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Durchsuchung wegen TweetDas wache Auge der Staatsanwaltschaft

Die Berliner Staatsanwaltschaft durchsucht die Wohnung des Publizisten Norbert Bolz. Der Grund: Ein Tweet. Was die taz damit zu tun hat? Nichts. Fast.

Medienwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Bolz Foto: Karlheinz Schindler/dpa

Am Donnerstagmorgen klingelte die Polizei beim Publizisten und Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Sie hatte einen Durchsuchungsbeschluss des Amtgerichts Tiergarten dabei. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Publizisten eine strafbare Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor, konkret: eine nationalsozialistische Parole.

Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte der taz, dass der Grund für den Durchsuchungsbeschluss tatsächlich ein Tweet war, den Bolz am 20. Januar 2024 auf der Plattform X veröffentlicht hatte: „Gute Übersetzung von ‚woke‘: Deutschland erwache!“.

Diesen Satz hatte Bolz als Reaktion auf einen Tweet der taz gepostet, die wiederum einen Kommentar zur AfD-Verbotsdebatte mit der Überschrift „Deutschland erwacht“ auf X angekündigt hatte.

Die Staatsanwaltschaft sagte der taz, Norbert Bolz habe sich bei der Durchsuchung „kooperativ“ gezeigt. Der hatte den Vorgang auf X seinerseits so publik gemacht: „Hausdurchsuchung wegen eines Posts. Junge, nette Polizisten, die mir abschließend den guten Rat gegeben haben, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Das werde ich tun und nur noch über Bäume sprechen.“

Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte die Durchsuchung zur Sicherung von Beweisen angeordnet. Aufmerksam gemacht wurde sie durch die beim BKA angesiedelte ZMI, der Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet. Dort können Plattformbetreiber und Bürger Inhalte melden, die sie für strafbar halten. Die Entscheidung, ob in diesem Fällen überhaupt weiter ermittelt wird, liegt bei der Staatsanwaltschaft.

Die taz wundert sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, hält eine Hausdurchsuchung wegen eines solchen Tweets für unverhältnismäßig und fragt sich, warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der taz geklingelt hat, als wir titelten „Deutschland, erwache!

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15 Kommentare

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  • Nett, dass die TAZ sich am Ende kollegial zum journalistischen Fairplay bekennt und völlig überzogene Reaktionen des Staates als Angriff auf die Meinungsfreiheit aller kritisiert, auch wenn ein Debattengegner betroffen ist.

  • Beim Lesen des Tweeds kam mir sofort der Gedanke, dass man bei der Haudurchsuchung wohl nach bewustseinstrübenden Substanzen gesucht hat. Eine andere Rechtfertigung fällt mir nicht ein.

    Und an die taz: Naziparolen verbreitet man nicht. Auch nicht leicht verändert.

  • Autor bekannt, Tweet gesichert - was zur Hölle soll da eine Rechtfertigung für eine Hausdurchsuchung liefern?



    Fast zwei Jahre später vor allem...



    Sehr positiv das die taz hier das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Frage stellt und es nicht einfach so durchwinkt.



    Was Bolz zu diesem Tweet ritt ist mir schleierhaft, als verkappten Rechtsradikalen habe ich ihn nie wahrgenommen.

    • @Saskia Brehn:

      Daran ist weder etwas rechtsradikal noch verkappt.

    • @Saskia Brehn:

      Vielleicht hatte Herr Bolz ja einfach ein Glas Wein zu viel getrunken und wollte der TAZ zeigen, was er von ihrem Humor hält! 🤷🏻‍♀️

      • @gleicher als verschieden:

        Irgendwie sowas wirds gewesen sein

  • Insbesondere mit dem letzten Absatz habt ihr bei mir etwas verlorenes Vertrauen zurückgewonnen. Danke. Mehr davon!

  • Immer häufiger fragt man sich geht's noch....

    Bedenklich bis sehr Bedenklich was hier die Staatsanwaltschaft als strafbar einstuft und eine Hausdurchsuchung als notwendig erachtet und Gefahr im Verzug sieht.

    So darf es nicht weitergehen, hier wird die Redefreiheit, die Meinungsäußerung in Frage gestellt.

    Ps. Die Nazis haben bestimmt irgendwann und irgendwo behauptet 1 und 1 = zwei......ist diese " Behauptung" auch Nazi verseucht und damit strafbar? Hat die Presse nicht auch schon die Grüne Frontfrau K. Dröge mit ihrer Aussage " Jedem das Seine " in die Nazi Ecke gestellt....unvorstellbar in Deutschland etabliert sich still und leise eine Sprachpolizei, fühlen sich Staatsanwaltschaften zu einer Durchsetzung von " was darf ich sagen" berufen.

    Und die Presse schweigt bis applaudiert....unerträglich.

    Hier in meinem in unserem Land darf die äußerst Linke die Räterepublik diskutieren bis fordern, darf die äußerst Rechte einen Heimatland Begriff ausreizen. Darf es Menschen geben die eine linke Volksfront diskutieren, dürfen Prepper zu Wort kommen, sogar wirklich idiotische Monarchisten sich zu wortmelden.

    Das hält, muss die Gesellschaft aushalten.

  • „Wenn es morgens um 06.00 an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe“ - Winston Churchill

  • Die Losung „Deutschland erwache“ ist, wie vieles aus dem Propaganda-Arsenal der Hakenkreuzler, aus dem historischen Steinbruch aus anderen Kontexten herausgeklaubt und für eigene Zwecke neu montiert. Sie rekurriert doppeldeutig auf die Erweckungsbewegung als „religiöse Erneuerungs- und Frömmigkeitsbewegung mit einer fundamentalistischen Ausrichtung und großem Missionseifer" in ihrer säkularen Ausformung als „politisch-ideologische Bewegung mit dogmatisch-fundamentalistischer Ausrichtung und starkem Sendungsbewußtsein" (DWDS). Gemeinsam ist ihnen allen die paternalistische Prätention, die aus irgendwelchen Gründen „Schlafenden“ wachzurütteln und hinter oder besser unter sich zu kollektivem Sprechgesang zu versammeln.

    In gewisser Hinsicht ist ihr die „Aufklärung“ (franz. „Lumières“) etc. nicht ganz unähnlich. In der sozialistischen Arbeiterbewegung taucht dieses Motiv in der „Internationale“ auf: „Wacht auf! Verdammte dieser Erde!“. Ein bekanntes Becher Poem lautet „Er rührte an den Schlaf der Welt - Lenin“. Auch der Wokismus steht letztlich in dieser größeren Traditionslinie.

    Insofern ist an dem „Erwache“-Ruf für sich nichts spezifisch Faschistisches, erst im verlogenen Kontext.

  • Hört sich an, als hätte die taz tatsächlich Mitleid mit dem rechten Volksverhetzer.

  • Niemand hat die Absicht, die Presse- oder Meinungsfreiheit einzuschränken.

  • „Bestrafe einen, erziehe hunderte" (Mao Zedong)

  • Ich freue mich über euren fairen Artikel zu diesem Vorgang.Selbst wenn man Bolzens Twitterwitz gar nicht so witzig findet, wie er sich das gedacht hatte, ist aber das Vorgehen der Staatsanwaltschaft noch viel weniger witzig.Auch der Rat der Polizei an ihn in Zukunft vorsichtiger zu sein: nicht witzig, ausser sie war augenzwinkernd gemeint, was schon möglich ist. Die Antwort darauf ,er werde in Zukunft mit Bäumen reden, fand ich dann aber schon wieder witzig.

  • Zitat:



    „ warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der taz geklingelt hat, als wir titelten „Deutschland, erwache“

    Es könnte sein, dass Staatsanwaltschaften auf dem linken Auge nicht so gut sehen….