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Der HausbesuchSich mit Liebe am Krieg rächen

Aida Demirović-Krebs ist in Bosnien und Herzegowina aufgewachsen. Als der Krieg kam, floh ihre Familie nach Dortmund. Ihre alte Heimat besucht sie regelmäßig.

„Selbst im Krieg habe ich gesehen, dass nicht die einen nur gut und die anderen nur böse sind“, sagt Aida Demirović-Krebs Foto: Fabian Ritter

Keinesfalls will sich Aida Demirović-Krebs in die gesellschaftliche Abwärtsspirale hi­nein­ziehen lassen, die entsteht, wenn Menschen anfangen, ihre Mitmenschen in „wir“ und „ihr“ zu trennen. Im Fanklub der bosnisch-herzegowinischen Nationalmannschaft war sie trotzdem.

Draußen: Eine Wohngegend unweit der Dortmunder Innenstadt. Kleine Mehrfamilienhäuser reihen sich aneinander. Es ist ruhig. Neben einer Bank gegenüber einer Trinkhalle steht ein gelbes Postfahrrad mit breiten Satteltaschen. Der Postbote sitzt auf der Bank und macht Mittagspause.

Drinnen: Etwa 90 Quadratmeter ist die Wohnung groß. Sie strahlt Wärme und Lebendigkeit aus. Auf einem buntgemusterten Teppich steht ein großes graues Sofa. Die Kissen darauf sind lila, genau wie die Vorhänge im Wohnzimmer. In zwei Vitrinen gegenüber des Sofas stapeln sich Geschirrsets. „Das hier nehmen wir oft am Wochenende, wenn die Familie zum Frühstück kommt“, sagt Aida Demirović-Krebs und deutet auf ein Exemplar in grün-rotem Blumendesign. Leises Plätschern erfüllt den Raum. Es kommt vom kleinen Aquarium, das auf dem Couchtisch steht.

Banja Luka: Die Wände erzählen von Heimat. Über dem Esstisch hängt ein altes Holzfenster, die Sprossen teilen es in sechs kleine Quadrate. Das Glas wurde durch Spiegel ersetzt. „Solche Fenster sind typisch für alte bosnische Häuser“, sagt Aida Demirović-Krebs. Zwei gerahmte Bilder zeigen die Burg von Banja Luka, ihrer Heimatstadt im Norden von Bosnien und Herzegowina. Auf einem anderen ist das Haus der Familie abgebildet, ein altes Gebäude mit Fenstern wie dem über dem Esstisch. Ein paar Meter davor fließt der Vbras. „In dem Fluss sind wir als Kinder immer geschwommen, obwohl er eiskalt war.“

Die Großmutter: Um den Hals trägt Demirović-Krebs eine Kette mit einem kleinen Rahmen, der eine feine Stickarbeit in Glas fasst: eine rote Blume mit grünen Blättern. Keranje ist eine traditionelle bosnische Handarbeit, Demirović-Krebs hat die Kette von zwei älteren bosnischen Frauen, die diese Kultur noch pflegen. „Als meine Oma älter wurde, hat sie mich immer gebeten, ihr dabei zu helfen, das Garn einzufädeln. Die Nadeln sind nämlich so klein, dass sie sie kaum noch sehen konnte.“ Als Kind war Demirović-Krebs bei ihrer Großmutter, wenn die Eltern gearbeitet haben. Fast die gesamte Familie lebte in Banja Luka. Demirović-Krebs erzählt von gemeinsamen Festen und dem Baden im heißen Thermalwasser im Erdgeschoss des Hauses.

Die Wände erzählen von Heimat. Das ist Banja Luka, aber Dortmund ist ihr Zuhause Foto: Fabian Ritter

Krieg: 1992, da ist Demirović-Krebs zwölf Jahre alt, richtet ein serbischer Mitschüler auf dem Schulhof eine Waffe auf sie und ihre Freundinnen. „Wer von euch ist Moslem oder Katholik?“, fragt er. „Bis auf eine Freundin waren wir alle muslimisch oder katholisch, haben aber gesagt, wir wären es nicht.“ Der Krieg war in die Stadt gekommen. „Viele Leute wurden vertrieben, verprügelt, mein Vater musste zur Zwangsarbeit.“ Ein Jahr zuvor hatte der Krieg in Slowenien begonnen. Aida Demirović-Krebs war da gerade mit der Familie bei einer Tante in Sarajevo. „Da haben wir noch alle gesagt, das könnte uns in Bosnien und Herzegowina nie passieren, weil wir hier mit so vielen Kulturen gemeinschaftlich leben.“ Aber ein Jahr später waren Tod und Vertreibung auch in Banja Luka. „Zuerst haben wir gehofft, dass es aufhört. Aber irgendwann wollten wir nicht mehr mit dieser ständigen Angst leben.“

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Dortmund: Kurz vor ihrem 14. Geburtstag kommt sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Dortmund. In einem Brief schreibt sie in dieser Zeit an eine Freundin: „Wir werden uns an dem Krieg rächen, mit unserer Liebe, unserem Glück und unserer Freundschaft.“ In Dortmund bekommen ihre Eltern eine Arbeitserlaubnis für drei Monate. Sechs Wochen vor Ablauf muss sie neu beantragt werden. Sieben Jahre lang geht das so. Danach gibt es eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre, erst nach neun Jahren einen dauerhafter Aufenthaltstitel. Ihr Vater, Ingenieur für Lebensmitteltechnologie, arbeitet in einer Bäckerei. Die Mutter, Juristin, putzt in einer Anwaltskanzlei. „Ich habe nie große Zukunftspläne gemacht, weil ich Angst hatte, sie werden zerstört. Bekannte von mir sind damals kurz vor dem Abi abgeschoben worden.“

Das Studium: Weil sie für Gerechtigkeit kämpfen will, studiert sie nach dem Abitur zunächst Jura. „Ich hatte aber den Eindruck, die meisten, die ich dort kennenlernte, studieren das eher, um viel Geld zu verdienen. Das war nichts für mich.“ Also bricht sie ab und wechselt zu Pädagogik, arbeitet anschließend in der Jugendhilfe, aber auch für die Lokalzeitung, das Radio und als Social-Media-Managerin einer Band. Heute ist sie, genau wie ihr Bruder, bei der Stadt Dortmund angestellt.

Verbindungen: Im städtischen Kulturzentrum Dietrich-Keuning-Haus macht Aida Demirović-Krebs die Öffentlichkeitsarbeit und organisiert Veranstaltungen. Konzerte, Salsa-Abende, politische Vorträge, Ausstellungen, Basketball, Theater. Das Ziel: ein Haus, in dem alle miteinander sein können. „Es erfüllt mich, wenn ich sehe, dass ein 80-jähriger pottdeutscher Jürgen sich bei uns im Ehrenamt genauso wohlfühlt wie eine 15-jährige Romnja aus Rumänien, die seit zehn Jahren im Tanzkurs ist.“ Es bräuchte mehr solcher Geschichten, die verbinden, findet Aida Demirović-Krebs. „Ich habe diese Geschichten ja erlebt. Selbst im Krieg habe ich gesehen, dass nicht die einen nur gut und die anderen nur böse sind.“

Die Zeichnung zeigt das Haus der Familie in Bosnien und Herzegowina Foto: Fabian Ritter

Hoffnung: Demirović-Krebs möchte Zwischentöne finden, darin Gemeinsamkeiten erkennen und dafür verschiedene Perspektiven beleuchten. „Nur das kann uns weiterbringen.“ Mehrfach hat sie Austauschprogramme zwischen deutschen und bosnischen Schü­le­r*in­nen organisiert, ein Rom*nja- und Sinti*zze-Kulturfestival mitgestaltet und Angebote für geflüchtete Jugendliche entwickelt. Sie sei mit Geschichten vom Zusammenhalten aufgewachsen, sagt sie. „Mein Uropa zum Beispiel war bosnischer Imam. Als 1941 kroatische Faschisten viele serbische Mit­bür­ge­r*in­nen aus Banja Luka vertreiben wollten, hat er sich mit der Unterzeichnung einer Petition für ihren Schutz ausgesprochen.“

Familie: In den Nullerjahren war Demirović-Krebs Teil eines Fanklubs der bosnisch-herzegowinischen Nationalmannschaften mit Mitgliedern auf der ganzen Welt. „Ganz egal welche Sportart, wir sind überall hingefahren.“ Auf einer Stadiontribüne in Ungarn – dieses Mal ist es ein Handballspiel – lernte sie vor sechzehn Jahren Mario kennen. Einen Berliner, der mit Anfang zwanzig in ein bosnisches Dorf gezogen war, um dort für eine deutsche Firma zu arbeiten. Sie verlieben sich; sie führt dann eine Fernbeziehung mit dem Deutschen in Bosnien. Heute leben sie zusammen in Dortmund, haben ein gemeinsames Kind.

Heimat: Für ihr Kind ist Dortmund Heimat. Für sie selbst ist es Banja Luka. Mehrmals im Jahr fährt die Familie dort hin. „Ich möchte, dass mein Kind eine Verbindung zu meiner Heimat hat.“ Doch vor jeder Reise wägen sie ab, ob es gerade sicher ist. Milorad Dodik, der Präsident des bosnisch-serbisch verwalteten Landesteils, dessen Regierungssitz Banja Luka ist, droht immer wieder damit, die Region von Bosnien abzuspalten. Die Angst vor einem Krieg, sie ist immer noch da.

Zuhause: Dortmund ist für sie ein Zuhause geworden. Obwohl das amtliche Prozedere lange verhindert hat, dass das so sein kann. Die Abstimmung im Bundestag, bei der Friedrich Merz im Januar AfD-Stimmen in Kauf nahm, hat Spuren bei ihr hinterlassen. In einer Rede bezeichnete Merz die Demonstrierenden anschließend als Spinner, legte nahe, sie hätten nicht mehr alle Tassen im Schrank und sagte, die Zeit linker Politik sei vorbei. „Als ich das Video gesehen und mir vorgestellt habe, dass das der nächste Bundeskanzler wird, habe ich geweint“, sagt sie.

Weitermachen: Der gesellschaftliche Rechtsruck macht ihr Angst; sie lässt sich davon aber nicht lähmen. Sie sucht weiter nach dem, was die Menschen verbindet: Debatten, Jam-Sessions, Ausstellungen, Festivals. „Vielleicht mache ich diese Arbeit auch, um dem 13-jährigen Mädchen gerecht zu werden, das damals geschrieben hat, sie werde sich mit Liebe und Freundschaft am Krieg rächen“, sagt sie mit feuchten Augen.

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