Flüchtlinge in Norwegen: Abschiebung per Rad bei Minusgraden

Wer über die arktische Route ins Land gekommen ist, muss zurück nach Russland. Kälte und Dunkelheit seien kein Hindernis, meint die Polizei.

lüchtlinge auf dem Fahrrad an der norwegisch-russischen Grenze.

Flüchtlinge an der norwegisch-russischen Grenze. Foto: dpa

STOCKHOLM taz | Es herrscht Polarnacht, Schnee fällt und das Thermometer zeigt 17 Grad unter null. Die norwegische Polizei schiebt an Europas nördlichster Grenzstation, dem nahe dem nordnorwegischen Kirkenes gelegenen Storskog, eine Flüchtlingsfamilie mit Kindern nach Russland ab. Jeder bekommt ein Fahrrad ausgehändigt. Es wird davon ausgegangen, dass sie es damit irgendwie in die nächstgelegene russische Stadt Nikel schaffen. Die liegt 40 Kilometer vom Grenzübergang entfernt.

Die in Kirkenes erscheinende Netzpublikation The Independent Barents Observer schildert diese Szene vom vergangenen Samstag. Sie ist kein Einzelfall. Täglich schiebt Norwegen derzeit Asylsuchende auf dem gleichen Weg nach Russland ab, auf dem sie vor einigen Wochen ins Land gekommen sind: per Fahrrad, weil die Grenze dort zu Fuß nicht überquert werden darf.

Kälte, Schnee und Dunkelheit sehe man nicht als Hindernis an, betont Arild Strømmen, Pressesprecher von Politiets utlendingsenhet, der für die Ausführung von Abschiebungen zuständigen Abteilung der Polizei. Und er versichert: „Die über Storskog abgeschoben werden, sind entsprechend der klimatischen Bedingungen bekleidet.“

Mehr als 5.000 Flüchtlinge waren seit August über die „arktische Route“ von Russland nach Norwegen gekommen. Rund 150 sind nach einem Asylschnellverfahren in den letzten Tagen wieder dorthin abgeschoben worden. Es werden noch mehr werden. Und seit Ende November konnte kein Asylsuchender mehr über diesen Weg nach Norwegen gelangen.

Neue Asylpraxis völkerrechtswidrig

Das ist die Folge einer Verschärfung der Asylpraxis, die Amnesty International und Flüchtlingshilfeorganisationen als völkerrechtswidrig verurteilen. Zum einen erklärte Oslo kurzerhand Russland zum „sicheren Drittland“, zum anderen postierte man Grenzbeamte direkt an der Grenzlinie. Diese stoppten dort jeden Reisenden, bevor er norwegisches Territorium betreten konnte.

Wer ein russisches Transitvisum hatte oder sich auch nur wenige Stunden dort aufgehalten hatte, dem wurde eine Übertretung der Grenze und die Stellung eines Asylantrags verweigert. Begründung: Er habe in Russland Schutz gefunden.

Oslo hat Russland zum sicheren ­Drittland erklärt

„Ein bewusster Bruch von Menschenrechten“ ist das für Beate Ekeløve-Slydal von Amnesty Norwegen. Die Regierung in Oslo wisse genau, dass eine solche Praxis illegal sei und dass es in Russland auch kein funktionierendes Asylsystem gebe.

Rechtsanwalt Halvor Frihagen, Spezialist für Ausländerrecht, hält es für skandalös, wenn Norwegen Russland den Status eines „sicheren Drittlands“ verleihe: „Russland ist vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof 412-mal wegen Verstoßes gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und 1.311-mal wegen Verstoßes gegen das Recht auf Freiheit von Folter und unmenschlicher Behandlung verurteilt worden. Wir schieben Menschen in ein Land mit hohem Risiko für solche Verstöße ab.“

Justizstaatssekretär Jøran Kallmyr weist die Kritik zurück: „Wer einen sicheren Aufenthalt in Russland aufgibt, gibt den dortigen Schutz auf und dessen Asylantrag müssen wir gar nicht erst behandeln.“

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