Film über Josef Mengele: Sein Hund hört ihm noch zu
Kirill Serebrennikow versucht in seinem Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“ das Porträt eines NS-Täters zu zeichnen. Erkenntnisse zu Mengeles Haltung liefert er kaum.
Eine Tätergeschichte darf kein Heldennarrativ sein. Das ist Voraussetzung. Das Kino darf Täter:innen, insbesondere den uneinsichtigen, keinen Raum lassen, um sich (und ihre menschenverachtenden Ideologien) auszubreiten. Erzählen muss es sie und ihre Taten aber schon. Denn die Täter:innen sind lebenslang mit den Opfern und ihrem Leid verbunden, es wäre Geschichtsverfälschung, das zu verschweigen.
Und, der bitterste Grund, im Gegensatz zur Qual der Opfer ist Täterverhalten kaum oder gar nicht nachvollziehbar. Um dennoch zu begreifen, dass es vorkommt, um auszuschließen, dass es sich wiederholt, kann eine Tätergeschichte also hilfreich sein.
Weil das Heldennarrativ eines der Fundamente des Kinos ist und das Publikum seine Protagonist:innen meist automatisch als Held:innen wahrnimmt – schließlich basieren viele Filme auf der archetypischen Grundstruktur der Heldenreise –, sind die Beziehungen zwischen Porträt, Heroisierung und Sprecherperspektive komplex.
„Das Verschwinden des Josef Mengele“. Regie: Kirill Serebrennikow. Mit August Diehl, Max Bretschneider u. a. Deutschland/Frankreich 135 Min.
Nach dem Holocaust wurde vielfach versucht, von den monströsen Taten der Deutschen zu berichten, ohne sich den Vorwurf einzufangen, man unterläge einer Faszination. Neben Claude Lanzmann ist das vor zwei Jahren dem Briten Jonathan Glazer besonders gut gelungen – sein „The Zone of Interest“ war ein beklemmendes Täterprofil, kein Porträt; seine indirekte, über die Tonebene gehende Veranschaulichung der Verbrechen, die unter Rudolf Höß’ Kommando in Auschwitz begangen wurden, verzichtete sogar weitgehend auf die Präsentation fiktionaler Opfer. Denn eine fiktionale Beschreibung kann dem wahren Horror eh nie gerecht werden.
Film spielt in den 50er Jahren
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow, der sich bereits einigen Menschen über Porträts genähert hat – sein Theaterstück über Rudolf Nurejew wurde im homophoben Russland geächtet; seine Filme „Leto“ über den Rockmusiker und Dichter Wiktor Zoi und „Madame Tschaikowski“ liefen in Cannes –, hat für seine filmische Adaption eines Romans über den Kriegsverbrecher Josef Mengele ebenfalls die Distanz gewählt: Sein schwarz-weißer Film spielt in den 50ern, in denen Mengele, der über die „Rattenlinie“ nach Argentinien flüchtete, unter falschem Namen dort lebt; und in den 70ern, als Mengeles Sohn ihn noch einmal besuchen kommt.
In den 50ern zeigt der Film August Diehl als Mengele vor dem Spiegel, er streicht sich über den nackten Körper und kneift sich in den Hintern. 1977 schimpft er vor dem Fernseher auf die Amerikaner, die die „deutsche Kultur ausrotten“, und sagt zu seinem Hund „Wir haben’s ja versucht!“.
Serebrennikow zeigt Mengele bei rammelndem Sex mit der Frau, auf deren Hof er wohnt, Mengele beleidigt sie danach. Er schwingt Sprüche, an denen er sich festhält: „Gewissen ist eine Krankheit, die sich schwache Menschen ausgedacht haben, um das Handeln zu blockieren und den Willen lahmzulegen.“
Ambivalente Gefühle
Diehl spielt ihn, ohne sich anzubiedern und mit einer sturen Hingabe, die zur Verbohrtheit des Mörders zu passen scheint. Dennoch verursacht Serebrennikows Werk ambivalente Gefühle: Wieso spricht niemand der Deutschen einen Akzent, der die Herkunftsunterschiede der Täter aufgreifen, und damit Deutschlands Intention des „einig Vaterlands“ deutlich machen würde?
Wieso gibt es inszenierte 16-mm-Farbsequenzen der von Mengele durchgeführten, grausamen Experimente an Menschen, die so echt wirken, dass ausländische Kritikerkolleg:innen sie für historisches Material hielten? Was soll mit der körperlichen Nähe erreicht werden, die der Film herstellt?
„Das Verschwinden des Josef Mengele“ ist kein Heldennarrativ. Aber der Film liefert auch kaum Erkenntnisse zu Mengeles Haltung oder Taten. Stattdessen bleibt das Gefühl, dass Mengele, wie so viele seiner Landsleute, verdrängen konnte, was passiert ist. Und das ist weder überraschend, noch hilft es weiter.
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