Film „The Zone of Interest“: Angst und Unbehagen

Jonathan Glazers Spielfilm „The Zone of Interest“ sticht aus den Filmen über den Holocaust heraus. Statt Grauen zu zeigen, macht er Schrecken hörbar.

Eine Frau mit Baby beugt sich zu einem Blumenbeet herunter

Gepflegte Beete: Hedwig Höß (Sandra Hüller) in „The Zone of Interest“ Foto: Leonine

Leid darzustellen, ist komplex. Versuche gibt es zuhauf: In dokumentarischen Erzählungen lässt man Fakten, zum Beispiel Bilder, für sich sprechen. Was darauf genau für wie lange oder wie deutlich gezeigt wird, ist Ermessenssache und sensibel.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Die fiktionale Erzählung verbildlicht Leid dagegen oft über einen narrativen Weg von Sympathie und Empathie: Die erdachte Helden- wird durch ihre Handlung zur Identifikationsfigur, das Publikum mag sie und bangt um sie. Wird ihr ein Leid zugefügt, fühlt es mit. Und empört sich über die Verantwortlichen.

Was einem ganzen Volk, was sechs Millionen Jüdinnen und Juden beim Holocaust von den Deutschen angetan wurde, lässt sich fiktional besonders schwer erfassen. Groß ist die Gefahr, durch eine aufgesetzte Erzählung einerseits den realen Opfergeschichten nicht gerecht zu werden und sie andererseits zum Zwecke einer Form der „Unterhaltung“, zu der die Fiktion gezählt wird, auszubeuten, zu „trivialisieren“.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs streitet man über die Frage einer „angemessenen“ Darstellung ebenso wie über die Verpflichtung gegenüber Überlebenden und Angehörigen der Opfer, die Erinnerung aufrechtzuerhalten.

„The Zone of Interest“. Regie: Jonathan Glazer. Mit Sandra Hüller, Christian Friedel u. a. USA/Vereinigtes Königreich/Polen 2023, 106 Min.

Unzählige Spielfilme und Serien zum Thema entstanden und entstehen dennoch: Eugen Yorks Drama „Morituri“, wie viele andere Werke danach produziert von Artur Brauner, erzählte 1948 von einem Arzt, der Häftlingen in einem Konzentrationslager zur Flucht verhilft; Frank ­Beyers Defa-Spielfilm „Nackt unter Wölfen“ von 1963 spielt im Konzentrationslager Buchenwald.

Der Holocaust im Film

Andrzej Wajda, Roberto Benigni, Alan J. Pakula, Volker Schlöndorff und Paul Mazursky beschäftigten sich in fiktiven Werken mit dem Thema; Steven Spielberg, Jerzy Hoffman, Agnieszka Holland oder Anna Justice inszenierten fiktionalisierte, auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichten. Marvin J. Chomskys Fernseh-Miniserie „Holocaust“ drehte sich um eine imaginäre jüdische Arztfamilie und war – nachdem ihre Ausstrahlung lange in Frage stand – Ende der 1970er Jahre ein wichtiger Punkt, wenn auch noch lange kein Meilenstein in der hiesigen gesellschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.

Doch egal, ob die Dargestellten historische oder sinnbildliche Personen sein sollen: Für die Idee, sich menschliche Qual und monströse Situationen auszudenken und diese abzubilden, bleibt der Ausbeutungsverdacht bestehen.

Was Regisseur Jonathan Glazer in seiner sehr freien Kinoadaption von Martin Amis’ Roman „The Zone of Interest“ (einer mit einer Romanze angereicherten Fiktionalisierung des Lebens des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß) tut, könnte darum die erste angemessene Annäherung an das komplizierte Sujet sein. Denn Glazer zeigt das Unzeigbare – ohne es auszustellen. Er schafft „unfassbare“, nicht zu fassende Bilder des Verbrechens. Dennoch sind sie es nicht, die einem den Magen umdrehen, und das Grauen haptisch nahebringen: Es ist die Ton­ebene.

Der Film beginnt bereits mit dem Klang menschlicher Stimmen und darin wohnenden Abgründen: Während die Kamera (Łukasz Żal) sich durch idyllisches Grün tastet, Kindern folgt und langsam eine Menschengruppe bei einem Picknick ausmacht, artikuliert sich das Gemurmel – man spricht Deutsch.

Zaun an Zaun zum Konzentrationslager

Zusammen mit Kostüm und Setting wird die Familie von Rudolf Höß (Christian Friedel) und dessen Frau Hedwig (Sandra Hüller) identifizierbar. Höß lebt Zaun an Zaun zum Konzentrationslager, seine Frau hat sich diesseits, vor der Kulisse der hohen Mauer, einen „Paradiesgarten“ für Gemüse angelegt. Sie gießt, pflanzt und jätet, stolz führt sie später ihre Mutter (Imogen Kogge) bei deren Besuch durch die Rabatten.

Aber jenseits des „Paradieses“ tobt – unsichtbar, nicht unhörbar – die Hölle. Und während die Höß-Kinder sich durch die Villa bewegen und von der Mutter zur Ordnung gerufen werden, während (jüdische) Bedienstete Höß’ Stiefel polieren, Hedwig sich mit gestohlenen Gütern von KZ-Häftlingen schmückt und in einem raren verbalen Ausbruch Menschenverachtung und Übermachtsfantasien wie selbstverständlich manifestiert, während das Ehepaar abends im Bett liegt und Hedwig im Plauderton unverschämt belangloses Zeug schnattert (er soll versetzt werden, sie will in der „schönen“ Villa bleiben), ist der Klang des Todes stets präsent:

Die Hochöfen, deren Schornsteine hinter der Mauer aufragen, werden lautstark angefacht, und man scheint den dicken Rauch zu riechen, der das Gräuel in sich trägt. Kampfflieger knattern über den Himmel, Befehle werden gebrüllt, Hunde bellen, ohne Ende hallen Schmerzschreie und Schüsse herüber.

Johnnie Burn, der (wie viele andere Gewerke, überhaupt der gesamte Film oscarnominierte) Sounddesigner der Produktion, hatte vorher 600 Seiten Erinnerungen von Lagerinsassen konsultiert sowie die Distanzen zwischen den Schauplätzen genau ausgerechnet, um ein realistisches Klangbild zu erzeugen. Mit der soundlichen Allgegenwärtigkeit des Verbrechens, das sich mit dem Schall über Sichtgrenzen hinweg ausbreitet, macht Glazer so auch dessen moralische Allgegenwärtigkeit deutlich: Nur weil man etwas nicht (mehr) sieht, ist es noch lange nicht verschwunden.

Sound wirkt schneller als Bilder

Damit nutzt „The Zone of Interest“ eine unmittelbarere Methode zur Rezeption, als Kinofilme zuvor. Denn Sound wirkt schneller als Bilder, die den langen Weg über das Gehirn nehmen und dort zunächst analysiert werden – bis der Schrecken erkannt ist, kann es dauern. Klang dagegen fährt ohne Umleitung in die Eingeweide: Er überträgt Angst und Unbehagen direkt. Bei einem ungewohnten Geräusch zuckt man zusammen, lange bevor man Herkunft und Bedeutung erforscht.

Die Musik klingt, als ob ein Orchester zusammen­gedrückt wird, zermahlen wie die Opfer der Nazis

Neben den Bildern vom und um das Haus herum, deren Überwachungskamera-Statik das Fehlen von Menschlichkeit subtil verdeutlicht, sickert auch an anderen Orten Verstörung in die Erzählung: Beim Baden erkennt Höß im trüben Fluss massenweise menschliche Überreste, die aus Richtung KZ angeschwemmt kommen, und jagt seine Kinder aus dem Wasser.

Höß’ Tochter spielt am Klavier ein Stück, das von einem Opfer aus dem Lager stammt. In unwirklichen Nachtbildkamera-Sequenzen hatte man sie zuvor Lebensmittel im Freien verstecken sehen, an Orten, an denen die Insassen ihre Gräber ausheben müssen: eine kleine, wichtige, aber nicht wirkmächtige Schwarz-Weiß-Umkehr auf Bild- und Täter-Opfer-Ebene.

Mit Mut und Abscheu gespielt

Der aus einer jüdischen Familie stammende Brite Glazer verzichtet konsequent darauf, Rudolf und Hedwig Höß als Figuren erkunden zu wollen – das genuine Interesse gesteht er ihnen nicht zu. Mit Mut und Abscheu meistern Friedel und Hüller ihre schwierigen Rollen und lassen ihre Figuren zwar Menschen ähneln, aber erklären sie nicht.

Film­kom­po­nis­t:in Mica Levi gelingt darüber hinaus das Kunststück, Nicht-Musik zu komponieren – wie sollte man in diese Geschichte auch Musik einbringen? Die wenigen musikalischen Einsätze klingen, als ob ein Orchester zusammengedrückt wird, zermahlen wie die Opfer der Nazis: auch das eine angemessene, folgerichtige und erstaunliche Idee, die Adornos Aussage: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, auf subtile, musikalische Art Tribut zollt.

Am Ende nimmt Glazer seine Zu­schaue­r:in­nen in einer längeren, dokumentarischen Sequenz mit in die Gedenkstätte heute und weist ihnen damit wieder die Rollen zu, die sie üblicherweise einnehmen: beobachten. Dass das nicht reicht, ist momentan so klar wie lange nicht mehr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ein Kopfhörer - das Symbol der Podcasts der taz

Entdecke die Podcasts der taz. Unabhängige Stimmen, Themen und Meinungen – nicht nur fürs linke Ohr.

Feedback willkommen! Wir freuen uns auf deine Gedanken, Eindrücke und Anregungen.

Schreib uns: podcast@taz.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.