiwillig einer derart widersprüchlichen und tragischen Beziehung beitreten?

Als Einwanderungsgesellschaft ist Deutschland folglich ebenfalls einzigartig – nämlich einzigartig schwierig. Dass in jüngster Zeit viele kamen, die Israel als Feind betrachten, verschärft das Problem. Doch auch für einen Vietnamesen oder eine Inderin ist Deutschland nicht wie Kanada.

Ein Bekenntnis zu Israel, das so tut, als gebe es dort keine Menschenrechtsverletzungen, ist wenig glaubwürdig

Ein Bekenntnis zu Israel, das so tut, als gebe es dort keine gravierenden Menschenrechtsverletzungen, ist wenig glaubwürdig. Wir gewinnen an Glaubwürdigkeit, indem wir öffentlich darüber sprechen, welchen Ballast die israelische Regierungspolitik auf unsere historisch bedingte Verpflichtung lädt und wie traurig oder wütend uns das macht.

Wir brauchen ein neues Sprechen über Israel, habe ich an dieser Stelle vor drei Jahren geschrieben. „Neue Räume des öffentlichen Denkens und Sprechens über Israel müssen in Deutschland von Juden und Nichtjuden gemeinsam geschaffen werden.“

Das Existenzrecht anerkennen

Dies würde bedeuten, sich von der Ritualsprache zu emanzipieren, wie sie in den offiziellen Apparaten üblich ist und gerade aus einer Bundestagsresolution zu Israels 70-jährigem Bestehen tönt. Für den politischen Apparat erfüllt dieses Sprechen eine diplomatische Funktion: So kann Dissens markiert und zugleich vernebelt werden. Am Beispiel Iran: Deutschland hat den Nuklearvertrag mit ausgehandelt, den Israels Premier Netanjahu mit aller Macht verhindern wollte.

Deutschland möchte das Abkommen retten, während Netanjahu jubeln wird, wenn Donald Trump es am 12. Mai aufkündigt. Nimmt man noch die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem am 14. Mai hinzu, so markieren die kommenden Tage ein Desaster für die Perspektive einer friedlichen Nahostpolitik. Nur gesagt wird es so nicht.

Eindeutiger spricht der Bundestag an dieser Stelle: „Wer in Deutschland leben will, und sei es nur vorübergehend, muss das Existenzrecht Israels anerkennen.“ Als ließe sich Einsicht erzwingen oder verordnen. Dem Beschluss hat übrigens auch die AfD zugestimmt; Mahnmale für die Opfer zu schmähen geht zusammen mit proisraelischen Floskeln.

Aus dem Holocaust folgt, dass es eine sichere Heimstatt für Juden geben muss; einen Staat, der ihnen die Option auf Zuflucht offenhält. Allerdings sagte der israelische Schriftsteller David Grossmann zum Thema Heimstatt kürzlich Folgendes: „Wenn Israel ein anderes Volk erobert und seit 51 Jahren unterdrückt hält, ein Apartheidsregime in den besetzten Gebieten schafft, dann ist es viel weniger geworden als ein Zuhause. […] Israel versetzt uns in Schmerz, weil es nicht das Zuhause ist, das wir uns wünschen. […] Solange die Palästinenser kein Zuhause haben, werden auch die Israelis keines haben.“

Dies stimmt auch in einem konkreten numerischen Sinne: Die Zahl der Juden und der Araber, die heute unter israelischer Kontrolle auf dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan leben, ist mit je 6,5 Millionen annähernd gleich, so gab es kürzlich das Militär gegenüber der Knesset bekannt. Ohne eine Zweistaatenlösung wird Israel zu einem palästinensischen Staat mit jüdischer Minderheit (oder zu einer jüdischen Diktatur.) Am Zwang zu teilen, kann keine Siedlungspolitik etwas ändern.

Als Einwanderungsgesellschaft müssen wir billigen, dass es zum Thema Israel ein jüdisches und ein palästinensisches Narrativ in unserer Mitte gibt

Als Einwanderungsgesellschaft müssen wir billigen, dass es zum Thema Israel ein jüdisches und ein palästinensisches Narrativ in unserer Mitte gibt. Dies ist keinesfalls mit Toleranz gegenüber Antisemitismus gleichzusetzen.

Gewiss: Die Scheidelinie zu definieren, ist schwierig und wird nicht immer gut gelingen. Doch beschäftigen sich damit zum Glück bereits tüchtige Aufklärer, die selbst als Migranten kamen. Wenn der völkische Antisemitismus ebenso viel Aufmerksamkeit und Widerspruch erführe wie der eingewanderte, wäre die Erregung dieser Tage sogar von Nutzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.