Flüchtlinge: Böse Überraschung

Mit dem Einigungspapier zum Oranienplatz sehen Senat und Bezirk auch die Räumung der besetzten Schule vor. Deren Bewohner sind nicht informiert.

Hier sollen alle raus - aber wohin? Bild: dpa

Angebot – welches Angebot? Das Konzept von einer freiwilligen Räumung samt individuellen Lösungsangeboten, das Politiker von SPD, CDU und Grünen am Dienstag als Vorschlag im Streit um den Flüchtlingsprotest verkündet und gelobt haben, ist einen Tag später in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule unweit des Oranienplatzes noch nicht angekommen. „Was, wir sollen raus?“, fragt eine Nigerianerin geschockt, die in der Frauenetage im 2. Stock lebt. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, während sie ihre Fragen hervorstößt: „Wann? Und wohin überhaupt?“

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) hatte am Dienstag davon gesprochen, die Schule zu schließen, zu renovieren und dort ein Flüchtlingszentrum einzurichten – bundesweit das erste mit Notunterkunft, Sozial- und Rechtsberatung.

Doch in der Schule wohnt nicht nur ein Teil jener 467 Menschen, die sich auf einer Liste haben registrieren lassen, die Zielgruppe des Senats ist. „Das sind nur Menschen außereuropäischer Herkunft“, sagte Mathias Gille, Sprecher von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), der taz. In der Schule leben aber neben Roma-Familien, mit denen Herrmann nach eigenen Worten im Gespräch ist, noch weitere Gruppen – wer genau, ist unklar.

„Wir haben keinen Überblick über die Flüchtlingsgruppen in der Schule“, sagte Gille. Gleiches ist von Herrmanns Sprecher Sascha Langenbach zu hören. Verschiedenen Berichten und Beobachtungen zufolge übernachten dort weitere Flüchtlinge, deutsche Obdachlose und Drogenverkäufer aus dem Görlitzer Park.

Der Senat sieht die Verantwortung beim Bezirk. „Vor den nächsten sechs bis zehn Wochen wird das nicht zu machen sein“, sagt Langenbach zur Schließung. Was vor allem daran liege, dass Ausweichquartiere fehlen.

In der Schule macht sich schier Panik breit, als Bewohner via taz von dem Senatspapier erfahren. Sie sei ein Lampedusa-Flüchtling und in Italien als asylsuchend registriert, sagt die Nigerianerin: „Wollen die mich jetzt zurückschicken?“

Innerhalb kürzester Zeit haben sich auf dem Flur Frauen versammelt, die wilde Mutmaßungen anstellen. Eine hat von einer Liste des Senats gehört. Wer da drauf sei, bekomme eine Wohnung. Aber ist die Liste von Senatorin Kolat identisch mit den Hausausweisen samt Foto und Namen, die kürzlich von den Hausbewohnern erstellt wurden? Die Verwirrung ist groß. Eine Frau, die gerade aus ihrem Zimmer kommt, reagiert mit spontaner Wut auf die Gerüchte: „Die sollen uns endlich arbeiten lassen, uns Wohnungen geben“, alles andere sei „ein Witz“. Noch direkter wird eine deutsche Unterstützerin, die in der Frauenetage lebt: „Individuelle Prüfung der einzelnen Anträge – wen wollen die verarschen? Die Leute hier sind doch nicht blöd, die kennen ihre Situation genau“.

Auch die Roma im ersten Stock sind von der Neuigkeit überrascht. Eine ältere Frau bittet ins Wohnzimmer und versammelt die Familie – acht Erwachsene und sechs Kinder stehen um den runden Esstisch versammelt und hören, dass man ihnen bald nahelegen wird, die Wohnung zu verlassen. „Ist ja interessant“, sagt ein junger Mann auf Spanisch. „Und wo sollen wir hin?“ Zurück nach Rumänien, wozu? Ihre einzige Alternative zum Wohnen in der Schule sei die Straße: „Aber was sollen wir da mit unseren kleinen Kindern machen?“ Eine große Wohnung in Berlin bräuchten sie. Die habe ihnen bisher noch niemand angeboten, es sei auch noch nie ein Vertreter des Bezirks oder der Stadt bei ihnen gewesen.

„Passiert ist nichts“

Die politische Aktivistin Mimi wiederum behauptet, der Bezirk habe einer Roma-Familie schon vor längerer Zeit eine Wohnung versprochen. „Aber passiert ist noch nichts.“ Mimi ist viel auf dem Oranienplatz unterwegs, sie gehört darum zu den wenigen, die im Bild sind über das Angebot der Berliner Politik an die Flüchtlinge. Ihre Position dazu ist klar: „Kommt nicht in die Tüte, wir gehen hier niemals raus! “ Der Hausmeister, gerade wegen eines defekten Fensters auf der Etage unterwegs, scherzt: „Dann hätt‘ ich ja keine Arbeit mehr!“

Von denen, die sich in der Schule als politische Aktivisten begreifen, wird wohl niemand freiwillig gehen. „Da müssen sie uns schon mit Gewalt raustragen“, sagt Mimi kampfeslustig. Ein junger Mann, der mit einem Joint am Fensterbrett sitzt, ruft wütend: „Ihr müsst aufhören, uns Flüchtlinge wie Tiere zu behandeln. Weg mit den Lagern, weg mit dem Arbeitsverbot – das sind unsere Forderungen. Alles andere ist uns egal!“

Am Freitagnachmittag wird der grüne Bezirksstadtrat Hans Panhoff wieder zur wöchentlichen Besprechung in die Schule kommen. Dabei wird er die BewohnerInnen dann wohl vom Vorhaben der „friedlichen Räumung“ unterrichten – mit welchen konkreten Angeboten die BewohnerInnen zum Auszug bewegt werden sollen, blieb bis zum Redaktionsschluss offen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.