Fraktionschef Saleh zu SPD-Parteitag: „Über 80 Prozent für Jan Stöß“

Fraktionschef Raed Saleh, vor kurzem noch als Gegenkandidat von Stöß gehandelt, sagt dem Landeschef „volle Unterstützung“ bei den heutigen Neuwahlen zu.

"Ich freue mich auf den Parteitag": SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Bild: dpa

taz: Herr Saleh, gehen Sie am Samstag zum Landesparteitag der SPD?

Raed Saleh: Natürlich bin ich da.

Sie hätten dort der Star des Tages werden können, jetzt sind Sie für viele dort der Buhmann wegen der Debatte um Ihre mögliche Kampfkandidatur gegen Jan Stöß mitten im Europa- und Tempelhof-Wahlkampf. Wie fühlt sich das an?

Ich habe eher den Eindruck, dass wir in der Partei daran arbeiten, uns inhaltlich gut aufzustellen. Wir haben ein Interesse daran, uns auf die Kernthemen zu konzentrieren: gute Arbeit und Bildung, Aufstieg für alle.

Haben Sie keine Angst vor dem Auftritt am Samstag?

Nein. Ich bin bei jedem unserer Parteitage gerne und freue mich darauf. Es wird neben der Vorstandswahl auch ein inhaltlicher Parteitag sein.

Werden Sie dort auch reden – zu Problemen und Zukunft der SPD?

Es ist ein Parteitag, da kann jeder reden.

Am Samstag wählt die Berliner SPD ihren Vorstand. Einziger Kandidat für den Posten des Vorsitzenden: Amtsinhaber Jan Stöß. Er hatte sich vor zwei Jahren in einer Kampfabstimmung gegen seinen Vorgänger, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, durchgesetzt. Kurzzeitig hatte es so ausgesehen, als würde es nun erneut zu einem Duell kommen: Im April hatte SPD-Fraktionschef Raed Saleh erst nach zwei Wochen Gerüchte dementiert, er wolle gegen Stöß antreten.

Salehs Abtauchen hatte in der Öffentlichkeit und der Partei Irritationen ausgelöst. Hintergrund ist die seit der Pannenserie am BER im Raum stehende Frage, wie lange Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister bleibt und wer ihm als SPD-Spitzenkandidat nachfolgen könnte: Stöß wie Saleh gelten als mögliche Kandidaten.

Laut einer Umfrage vom Donnerstag ist die Unterstützung der Berliner für die SPD weiter gesunken: Wenn am Sonntag ein neues Abgeordnetenhaus gewählt würde, käme die Partei nur auf 24 Prozent, minus 2 Punkte im Vergleich zum Februar und minus 4,3 Punkte im Vergleich zur Wahl 2011. Der Koalitionspartner CDU würde mit 28 Prozent stärkste Kraft.

Würden Sie gerne reden?

Es ist bisher nicht vorgesehen. Wenn wichtige Sachfragen aufkommen, selbstverständlich.

Sie haben angekündigt, Herrn Stöß bei seiner erneuten Kandidatur als Landesvorsitzender zu unterstützen. Bleibt es dabei?

Ich werde den Landesvorsitzenden unterstützen. Es ist wichtig, dass wir gemeinsam die gute Arbeit der Regierung, die gute Arbeit der Fraktion und der Partei nach vorne stellen. Mir ist wichtig, dass wir vor allem mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl 2016 unsere Kernthemen betonen: das Thema Bildung, das Thema Wohnen und das Thema gute Arbeit.

Wagen Sie eine Prognose, wie viel Prozent Herr Stöß bekommen wird?

Ich gehe davon aus, dass er eine breite Unterstützung bekommt. Meine volle Unterstützung hat er.

Was heißt breit: zwei Drittel?

In so einer Situation antwortet die Partei immer mit Geschlossenheit. Deshalb wird Jan Stöß deutlich über 80 Prozent bekommen.

Bringt die aktuelle Debatte um das Tempelhofer Feld die SPD wirklich voran?

Ich glaube sehr wohl, dass es richtig ist, klare Positionen zu beziehen, und dass wir anders als die Grünen und die Linken ganz klar sagen, was wir als SPD für das Tempelhofer Feld wollen, mit 230 Hektar Freifläche und Entwicklung am Rand, mit Wohnraum, Parkbänken und Bäumen. Da geht es auch um die grundsätzliche Frage, ob Wohnungsbau in der Innenstadt möglich ist.

Auf dem neuen Info-Flyer der SPD-Fraktion zum Tempelhofer Feld ist von bis zu 4.700 bezahlbaren Wohnungen die Rede. Wie kann das sein, wenn insgesamt nur 4.700 geplant sind und lediglich die Hälfte die als bezahlbar eingestuften Mieten von 6 bis 8 Euro haben soll?

Die Zahlen bekommen wir von der Senatsverwaltung.

Wir auch. Aber wie Sie das im Flyer schrieben, geht das mathematisch nicht.

Die SPD-Fraktion möchte, dass alle 4.700 Wohnungen bezahlbar in öffentlicher Hand gebaut werden. Das werden wir mit dem Koalitionspartner diskutieren.

Was würde ein Sieg der Initiative 100 % Tempelhof für die SPD bedeuten?

Wenn die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner sich dafür entscheidet, dann ist das zu akzeptieren.

Aber es wäre auch eine Brüskierung der SPD.

Hier wird eine grundsätzliche Sachfrage entschieden. Ich meine, dass man das Ergebnis eines Volksentscheids akzeptieren muss. Aber wir werben ja dafür, dass es anders kommt.

Offensichtlich kommen Ihre Botschaften bei den Bürgern aber nicht an. Auch in der jüngsten Umfrage liegt die SPD wieder klar hinter der mitregierenden CDU.

Die SPD, der Senat, die Fraktion machen eine gute Arbeit …

trotzdem würden derzeit lediglich 24 Prozent der Berliner die SPD wählen.

Es ist wichtig, das, was wir an Erfolgen für Berlin haben, herauszustellen.

Als da wären?

Die gute wirtschaftliche Entwicklung, unser Brennpunktschulprogramm, kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule, und dass wir grundsätzlich beides im Blick haben: eine starke Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit – weil beides für den Erfolg einer Stadt zusammengehört.

Fragen wir doch mal umgekehrt: In der SPD heißt es, von der CDU komme im Senat nicht viel. Wie kann es sein, dass eine Partei, die demnach nichts tut, besser dasteht als Sie?

Mir ist wichtig, dass wir den Abstand zu den Christdemokraten mit Blick auf die nächste Wahl aufholen. Ich möchte, dass wir wieder stärkste Kraft werden. Wir müssen mehr kommunizieren und Vertrauen gewinnen.

Haben die Personaldebatten der vergangenen Wochen verhindert, dass Ihre Botschaften bei den Berliner Wählern ankommen?

Die Umfragewerte sind ja leider schon seit Längerem auf niedrigem Niveau. Das ist unabhängig von den vergangenen Wochen.

Schlechter denn je schneidet Klaus Wowereit ab. Wie lange kann ihn sich die SPD bei allen Verdiensten noch als Regierungschef leisten?

Klaus Wowereit ist der Regierende Bürgermeister der Stadt, und er hat die Unterstützung der Partei und der Fraktion.

Nächste Woche ist ja nicht nur Volksentscheid, sondern auch Europawahl – was wäre da für die SPD ein gutes Ergebnis?

Ich wünsche mir ein deutlich besseres als beim letzten Mal.

Da waren es bundesweit 20,8 Prozent, in Berlin sogar nur 18,8 Prozent. Wie viel wäre deutlich besser?

Unsere Position beim Volksentscheid mobilisiert viele SPD-Wählerinnen und -Wähler. Das wird auch dem Europaergebnis helfen. Mir ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr demokratisches Recht auch wahrnehmen und Populisten von rechts keine Chance geben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.