Linke über Funkzellenabfrage in Berlin: "Wir wussten von nichts"

In Berlin wurde die Linkspartei von ihrem Koalitionspartner SPD nie über die massenhafte Abfrage von Handydaten informiert. Das sagt Linken-Fraktionschef Udo Wolf.

"Datenschutzrechtlich hoch problematisch", meint Udo Wolf. Bild: dpa

taz: Herr Wolf, Sie gaben sich am Montag sehr überrascht, als die Polizei bekannt gab, mehr als 4 Millionen Handydaten gesammelt zu haben, um Autobrandstifter zu fassen. Hätten Sie sich vor einem Jahr auch so aufgeregt, als Sie noch Teil der Regierung waren?

Udo Wolf: Selbstverständlich. Seien Sie sicher: Hätten wir davon gewusst, wären wir auf die Barrikaden gegangen.

Sie haben nichts von den mehr als 400 Funkzellenabfragen seit 2008 mitbekommen?

Nein, haben wir nicht. Wir hatten auch keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil: In beiden rot-roten Koalitionsverträgen war festgelegt, dass dem Bürger nicht nur Schutz vor Straftaten, sondern auch vor dem Staat zusteht. Aus diesem Grund haben wir auch mit den Sozialdemokraten die Rasterfahndung für Berlin de facto abgeschafft. Es schien uns klar, dass Rot-Rot solche datenschutzrechtlich hoch problematischen Ermittlungsmethoden wie die Funkzellenabfragen politisch ablehnt.

Die Autobrände waren Dauerthema. Hätten Sie nicht kritischer nachfragen müssen, als es um die Ermittlungen ging?

Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix hat angekündigt, die umstrittenen Funkzellenabfragen der Polizei "stichprobenartig" zu prüfen: "Wir wollen wissen, wie und mit welcher Begründung die Daten erhoben und wofür sie verwendet wurden." Zudem müsse die Polizei ein Konzept vorlegen, wie sie "schnellstmöglich" die noch erfassten Daten löschen will.

Am Montag hatte die Polizei eingeräumt, seit 2008 insgesamt 4,2 Millionen Handydaten angefordert zu haben, um Autobrandstifter zu fassen. Dabei wurden bei Providern 375 Funkzellenabfragen gestellt. Dazu kamen 35 Abfragen wegen anderer politischer Straftaten, darunter Angriffe auf NPD-Politiker. 960-mal wurden Handynummern an mindestens fünf Tatorten registriert: Daraufhin wurden die dahinterstehenden Namen und Adressen abgefragt. Tatverdächtige wurden nicht ermittelt.

Die Grünen forderten, ein Moratorium für die Funkzellenabfragen zu prüfen, sollten sich die Kriterien für die Maßnahme im Bund nicht verschärfen lassen. Die Piraten verlangten von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), der Berliner Staatsanwaltschaft eine Dienstanweisung zu erteilen, die Abfragen "nicht mehr so leichtfertig" anzuwenden.

Funkzellenabfragen sind bei "schweren Straftaten" möglich, laut Strafprozessordnung etwa Mord, Raub, aber auch "Brandstiftung gegen Kraftfahrzeuge". Wie oft Funkzellenabfragen in Berlin insgesamt stattfinden, bleibt offen. Die Polizei nannte am Montag nur vom Staatsschutz veranlasste Abfragen.

Aus heutiger Sicht kann man uns vorwerfen, wir hätten genauer hingucken müssen. Andererseits haben wir immer, wenn wir problematische Polizeimaßnahmen gesehen haben etwa auf Demonstrationen, in der Koalition oder im Innenausschuss nachgehakt. Auch zu den Funkzellen hatten wir am 7. November, aufgerüttelt durch die riesigen Abfragen in Dresden, eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt. Bis heute ohne Antwort.

Sie wurden nie von der Polizei informiert?

Nein.

Auch nicht vom Ex-Innensenator Ehrhart Körting (SPD)?

Nein. Ich weiß aber auch nicht, ob und wie die Polizei diese Maßnahme überhaupt mit der politischen Führung besprochen hat.

Ist CDU-Innensenator Frank Henkel fein raus, weil er damals noch nicht im Amt war?

Nein, warum? Henkel hat dieses Amt gern übernommen, jetzt muss er klären, ob er die Funkzellenabfragen der ihm unterstellten Polizei politisch richtig oder falsch findet. Unsere Position ist: Dieses Instrument ist ein schwerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung eines Menschen. Noch dazu wurde im Ergebnis kein einziger Verdächtiger ermittelt.

Was ist die Konsequenz?

Der Senat muss die Bundesratsinitiative Sachsens zur Eingrenzung der Funkzellenabfragen unterstützen. Bisher ist es ja offensichtlich so, dass die Ermittler in dieser Stadt zu jeder Tag- und Nachtzeit einen Richter finden, der die Funkzellenabfragen ohne Umschweife unterschreibt. Das muss auf Bundesebene gesetzlich strikter gehandhabt werden.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Rot-Schwarz da mitzieht?

Nun ja, eEs überrascht mich schon, wie gelassen gerade die SPD das Thema nimmt. Klar ist: Der Senat sollte jetzt dafür sorgen, dass die Polizei die ausufernden Funkzellenabfragen erstens nicht mehr anwendet und zweitens diejenigen, über die Daten gesammelt wurden, benachrichtigt. Es muss mit der Polizei und ihrer Präsidentin diskutiert werden, ob jedes Mittel, das rechtlich möglich ist, auch zur Anwendung kommen muss. Ich sehe da eine bedenkliche Entwicklung.

Und zwar?

Die Polizei betreibt relativ großen Aufwand, wenn es um Ermittlungen gegen Linksextreme im weitesten Sinn geht. Dabei tut sich auf der rechtsextremen Seite ein Skandal nach dem anderen auf, weil da nichts getan wird oder Strukturen durch V-Leute noch gestützt werden. Die Polizei muss klären, wie sie ihre Schwerpunkte setzt.

Braucht es nun einen Untersuchungsausschuss?

Wir haben ja gerade erst angefangen, darüber zu diskutieren. Aber wenn in diesem Fall die weitere Aufklärung ausbleiben sollte, werden wir uns alle parlamentarischen Wege offenhalten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.