Die Wahrheit: Vom Schlage Schontyp

Gesellschaft und Wahlkampf: Martin Schulz kämpft für die hart arbeitende Bevölkerung. Aber wer kämpft eigentlich für den Rest?

Brennendes Fahrzeug - ein Feuerwehrmann ist am Löschen

Für spektakulär agierende Feuerwehrleute ist Martin Schulz natürlich immer im Einsatz Foto: dpa

Jede Partei stellt bestimmte Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, und andere rücken damit in den Hintergrund. Das ist normal, das war schon immer so, seit Menschengedenken, so auch in der wieder auferstandenen, prosperierenden SPD.

Und so wird Kanzlerkandidat Martin Schulz nicht müde, bei jeder Gelegenheit ins Mikro zu speicheln, seine Partei kämpfe für die „hart arbeitende Bevölkerung, die sich an die Regeln hält“. Nimmermüde Krankenschwestern und wackere Feuerwehrmänner zählt er dabei gern auf. Bei vielen Menschen kommen die Wahlkampfparolen bestens an, zum Beispiel bei nimmermüden Krankenschwestern und wackeren Feuerwehrmännern. Aber nicht bei allen.

„Tja, Arschkarte!“, murrt Johannes Müller, Sportlehrer in Walsrode, Niedersachsen: „Und wer denkt an uns?“ Ein Uhr mittags. Frustriert schaut der 46-Jährige aus dem Butzenscheibenfenster des Chez Otto, nuckelt missmutig an seinem Feierabendbier. „Meine Kollegen und ich fühlen uns da schon sehr ausgeschlossen“, sagt der gemütliche Beamte auf Lebenszeit. Die eigenen Sorgen und Nöte blieben da total außen vor. „Jahrzehntelang habe ich für die Sozis gestimmt. Und jetzt? Ja, sind wir Arbeiter vom Schlage Schontyp denn plötzlich nichts wert?“

Wahlvolk zweiter Klasse?

Ausgeschlossen, ja geradezu stigmatisiert fühlt sich auch Investmentbankerin Uta Germsen aus Hamburg-Eppendorf. Die 33-Jährige wird bei dem Thema so wütend, dass sie beinahe ihr Tablet vom marmornen Coffeetable wischt: „Und was ist mit der Arbeit simulierenden Bevölkerung? Wer kümmert sich um uns?“

Was ist mit all jenen, die Arbeit nur simulieren? Wer kümmert sich um die?

Die Sozialdemokraten habe sie seit ihrem 18. Geburtstag immer gewählt, wenn auch nur, weil ihr Urgroßvater so­zial­demokratischer Widerstandskämpfer im Dritten Reich war. SPD sei für sie eben ein Stück Familientradition, mit der sie eigentlich niemals brechen wollte. Bis jetzt. „Nur weil ich in zwei Stunden mehr verdiene als eine Krankenschwester in zweihundert, bin ich Wahlvolk zweiter Klasse? Ja, wollen Sie mal meinen Burnout sehen? Wollen Sie?“ Vor wenigen Tagen hat sie sich einer anderen Partei zugewandt, die Leute wie sie gern willkommen heißt – der AfD.

Auch Viola van Hernandez, Low-Performance-Künstlerin aus Berlin, fühlt sich zutiefst verschmäht. Immerhin schiebe auch sie regelmäßige Nachtschichten, alle paar Wochen, wenn sie hier und da eine inspirierende Vision habe. „Ja, was ist denn überhaupt Arbeit? Und was harte?“, sinniert die clevere Kreative: „War nicht auch Thomas Mann in Low Performer, mit seinen vier Stunden pro Tag am Schreibtisch?“

Schwielig von den Peitschengriffen

Johannes, Uta und Viola sind nicht die Einzigen, die sich in diesen Wochen übergangen sehen. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger fühlen sich links liegen gelassen: Arbeitslose, Notare, Restauranttester, Souf­fleu­sen, abertausend Unternehmenserben mit übergroßem Freizeitdrang, Sascha Lobo sowie die gesamte Führungsriege der SPD. Ganze Branchen sehen sich diskreditiert. Der Verband Deutscher Immobilienmakler hat der SPD erst jüngst einen gepfefferten Brandbrief geschrieben.

Manch andere Berufsgruppen verorten sich jedoch anders. „Endlich sag’s mal einer! Endlich stehen wir hard working piepelz einmal fett im Fokus!“, nickt Lebensmittelspekulant Sebastian Hohlbein höchst zufrieden. „Arbeitszeiten von 10 bis 21 Uhr sind schließlich kein Pappenstiel! Auch wenn ich die Hälfte der Zeit Candy Crush spiele oder meine Vorhaut tacker.“ Etwas anders ist die Sachlage bei Guido Dödelbums. Seinen richtigen Nachnamen möchte der sensible 53-Jährige, der seinen Lebensunterhalt als Zuhälter in Hamburg-St. Pauli verdient, lieber nicht in der Zeitung lesen. „Hart arbeiten tu ich ja, aber klaro! Schauen Sie sich meine Hände an, schwielig von den Peitschengriffen. Aber hmm, mit den Regeln hapert’s noch ein bisschen …“, gibt die Kiezgröße im Flüsterton zu. Deshalb habe er sich jetzt eine neue Partei gesucht, mit der er sich vollauf identifizieren könne. Der Wahl-O-Mat habe ihm gerade erst die Grünen empfohlen. „Warum nicht? Zu den Besserverdienenden zähl ich ja locker!“, räumt der Ex-­SPD­ler freudig ein.

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kari

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