Ende der Gaslaternen: Der Letzte macht das Licht aus

Der Abbau abertausender Berliner Gaslaternen ist beschlossene Sache. Ein Verein kämpft dagegen an.

Und aus: Berliner Nachthimmel ohne Gaslaterne. Bild: dpa

Wer in einer Berliner Sommernacht unter einer Gaslaterne innehält, kann es bisweilen erleben: ein kaum wahrnehmbares Schwanken der Helligkeit, eher ein Atmen als ein Flackern. Und der durch Turbulenzen im strömenden Gas hervorgerufene Effekt ist nicht die einzige Besonderheit dieses Lichts. Warm ist es und gelb – wie Honig, sagen manche. Es funkelt. Fast möchte man sagen: Gaslicht lebt. Dabei stirbt es gerade.

Denn der Senat plant nichts Geringeres als die Abschaffung des riesigen Bestands an Gaslaternen. Bis 2020 will er das umsetzen: Dann sollen die allermeisten der rund 44.000 gasbetriebenen Straßenlaternen durch elektrische ersetzt worden sein. Punktuell hat der Abriss bereits begonnen. Dagegen stemmen sich Bürger, die das Gaslicht für ein erhaltenswertes Kulturgut und ein regelrechtes Berliner Wahrzeichen halten – auch wenn diese Beleuchtungstechnologie mehr Energie verbraucht als modernere Methoden. Diesen Samstag endet die Unterzeichnungsfrist für eine Petition, die den Verlust der Gasbeleuchtung aufhalten soll.

Die „Gaslichtkieze“

In den Niederlanden fing es an: Der Wissenschaftler Johannes Petrus Minckeleers extrahierte Leuchtgas aus Steinkohle und entwickelte 1785 die erste Gaslampe. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts beleuchteten erste Gaslaternen die Pall Mall in London. Von dort breitete sich das Gaslicht auf dem Kontinent aus. Allerdings vergingen noch Jahrzehnte, bis die Glühstrumpf-Technologie eine deutlich verbesserte Lichtausbeute ermöglichte. Vorher erzeugten rußende Gasflammen in den Lampen reichlich funzeliges Licht.

Berlin gehörte zu den ersten deutschen Städten mit eigenständiger Gasindustrie. Die britische Imperial Continental Gas Association erzeugte Stadtgas aus Kohle. Einige der gewaltigen Gasometer, in denen das Gas gespeichert wurde, stehen noch - das Schöneberger Exemplar beherbergt heute das Talkstudio von Günther Jauch.

Im Jahr 1995 war die Stadtgas-Ära zu Ende, seitdem strömt Erdgas durch die Leitungen. Mit knapp 44.000 Laternen ist Berlin quasi Weltmetropole des Gaslichts. Nennenswerte Bestände haben in Deutschland auch Düsseldorf (18.000), Frankfurt am Main (5.700) und Mainz (ca. 3.000).

Wer Gaslaternen aus aller Welt auf engstem Raum betrachten will, kann das Gaslaternen-Freilichtmuseum im Tiergarten besuchen. (clp)

Wenn Bertold Kujath über seine Leidenschaft spricht, verwendet er Begriffe, die man noch nie gehört hat: „Gaslichtkiez“ zum Beispiel. Gaslichtkieze, erklärt der Vorsitzende des Vereins Gaslicht-Kultur, der hinter der Petition steckt, das sind Viertel, deren Straßen flächendeckend mit Gas beleuchtet werden. Davon hat Berlin eine Menge, fast alle im Westteil. Kujath kennt jedes Detail der vier gängigen Gaslaternentypen: Modellleuchte, Aufsatzleuchte, Hängeleuchte, Reihenleuchte. Die Reihenleuchte ist die jüngste, sie wurde in den 1950er Jahren entwickelt, als entschieden wurde, das Westberliner Gasnetz nicht stillzulegen wie in den meisten westdeutschen Städten. In der Blockadestadt wollte man nicht zu sehr vom Stromimport abhängig sein.

Jetzt sollen die Reihenleuchten als erste von ihren Peitschenmasten geholt werden – vielleicht auch, weil sie nicht die nostalgische Anmutung der noch von Schinkel entworfenen Modellleuchten haben. Für Kenner ist die Reihenleuchte mit ihrem tropfenförmigen Glaskörper eine Ikone moderner Stadtmöblierung – elegant, aber aus robusten Materialien gefertigt.

Auch die Reihenleuchte will Bertold Kujath retten. Aber der 52-Jährige, der am Treffpunkt an einem großen Gaskandelaber in der Charlottenburger Schloßstraße mit langem Haar unterm Helm auf dem Fahrrad erscheint, wirkt ohnehin nicht wie einer, der die gute, alte Zeit verklärt. Er will nur nicht, dass ein Kulturdenkmal vernichtet wird: „Die Gasbeleuchtung ist ein wichtiges Zeugnis innovativer Berliner Industriegeschichte“, sagt er, „sie würde sogar den Status eines Weltkulturerbes rechtfertigen.“

Der gebürtige Berliner ist so lange mit dem Thema vertraut wie kaum ein anderer: Schon 1985 sollten Westberlins Gaslaternen abgeschafft werden – nicht in einem Rutsch, sondern nach und nach im Rahmen von Straßensanierungen. Kujath und andere gründeten eine Bürgerinitiative, aus der später der Verein hervorging, sie sammelten Unterschriften und erkämpften den Stopp von bevorstehenden Laternenabrissen in Tempelhof und Charlottenburg. Nach der Wende beschloss das Abgeordnetenhaus: Die Gasbeleuchtung sei langfristig zu erhalten.

Bei diesem Beschluss aber blieb es nicht. Vor einigen Jahren wurden wieder Stimmen laut, den Gashahn zuzudrehen. Inzwischen waren Argumente hinzugekommen: Es ging um Energiebilanzen und Klimaschutz. 2007 beschloss die rot-rote Koalition das Ende der Gaslaternen bis 2020. Diese Position überstand auch den Regierungswechsel im vergangenen Herbst. Unter der Überschrift „Berlin im richtigen Licht“ heißt es nun in der rot-schwarzen Koalitionsvereinbarung: „Aus klimapolitischen Gründen, wie auch wegen der Kostenentwicklung wird die Koalition den Gasleuchtenbestand auf Elektroleuchten umrüsten, mit Ausnahme der historischen und denkmalgeschützten Gasleuchten.“

Ein kleiner Restbestand soll also erhalten bleiben. „Wir wollen versuchen, von jeder Leuchtenart etwas zu bewahren“, sagt Petra Rohland, Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD). „Aber die Stadt muss kein Museum werden.“ Umweltschutz habe heute „eine Größenordnung, die man vor 50 Jahren nicht bedacht hat“. Deshalb, so Rohland, sei die Entscheidung richtig, auch wenn die Kritik lauter werde.

Rohland kann den Modernisierungdruck mit Zahlen begründen. Sie rechnet vor: Die noch vorhandenen rund 8.000 Gasreihenleuchten verbrauchen im Jahr 48,7 Gigawattstunden (GWh), elektrisch betriebene Laternen – bei gleichem Beleuchtungsniveau – nur 1,4 GWh. Auf die Energiekosten und die einzelne Leuchte heruntergebrochen bedeute das: 550 Euro pro Laterne und pro Jahr. Die zum Ersatz erkorenen Elektrolampen, Modell „Jessica“, schlügen gerade mal mit 50 Euro zu Buche. Zudem müssten die Gasglühkörper – vulgo: Glühstrümpfe – in Indien gekauft werden, weil sie hierzulande niemand mehr herstelle. „Das ist doch ein Wahnsinn.“

Gasleuchten-Aktivist Kujath könnte angesichts solcher Rechnungen senkrecht den Mast hochgehen. „Auf diese Zahlen kommen wir nicht“, sagt er und erklärt das auch: Die Verwaltung komme auf 550 Euro, weil sie den Gasverbrauch einer neunflammigen Reihenleuchte zugrunde lege. Der größere Teil der Reihenleuchten arbeite aber nur mit vier oder sechs Glühstrümpfen und verbrauche entsprechend weniger. Für Berlins häufigsten Leuchtentypus, die Aufsatzleuchte, gelte das sowieso. Aber Kujath hält ohnehin wenig von der Informationspolitik der Behörden: „Der Senat macht seine Berechnungen nicht transparent. Nachprüfen kann man das alles kaum.“

Auch einen logischen Fehler hat Kujath in der Argumentation der Senatsverwaltung entdeckt: „Gas ist eine Primärenergiequelle, die in der Leuchte eins zu eins in Licht umgewandelt wird“, erklärt er. Werde mit Strom geleuchtet, fielen aber zwei Umwandlungsprozesse an: die des Energieträgers in elektrischen Strom und die des Stroms in Licht. Eine Rechnung, die Felix Serick vom Fachbereich Lichttechnik an der TU Berlin bestätigen kann – auch wenn die Energiebilanz der Gasleuchten eindeutig schlechter ausfällt: „Bei der Verwendung modernster LED-Technik dürfte die Lichtausbeute 25-mal höher ausfallen als bei einer Gasleuchte“, schätzt Serick. Wobei noch offen ist, wann in Berliner Straßenlaternen tatsächlich LEDs leuchten. Modell „Jessica“ arbeitet mit quecksilberhaltigen Leuchtstoffröhren.

Was Serick ebenfalls bestätigen kann: Gasleuchten erzeugen ein angenehmes Licht: „angenehm schummrig“, um genau zu sein. Ein klarer Vorteil der Gasverbrennung ist dabei das kontinuierliche Farbspektrum, das der Qualität von Sonnenlicht ähnelt – natürlich unendlich viel schwächer. Leuchtstofflampen dagegen mischen letztlich nur Primärfarben, um den Eindruck „weiß“ zu erzeugen. Auch die LED-Technik arbeitet so, weiß Serick – wobei der Trick darin bestehe, blaues Diodenlicht durch Leuchtstoffe zu schicken, die rote und gelbe Komponenten hinzufügen. Die Lichtausbeute, das nur am Rande, leidet darunter freilich wieder.

Dem Laien erschließt sich schnell, dass die Frage „Gaslicht oder nicht?“ nicht so einfach zu beantworten ist. In Sachen Ästhetik liegt das Gas vorne, während der energetische Nachteil offenkundig ist. Andererseits: Wie groß ist eigentlich der Energieaufwand, mit dem die Elektroleuchten her- und aufgestellt werden? Immerhin muss man Hunderte Straßen und Gehwege aufbaggern, Material transportieren, Leitungen verlegen, Schrott entsorgen. Wann amortisiert sich da rein klimatechnisch die anschließende Ersparnis? Und wenn man die Gasleuchten mit Biogas betriebe? Kujath hat noch ein Öko-As im Ärmel: Gaslicht schont die Fauna. Im Gegensatz zu Licht aus Leuchtstoffröhren oder LEDs hat es praktisch keinen UV-Anteil. Viele Insekten können aber nur ultraviolettes Licht sehen. Deshalb schwirren sie sich an elektrischen Lampen massenhaft zu Tode. Um Gaslaternen kreisen keine Falter.

Die Petition „Gaslicht ist Berlin!“ befindet sich im Endspurt, bis Samstag wird Bertold Kujath vermutlich rund 15.000 Unterschriften gesammelt haben. Dass der Senat deshalb seine Politik über den Haufen wirft, glaubt auch er nicht. Die Petition fordert ja auch nur ein Abbau-Moratorium und einen „Masterplan Gaslicht“, den Fachleute und Bürger erarbeiten sollen. Am Ende könnte immer noch eine Reduzierung des Gasleuchtenbestands stehen – aber eben auch der Erhalt geschlossener „Gaslichtkieze“ ohne „weiße Lichtschneisen“ aus Elektrolicht. Mit welchem Restbestand sein Verein leben könnte? „Da legen wir uns zahlenmäßig nicht vorher fest“, betont Kujath. Er weiß inzwischen einige namhafte Organisationen hinter sich, wie die Stiftung Denkmalschutz und den europäischen Denkmalschutzverband „Europa Nostra“.

Als „Stimmungsbarometer“ betrachten die Gaslicht-Aktivisten ihre Petition. Könnte ein Volksbegehren folgen? In der Senatsverwaltung wartet man gelassen ab. Sprecherin Rohland bezweifelt, dass „eine stadtweite Mehrheit bereit wäre, viele Millionen Steuergelder auszugeben“, die sich durch Umrüstung einsparen ließen. „Da gibt es drängendere Probleme.“ Bertold Kujath für seinen Teil will sich nicht festlegen „Das ist noch offen“, sagt er, „wir werden das diskutieren“. Er klingt nicht abgeneigt.

Online zur Petition:
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.