Filmfestspiele Venedig: Auch Stars sind am Ende Aliens
Lidokino 3: Schauspielprominenz, zerrissenes jüdisches Leben im sozialistischen Ungarn und Besuch von Aliens bei den Filmfestspielen von Venedig.

Mit George Clooney kann man nicht viel falsch machen. Einen Film mit ihm zu machen über einen populären Star, der den Höhepunkt seiner Karriere überschreitet, klingt ganz reizend. „Jay Kelly“ von Regisseur Noah Baumbach, bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb vertreten, erzählt so eine Geschichte. Als Komödie, überwiegend zumindest.
Clooney gibt den Titel-„Helden“ als smart lächelnden, undurchsichtigen Gewinnertyp, der sich umfassend auf seine Entourage verlässt. Sein Manager Ron (Adam Sandler) kümmert sich als väterlicher Freund mit großer Anteilnahme um Jay, muss aber zugleich mit dem eigenen Privatleben kämpfen. Jay hingegen hat mehrere geschiedene Ehen hinter sich und seine Töchter stets vernachlässigt.
Eine zufällige Begegnung mit einem ehemaligen Schauspielkollegen aus Studientagen, Tim (Billy Crudup), die für beide unerfreulich verläuft, löst in Jay eine Krise aus. Fortan will sich der Star seinen Töchtern widmen, eine Ehrung annehmen, was er bisher abgelehnt hatte, alles in der Hoffnung, einen Teil seines Lebens nachzuholen, den er für die Karriere ignoriert hat.
Situationskomik aller Art
Baumbach inszeniert dies als Nummernrevue mit dekorativer Kulisse. Von Los Angeles geht es nach Paris und von dort in die Toskana, wo Jay seine Ehrung erwartet. Weil er seiner Tochter hinterherreist, fährt er gegen seine Gewohnheit mit dem Zug, was zu Situationskomik aller Art führt. Baumbach lässt Jay dabei regelmäßig die Kulissen wechseln, um so diverse Rückblenden einzubauen. Von einem Zugabteil tritt er etwa auf eine Probebühne, die für seine Karriere entscheidend war.
Das ist mitunter witzig, doch je weiter die Handlung sich entwickelt, desto schleppender gerät der Film. Nebenrollen wie die von Lars Eidinger, der im Zug seinen Auftritt hat, verschenkt Baumbach ohne Not. Und je mehr sich Jay mit sich selbst versöhnt, desto soßiger wird die Sache. Die Filmmusik von Nicholas Britell hilft da nicht.
Dann lieber kompakt und schmutzig wie bei Yorgos Lanthimos, dessen Science-Fiction-Komödie „Bugonia“ ebenfalls im Wettbewerb läuft. In einem kammerspielartigen Setting bringt der Grieche Emma Stone als Unternehmerin Michelle, Jesse Plemons als Verschwörungstheoretiker Teddy und Aidan Delbis als dessen Cousin Don in einem aussichtslos scheinenden Plot zusammen.
Ideologisch gefestigter Schwurbler
Ted ist überzeugt, dass Michelle ein Alien ist, und entführt sie zusammen mit Don. Michelle versucht mit allen Mitteln, ihre Entführer davon zu überzeugen, dass sie einem Irrsinn aufsitzen, bloß lässt sich ein ideologisch gefestigter Anhänger alternativer Fakten wie Teddy so leicht nicht aus dem Konzept bringen.
Die Lage eskaliert in der für Lanthimos charakteristischen Bosheit und physischen Direktheit. Als Abrechnung mit dem fortschreitenden Realitätsverlust besonders in den USA, mit zynischer Wendung zum Schluss, durchaus gelungen.
Große Enge herrscht auch in „Orphan“, dem Wettbewerbsbeitrag des ungarischen Regisseurs László Nemes. Seine Geschichte, die im Budapest nach dem Volksaufstand von 1956 spielt, folgt dem jungen Andor Hirsch (Barabás Bojtorján) durch die Ruinen der Stadt, wo er ohne Halt durch die Straßen treibt. Er wartet auf die Rückkehr seines Vaters, der im Zweiten Weltkrieg deportiert wurde.
Als ein anderer Mann im Leben seiner Mutter auftaucht, erlebt Andor diesen als Bedrohung. „Orphan“ bietet keine Figuren, mit denen man sich leicht identifizieren kann. Andor scheint seinen Vater mehr zu ehren als die Mutter, und auch die übrigen Figuren sind mindestens ambivalent. Das alles in farbentsättigten Bildern mit sorgsam verfallener Kulisse, was dem Film oft eine kalte Künstlichkeit verleiht.
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