
Hirtinnen auf dem Vormarsch in Spanien: Dicht am Tier
In Spanien erobern sich Frauen die männlich geprägte Weidewirtschaft. Unterwegs mit Hirtinnen im Spannungsfeld von Natur, Wirtschaft und Klimawandel.
E inen steilen Hang eilt sie hinauf, hier in den Bergen im Norden der Region Madrid. Die drahtige Frau ist mit festem und sicherem Schritt auf der Suche nach dem verlorenen GPS-Halsband einer Ziege. Clara Benito ist Hirtin, ihre Herde nicht irgendeine Herde. Benito nennt die „größte ferngehütete Herde weltweit“ ihr eigen. Die ehemalige Kunstrestauratorin guckt nach 158 Ziegen von ihrem Handy aus – per App.
„Nofence“ (Kein Zaun) heißt das Programm, das es der Mutter zweier Kinder ermöglicht, von zu Hause aus ihre Tiere zu betreuen. „Die Ziegen haben alle ein Halsband mit GPS und Handydatenempfang“, erklärt Benito während des Aufstiegs. „Vom Smartphone aus programmiere ich einen virtuellen Zaun, dort wo ich will, dass meine Tiere im kargen Gebirge weiden.“
Nähert sich eine Ziege der virtuellen Linie, die Benito programmiert hat, piepst das Halsband immer lauter. Dreht die Ziege nicht ab, bekommt sie letztendlich einen leichten Stromschlag, so wie bei elektrischen Weidezäunen auch. „Die Ziegen lernen schnell, beim Piepsen nicht weiterzugehen“, weiß die 42-Jährige.
Morgens programmiert die Tele-Hirtin ein großes Terrain, abends wenn die Tiere an die Wasserstelle kommen, ein kleineres. Dort bleiben sie dann über Nacht. Vier große, kräftige Hütehunde – Mastine – schützen die Herde rund um die Uhr vor Wölfen. „Entrelobas“ – unter Wölfinnen – heißt das innovative Projekt, für das Benito 2023 den europäischen Organic Award bekommen hat.
Von Madrid in die Berge
„Früher war ich den ganzen Tag mit den Tieren in den Bergen. Jetzt habe ich Zeit für andere Arbeiten, die anfallen“, beschreibt Benito, eine Quereinsteigerin, die Vorteile des aus Norwegen stammenden Systems. Sie wuchs mitten in der Hauptstadt Madrid auf, dort wo am Wochenende das Leben tobt.
„Vor elf Jahren kam ich mit meinem Lebenspartner in die Berge“, erzählt die heutige Hirtin. Er ist Biologe und arbeitet in einem regionalen Institut, das Landwirte und Viehzüchter berät. „Wir legten uns fünf Ziegen zu. Ich kümmerte mich, und das hat mir gefallen.“ Es war der Anfang der heutigen Herde.
Bisher lebt Clara Benito vom Verkauf der Tiere an den Schlachter. Ihr Traum ist es allerdings, Käse zu produzieren. Das ist wesentlich rentabler als der Fleischverkauf und auch rentabler, als die Milch abzugeben. Ein Kilo Käse bringt leicht 30 Euro und mehr. „Den gesamten Zyklus zu kontrollieren, bringt maximale Einkünfte“, weiß Benito.
Zu dem, was die Viehzucht als solche abwirft, kommen noch öffentliche Zuschüsse für den Landschaftsschutz. „Meine Ziegen halten die Schneisen für den Brandschutz sauber“, erklärt die Hirtin. Ziegen fressen, was Kühe und Schafe verschmähen. Sie kauen die Blätter und reißen Teile des Gestrüpps ab. Das trocknet aus und stirbt. Gleichzeitig düngen die Ziegen so den nährstoffarmen, steinigen Boden. Langsam wächst Gras nach.
„Die Landschaft verändert sich“
„Die Landschaft verändert sich“, sagt Benito und zeigt auf die riesige Fläche in mitten der mit Büschen bewachsenen, ansonsten kargen Hänge, auf der ihre Tiere eine Art Ginster mit störrischen Ästen und klebrigen Blättern besiegt haben. Das Gestrüpp siedelte sich hier überhaupt erst an, nachdem immer weniger Weidewirtschaft betrieben wurde. „Diese Büsche brauchen wenig Wasser und bekommen deshalb die Oberhand. So verhindern sie, dass andere Pflanzen, wie etwa Nadelbäume wachsen“, weiß Benito.
Noch immer wird sie von so manchem im Dorf hier kritisch beäugt. Eine Frau mit einer Herde, und dann auch noch eine Zugezogenen aus der Stadt, das ist nicht nach jedermanns Geschmack. Benito wundert das: „Auch wenn es keiner glaubt – das war von jeher ein Beruf mit weiblicher Präsenz“, weiß sie und berichtet, was sie in ihrem 70-Einwohner-Dorf in Erfahrung brachte.
„Es waren die Mädchen, die mit den Ziegen auf die Weide geschickt wurden, denn die Buben gingen in die Schule.“ Immer wieder trifft sie sich mit den Mädchen von einst, die heute alle über 80 Jahre alt sind.
Benito ist nicht die einzige jüngere Frau, die es in den letzten Jahren in die Männerdomäne der Weidewirtschaft zieht. „Im kommenden Schuljahr sind erstmals knapp die Hälfte Frauen – fünf von elf der Eingeschriebenen“, berichtet Ane Gartziandia zufrieden.
Gartziandia koordiniert die Artzai Eskola Gomiztegi, die Schule für Weidewirtschaft im spanischen Baskenland. In den anderen vergleichbaren Weideschulen in Spanien beobachten sie einen ähnlichen Trend. Gartziandia hatte mit dieser Entwicklung gerechnet. Denn im französischen Teil des Baskenlandes gibt es ebenfalls eine HirtInnenschule – dort sind seit Jahren Frauen in der Mehrheit.
Ane Gartziandia
Die Artzai Eskola in Gomiztegi, gelegen in einem alten, mit viel Mühe restauriertem Landgut im grünen, bergigen Landesinneren des Baskenlandes, wird von einer Genossenschaft betrieben. Die hält selbst 400 Schafe und produziert rund 10.000 Kilogramm Idiazabal, den für die Region so typischen Schafskäse. Die Gebäude der Schule, die EU-Gelder bekommt, gehören Hazi, einer Stiftung der baskischen Autonomieregierung, die die Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion und die Wiederbelebung des ländlichen Raumes fördert.
Es ist kühl hier oben. Dabei ist es erst Ende August. Der Wind treibt Nebelschwaden umher. „Insgesamt hatten wir bisher 80 Prozent Männer und 20 Prozent Frauen“, berichtet Gartziandia. Seit 1997 nimmt die Artzai Eskola pro Jahr zwischen 7 und 12 Studierende auf. Das Durchschnittsalter liegt bei 28 Jahren.
In den letzten Jahren kommen immer mehr „urbanos“ – wie die Lehrerin Studierende aus der Stadt nennt – statt wie zuvor fast ausschließlich „rurales“ – Söhne und einige Töchter aus den „caseríos“, den überall in den Bergen verteilten Landhäusern mit Vieh- und Weidewirtschaft.
Der Kurs dauert 1.400 Stunden, verteilt auf sieben Monate. Theorie und Praxis wechseln sich hälftig ab. Die LehrerInnen stammen alle aus der Branche; haben selbst Herden. Sie berichten über das Leben auf der Weide, wie Hunde eingesetzt werden, über die Gefahr von Wölfen und wie damit umzugehen ist. Aber auch gesetzliche Regelungen zur Milchqualität und Hygiene bei der Käseproduktion sind Themen.
Viele kommen mit romantisch verklärten Vorstellungen
„Wir wählen die Schüler und Schülerinnen in mehren Interviews aus“, sagt Gartziandia, die morgens um neun Uhr schon aus dem Stall kommt, wo sie zwei Stunden lang die Schafe gemolken hat. Vor allem bei den „urbanos“ seien diese Gespräche unerlässlich. Viele kämen mit romantisch verklärten Vorstellungen. „So mancher glaubt, dass das Leben und Arbeiten auf dem Land einfach sei, doch dem ist nicht so“, sagt Gartziandia, Mutter dreier Kinder.

Sie selbst hat seit über 30 Jahren mit Schafzucht und Käseherstellung zu tun. Andere wiederum wären sich sehr wohl im Klaren darüber, was sie hinter sich lassen und was sie erwartet: „Sie suchen ganz bewusst einen anderen Lebensstil, raus aus der Stadt, zurück zum ländlichen Leben, und nehmen dabei die viele Unannehmlichkeiten – wie etwa fehlende Freizeit und Urlaub – gerne in Kauf.“
Nerea Aguado ist eine der Städterinnen, die im Herbst anfangen wird. Die 22-Jährige kommt aus Elche in Ostspanien, keine 20 Kilometer vom Mittelmeer. Bis auf den Palmenhain, einer Oase, die der Stadt einen Weltkulturerbetitel verdankt, ist es dort trocken. Und es ist heiß. Das genaue Gegenteil des Baskenlandes, wo Aguado bald ihr Studium bestreiten wird.
Die zierliche, selbstbewusst auftretende Frau hat Philosophie studiert und arbeitet derzeit in einem Supermarkt, um für die sieben Monate auf der Artzai Eskola zu sparen. „Der Schulbesuch und das Zimmer in einer Wohngemeinschaft für die Studierenden von außerhalb ist kostenlos, aber Verpflegung und Geld fürs Auto, ohne das auf dem Land nichts geht, brauche ich“, sagt sie.
Nerea Aguado, Weideschülerin
„Ich begann mich für die Tiere auf der Weide während einer Reise nach Asturien zu interessieren“, erinnert sich die junge Frau. Der Stiefvater einer Freundin sei im Gebirge in der nordwest-spanischen Region Schäfer. Seine Schafe weiden auf kommunalem Land hoch oben in den Bergen. „Das faszinierte mich.“ Aguado wurde neugierig auf den Beruf der Hirtin. Sie suchte zuerst Arbeit in der Region Elche, fand sie auf einer Ziegenfarm. Die Besitzer verkauften die Milch. Irgendwann zogen sie weg. Denn das trockene Elche ist nicht der richtige Ort für Viehwirtschaft.
Nerea Aguado strahlt Begeisterung und Zuversicht aus, hinterfragt alles, auch sich selbst. Das hat wohl bei den Interviews an der Schule den Ausschlag gegeben. Sie spricht von gesunder Ernährung, von weniger, dafür besserem Fleischkonsum und vom nachhaltigen Wirtschaften.
Ihr ist klar, dass es nicht leicht werden wird. „Ich habe nie einen echten Winter erlebt, kenne hauptsächlich das trockene, heiße Küstengebirge am Mittelmeer“, sagt Aguado. Sie weiß, dass sie in eine immer noch von Männern dominierte Welt eintauchen wird. Auch das wird nicht leicht für eine junge Frau, die keinen Freund, sondern eine Freundin hat.
Der Traum von den eigenen Ziegen
Aguado träumt davon, irgendwann eigene Ziegen zu haben. „Doch dazu brauchst du Land. Im Sommer kannst du die Tiere auf Gemeindeland weiden lassen, aber im Winter müssen sie ins Tal auf einen eigenen Hof.“ Sie ist sich für den Anfang sicher: „Ich werde wohl erst einmal als angestellte Hirtin arbeiten müssen“ – also im Sommer die Tiere anderer auf den Almen hüten.
Viele junge Hirten und Hirtinnen gehen dazu ins Ausland, denn in Frankreich, Österreich oder der Schweiz zahlen sie besser als in Spanien. Doch vorerst muss Aguado die Schule hinter sich bringen und vor allem durchhalten. Nur rund die Hälfte derer, die die Artzai Eskola absolvieren, arbeiten anschließend tatsächlich im erlernten Beruf.
Eneida Egaña hat den Weg in die Schweiz bereits hinter sich. Die 30-jährige Geologin arbeitete zusammen mit ihrem Lebenspartner im vergangenen Jahr auf einer Alm bei Saint-Cergue im Schweizer Jura und brachte ordentlich Franken mit, die jetzt den Grundstock für ihr eigenes Projekt – „50 bis 60 Ziegen, eine Handvoll Kühe und eine Käserei“ – sein sollen.
„Es war ein harter Sommer“, berichtet Egaña, die 2023 Artzai Eskola in Gomiztegi abschloss. Sie hütete, zusammen mit ihrem Freund, 90 Kühe. Drei weitere Männer kümmerten sich um die Milch und machten Käse. „Es war ein Macho-Milieu, wie ich es noch nicht erlebt hatte“, erinnert sie sich. Kaum angekommen, wollten die anderen drei Männer Egaña in die Küche stecken. Kraftsprüche, exzessiver Alkoholkonsum waren an der Tagesordnung.

Selbst Egañas Freund wurde getriezt. Er entsprach einfach nicht dem Männlichkeitsbild, das dort vorherrscht. Irgendwann hätte sie sich dann aber behauptet. „Einer der Männer kochte letztendlich auch“, sagt Egaña zufrieden. „Keiner hat je um Erlaubnis gebeten, die Geschichte zu ändern“: Die junge gut gelaunte Frau trägt heute ihr Lebensmotto auf einem roten T-Shirt.
Urban oder rural?
Urbane oder rurale Herkunft, das ist bei Egaña nicht so ganz klar. Sie wuchs in Deba an der baskischen Atlantikküste auf. Doch ihre Mutter wurde dort oben in den Bergen auf einem Gehöft mit 40 Hektar Land groß. Es ist noch immer im Familienbesitz, gehört ihrer Mutter und deren 12 Geschwistern.
Hier in Sakabi Zahar – dem „alten Nest im Wald“ – wie das Gut heißt, verbrachte Egaña ihre Sommer, zog als eine Art baskische Heidi mit den Kühen ihrer Großeltern über die grünen Berghänge umgeben von Wäldern und Felsen. Das hat sie bis heute geprägt.
Stolz zeigt sie das Landhaus mit einem Dutzend Zimmer, die Scheune mit dem Heu und die Handvoll Kühe, die hier weiden. Jetzt ist sie in Verhandlungen mit ihren Onkeln und Tanten, die das Gehöft, das caserío, noch immer als Ort der kleinen Fluchten nutzen.
„Ich würde mein Projekt gerne hier machen. Wenn das nicht geht, müssen wir wohl noch einen oder zwei Sommer in die Schweiz, und danach etwas mieten oder kaufen“, sagt sie. Öffentliche Hilfen für Einsteiger würde Egaña nur ungern in Anspruch nehmen. Denn wer nach fünf Jahren nicht auf einen Bruttomonatslohn von 1.600 Euro kommt, gilt als gescheitert und muss zurückzahlen. Und das in Spanien, einem Land, in dem der monatliche Mindestlohn bei 1.184 Euro liegt.
Alba Ripodas hat geschafft, wovon Egaña träumt. Die 30-Jährige Biologin, mit ihrem Look irgendwo zwischen urbaner Protestbewegung und praktischem Arbeitsoutfit, hat mit ihrem Mann vor drei Jahren die Käserei Marengo in Izaba übernommen, einem kleinen Ort im nordspanischen Navarra, kurz vor der französischen Grenze. Der alte Besitzer ging in den Ruhestand.
Praktikantinnen aus Weideschulen
Ripodas arbeitet mit PraktikantInnen aus unterschiedlichen Weideschulen. „5.000 Kilo Roncal-Käse produzieren wir im Jahr, wir sind eine von nur zwei Käsereien im Tal, die direkt von Hirten betrieben werden“, sagt Ripodas stolz. Der Rest des Roncals stamme aus Fabriken. Ripodas kann die gesamte Produktion im Hofladen verkaufen – dank der vielen Touristen, die hier das ganze Jahr über herkommen, zum Wandern oder für Schneeschuh- und Skitouren.
Der Marengo-Hof liegt in einem breiten, grünen Tal. Dort sprechen alle Baskisch. Die Sommer sind angenehm, die Winter eisig kalt und verschneit. Wer hier Praktikum macht, bekommt das Leben als Schäferin hautnah mit. Ripodas und ihr Mann halten 400 Schafe – 150 oben an einem Pass auf knapp 1.800 Meter Höhe, den Rest, der die Milch gibt, in Hofnähe.
„Die Arbeit auf dem Hof beginnt früh und vor Eintreten der Dunkelheit kommen wir eigentlich nie zur Ruhe“, berichtet Ripodas, die irgendwie ständig in Bewegung ist. Um sieben Uhr morgens werden die Schafe gemolken und anschließend die Milch zu Käse verarbeitet. Dann geht es weiter in einem alten Pick-up über holprige Wege auf die Weide, nach den Tieren oben in den Bergen schauen.
Verwaltungsarbeiten nehmen ebenfalls nicht wenig Zeit in Anspruch. Freizeit und Urlaub? Fremdworte. Dennoch ist sie zufrieden. „Ich wollte hier in meiner Heimat leben und arbeiten“, erklärt Alba Ripodas. Durch die Schäferei kann sie es.
Das Erbe bewahren, die Berge als Aula
Auf einer Schule wie der in Gomiztegi war sie nie. Bevor Ripodas sich um die Käserei und das eigene Vieh kümmerte, führte sie Touristen durch die Gegend, erklärte ihnen das Leben auf dem Land. Ihr Vater ist Verwaltungsangestellter, die Mutter Lehrerin, etwas weiter unten im Tal, wo sie aufgewachsen ist. Es war die Beziehung zu ihrem Mann, der sie an die Schafzucht heranführte. Er war, bevor sie den Hof übernahmen, Wanderhirte und zog im Sommer mit großen Herden verschiedener Besitzer über Land.
Ripodas möchte ihre Begeisterung für die Weidewirtschaft weitergeben. Sie gehört zu einer kleinen Gruppe, die hier im Tal eine neue Weideschule mit dem Namen Gidari gegründet haben. Im Herbst nimmt sie den Betrieb auf. „Das Erbe bewahren, die Berge als Aula“, heißt das Motto der Schule, die helfen will, „einen alten Beruf zu erhalten und zu erneuern“.
Die einzige Frau unter 45 Hirten
Das Erneuerung Not tut, weiß Ripodas aus eigener Erfahrung. „Ich bin die einzige Frau unter den 45 Hirten im Tal“, sagt sie. „Wenn es Versammlungen gibt, rufen sie meinen Mann an, obwohl immer ich hingehe“, erzählt sie. „Alle, bis auf Alba …“ sei ein Satz, der immer wieder falle. Allerdings macht Ripodas auch Veränderungen aus. „Die Jungen im Tal sehen mich mit anderen Augen, haben viel Respekt vor einer Frau als Hirtin“. Sie hofft, dass es schon bald als nichts besonders mehr betrachtet wird, Frauen mit ihrer Herde auf der Weide zu sehen.
„Sich bei Wind und Wetter um die Tieren zu kümmern, ist eine physische und psychische Herausforderung“, weiß Elena Galán, der man ansieht, dass sie körperliche Arbeit gewohnt ist. Die 41-jährige Frau trägt kurze Haare und hat mehrere Sommer in den französischen Pyrenäen und in der österreichischen Steiermark große Herden gehütet. Galán stammt aus Barcelona, hat Umweltwissenschaften studiert und eine Doktorarbeit über die wirtschaftliche Geschichte der Landwirtschaft verfasst, bevor sie 2020 die Schule in Gomiztegi besuchte.
Neben der Tätigkeit als Hirtin forscht Galán am Baskischen Zentrum für Klimawandel. „Die steigenden Temperaturen führen zum Verlust von Bezugspunkten in der Welt, in der du dich bewegst“, sagt sie – und meint damit das Wasser. Immer mehr Quellen trocknen im Sommer aus.
Die Lösungen derzeit? Alte, gewohnte Routen verlassen und „das Vieh dorthin treiben, wo es noch Wasser gibt, was unmittelbar zur Überweidung der umliegenden Ländereien führt – oder Wasser in die Berge bringen, was die Kosten erheblich in die Höhe treibt“.
Jetzt hat sie sich zwei Freunden aus ihrer Zeit an der Schule in Gomiztegi angeschlossen, die im 14 Einwohner zählenden Ort Villaño – dort wo Zentralspanien aufhört und das Baskenland beginnt – 140 Ziegen halten, um eine eigene Viehzucht und Milch-Käse-Produktion aufzubauen.
Der zurückliegende Sommer war auch hier so heiß wie nie zuvor, und diente der Wissenschaftlerin Galán für ganz praktische Beobachtungen. „Mit steigenden Temperaturen geht die Milchproduktion zurück, da die Tiere weniger fressen“, weiß sie jetzt direkt aus eigener Erfahrung. Das führt zu größeren wirtschaftlichen Verlusten. Und wer – anders als die drei in Villaño – kein eigenes Heu für den Winter macht, muss es immer teurer kaufen.
„Auch das ist eine Folge des Klimawandels“, sagt sie und wird dann auf einmal ruhig und nachdenklich. Elena Galáns Begeisterung ist plötzlich wie weggeblasen. Die Hirtin macht ganz der Wissenschaftlerin Platz. „Ich befürchte, dass trotz des großen Interesses am Beruf des Hirten und der Hirtin, in den nächsten Jahren immer mehr Höfe schließen und Herden verschwinden werden“, prophezeit sie.
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