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Einreise von Af­gha­n:in­nenInternationale Aufmerksamkeit als vielleicht einziger Schutz

Gastkommentar von Martin Sökefeld

50 Af­gha­n:in­nen dürfen nach Deutschland einreisen. Doch die Mehrheit der von den Taliban bedrohten Personen wartet noch immer auf ein Visum.

Sie haben Glück: Die afghanische Familie hat eine Aufnahmezusage für Deutschland; noch steht sie am Flughafen in Islamabad Foto: Nabila Lalee/dpa

D ie Erleichterung über die etwa 50 gefährdeten Afghan*innen, die nun nach Deutschland einreisen können, darf nicht vergessen lassen, dass für die Mehrheit derjenigen, denen die Bundesregierung einmal Schutz versprochen hat, die nervenaufreibende Unsicherheit weitergeht. Zur Erinnerung: Nur die durften jetzt kommen, die erfolgreich auf die Erteilung von Visa geklagt haben. Über 2.000 Af­gha­n*in­nen warten noch auf Visa – und die Bundesregierung setzt nach wie vor alles daran, ihre Einreise zu verhindern.

Vor allem dürfen die über 200 Af­gha­n*in­nen nicht vergessen werden, die vor Wochen von Pakistan nach Afghanistan abgeschoben wurden. Wie bei allen anderen handelt es sich um Menschen, die sich in Afghanistan für Freiheit, Rechte und Demokratie engagiert hatten und das Land verlassen mussten, um der Verfolgung durch die Taliban zu entkommen. Die Verzögerungstaktik der Bundesregierung hat ihre Abschiebung erst möglich gemacht. Sie hätten längst nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden müssen.

Die Abgeschobenen sind in Kabul in einem Hotel untergebracht, das von der GIZ finanziert wird, aber unter der Kontrolle der Taliban steht. Ihre Namen sind den Taliban bekannt. Eine Afghanin, die dort mit ihren vier Kindern ausharren muss, berichtet, dass Taliban-Wachen vor dem Hotel stünden, und dass schon mehrfach Vertreter des gefürchteten „Tugendministeriums“ versucht hätten, in die Zimmer einzudringen. Die Abgeschobenen dürfen die Zimmer nicht verlassen. „Es gleicht einem Gefängnis“, schreibt sie, „wir leben in ständiger Angst.“

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Bei der Abschiebung durften sie nichts mitnehmen, keine Kleidung, keine Dokumente. Ihre Pässe sind noch in der deutschen Botschaft in Islamabad unter Verschluss. Das Auswärtige Amt sagt, es bemühe sich um ihre Rückkehr nach Pakistan. Wie das geschehen soll, ist schleierhaft. Die pakistanische Regierung hat oft betont, keine Abgeschobenen wieder ins Land zu lassen. Internationale Aufmerksamkeit ist vielleicht ihr einziger Schutz vor den Taliban.

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15 Kommentare

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  • Einerseits Einzelschicksale. Berührend, betroffen machend, real, und es wäre sicher humanitär das Mindeste, die Menschen rauszuholen und ihnen eine Zukunft zu ermöglichen.

    Andererseits eine völlig überforderte Zivilgesellschaft in D.



    Renten sollen gekürzt werden, Menschen sollen idealerweise bis zur Bahre arbeiten, das in einem langen Arbeitsleben Erarbeitete soll durch den Staat kassiert werden (Erbschaftssteuer), etc..

    Wie soll das bitte vermittelt werden?

    Dieser Staat braucht Lösungen nicht nur für das Elend der Welt, sondern auch für die eigene Bevölkerung. Es kann nicht sein, dass immer nur die Arbeitenden in diesem Gemeinwesen herangezogen werden. Es müssten auch mal die sein, die leistungslos leben. Oben und unten in der Gesellschaft.

    Dann klappt es vielleicht auch mit der Bereitschaft zu Humanität. Weil es berechtigterweise als gerecht empfunden würde.

  • Ein Versprechen nicht einzuhalten, obwohl dadurch das Leben der betreffenden Personen bedroht ist, ist ehrlich gesagt ziemlich abscheulich.

  • Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute entschieden, dass eine Aufnahme fest zugesischert sein muss; eine signalisierte grundsätzliche Aufnahmebereitschaft reicht dagegen nicht ausreicht.

    Bei den derzeit noch ungeklärten Fällen ist also zu unterscheiden, ob bereits die Aufnahme zugesichert oder nur in Aussicht gestellt worden ist.

  • Damit beweisst die aktuelle Regierung mal wieder das Sie nicht für die Demokratie einsteht, sondern sich die regierenden Politiker nur in der derzeitigen demokratischen Verfasstheit unseres Staates sonnen, und alle anderen auf dieser Welt, die sich für demlkratische Verhältnisse einsetzen in keinster Weise unterstützt.



    Da werden sich zukünftig sicher keine Ortskräfte mehr finden die unsere Soldaten untestützen werden. Wer will da schon zur Biundeswehr gehen und auf verlorenden demokratzischen Posten kämpfen.

  • ich schäme mich für meine volksvertreter, die das verursacht haben

  • Haben sich die Menschen verachtenden Politikversager eigentlich mal überlegt, was dieses Vorgehen für einen möglichen Einsatz der Bundeswehr für kommende Auslandseinsätze bedeutet?

    Ich bin mal gespannt, wie so ein Einsatz ganz ohne Ortskräfte laufen wird, denn wenn man weiß, dass man danach im Stich gelassen und an die ausgeliefert wird, die einen ermorden wollen, wird sich niemand mehr finden, der freiwillig die Bundeswehr unterstützt.

    Herzlichen Glückwunsch an die Politikversager im Bundestag, einmal mehr habt ihr bewiesen, dass ihr nicht weiter denkt als von der Tapete bis zur Wand!

    • @Truhe:

      >für kommende Auslandseinsätze<

      Der Afghanistan-Einsatz war der Versuch, einer fremden Gesellschaft westliche Werte überzustülpen.

      Es wäre nur zu begrüßen, wenn es solche Auslandseinsätze zukünftig nicht mehr gäbe.

      • @A. Müllermilch:

        Auch wenn es zu begrüßen ist, wenn es solche Auslandseinsätze zukünftig nicht mehr GÄBE (das sehe ich genauso), sollte man möglichst alle Eventualitäten in seine Überlegungen einbeziehen und dazu gehört definitiv auch, nicht die Möglichkeit auszuschließen, dass es zu solchen Einsätzen kommen KÖNNTE.

      • @A. Müllermilch:

        Ach, so vermeintlich fremd sind uns die meisten Afghanen gar nicht. Aber es passt halt gut ins kulturrelativistische Herauswinden aus allen Konflikten, wenn man meint, das "die Anderen" ihre politische und gesellschaftliche Lage quasi selbstgewählt hätten.

        Ohne die Reeducation der 40er und 50er hätten es die paar echten alten Demokraten hier auch schwer gehabt.

      • @A. Müllermilch:

        Genauso ist es.

        Man hätte niemals nach Afghanistan gedurft. Wir hatten da nichts verloren.

        Was wären allen erspart geblieben, wenn nan nicht mit "uneingeschränkter solidarität" den US geführten Rachefeldzug unterstützt hätte.

        Für Joschka Fischer " I'm not convinced", können wir ewig dankbar sein. Sonst hätten wir auch den Iraq mitverwüstet.

  • "Die Abgeschobenen sind in Kabul in einem Hotel untergebracht, das von der GIZ finanziert wird, aber unter der Kontrolle der Taliban steht"



    Also, wenn das CDU-gefürhrte AA mit den Taliban spricht ist das schlecht, wenn das SPD-geführte BMZ die Taliban finanziert gibt es dafür keine Kritik? Selektive Wahrnehmung..!

    • @Peter Wenzel:

      selektive Wahrnehmung ist für mich, wenn man die zu beschützenden Menschen nicht in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt.

      Menschen nach Afghanistan auszuliefern ist genau das Gegenteil von Menschen vor den Machthabern beschützen zu wollen.

  • Wortbrüchiges Deutschland. Kann man sich nur für schämen...

    • @Jutta Steiwer:

      Genau! Wo sind die westlichen Werte, auf die wir ja so stolz sind?



      Was ist damit, Wort zu halten?



      Nur, wenn es innenpolitisch nützlich erscheint?

      • @Martina Nicolai:

        Der Haken ist wohl, dass älteren Artikeln zufolge die Auswahl durch eine Institution erfolgte, die unzuverlässig arbeitete und islamistische Prediger und ähnliche Leute auf die Liste gesetzt haben.

        Also Leute, die nicht für die Bundeswehr gearbeitet oder sich für Menschenrechte eingesetzt haben, sondern das Gegenteil vertreten.

        Man kann diese Menschen unter den mehr als 2000 Personen vermutlich nicht identifizieren.

        Deshalb hat wohl bereits die Ampel die Zusage nicht umgesetzt.

        Für die Innenpolitik wäre es fatal, wenn jemand aus diesem Programm einen Anschlag begeht oder organisiert.

        Da können Sie bei der nächsten Wahl gleich noch mal 5 -10 % für die AfD draufschlagen.

        Von den zu verantwortenden Toten will ich gar nicht reden.