Irreführende Produktverpackungen: Lügen aus der Dose

Was drauf steht, ist oft nicht drin. Eine Webseite will falsche Produktversprechen von Lebensmittelherstellern aufdecken – mit den Verbrauchern als Detektiven.

Böse Überraschung? Zwar gibt es Regelungen, die irreführende Verpackungen verbieten, doch sind die Gesetzeslücken zahlreich. Bild: photocase/deinvadder

Frau E. aus Waldkirch wollte etwas Gesundes kaufen, etwas Figurförderndes, etwas, das schmeckt, dünn und im besten Fall noch glücklich macht. Sie wählte: Nestlé Fitness Vollkorn Flakes. Auf der Packung goldene Getreideähren, eine feine Frauensilhouette, außerdem der Hinweis auf 53 Prozent Vollkornanteil.

Und zu Hause stellte sie fest, dass sich in hundert Gramm des versprochenen Schlankmachers nicht nur 372 Kalorien, sondern auch mehr als 17 Gramm Zucker verstecken.

Produktlügen gehören zum Alltag. Selten wird das vermarktet, was der Konsument auch wirklich erhält. Noch seltener kann er sich auf Gesetze verlassen, die vorschreiben, dass ein Hersteller auch halten muss, was er auf der Verpackung verspricht. Anstatt sich einfach zu ärgern und das vermeintliche Wellness-Frühstück in den Müll zu werfen, wurde Frau E. also selbst aktiv - und führte das Produkt auf lebensmittelklarheit.de vor.

Seit Juli dieses Jahres werden auf der Internetseite des Bundesverbands der Verbraucherzentralen irreführende Verpackungen und Zutatenlisten öffentlich angeprangert. Jeder kann über ein Kontaktformular seine Beschwerde loswerden. Die Redaktion der Seite bezieht dann selbst Stellung und fragt beim Hersteller nach. Alle gesammelten Statements werden daraufhin online gestellt, das des Bürgers wird anonymisiert, er wird nur mit dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens genannt. Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Verbraucherschutz.

rechtliche Grauzonen

Allein in den ersten vier Tagen wurde lebensmittelklarheit.de mehr als zwei Millionen Mal aufgerufen. Knapp 3.000 Anfragen schickten verärgerte Verbraucher bis heute ein, die sich fragen, wie es sein kann, dass sie selbst Ernährungstabellen studieren müssen - und nicht den Inhalt bekommen, der ihnen angepriesen wird. Täglich landen durchschnittlich dreißig neue Beschwerden auf der Homepage.

Lebensmittelklarheit.de versucht, eine rechtliche Grauzone abzudecken. Zwar gibt es Vorschriften, Richtlinien und Gesetze zur Kennzeichnung von Lebensmitteln, doch die Gesetzeslücken sind groß und zahlreich. Ein Beispiel: Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker und Stabilisatoren müssen gekennzeichnet werden. Wenn sie jedoch Teil einer Zutat sind, können sie verschwiegen werden.

Etwa bei Kartoffelpüreeflocken, in denen Diphosphat, auf der Packung normalerweise als E 450 vermerkt, gegen Graufärbung enthalten ist. Werden diese zu einem Fertiggericht verarbeitet, muss der Zusatzstoff in der Zutatenliste nicht aufgeführt werden.

"Je mehr Menschen sich aufregen, desto eher passiert auch was", sagt Janina Löbel, Koordinatorin des Projekts. Auch Frau K. aus Münster hatte sich beim Kauf ihrer Nestlé-Cornflakes - wegen der schmalen Silhouette auf der Verpackung - eine gesunde Mahlzeit erhofft und Nestlés Reaktion eingefordert. Wie die ausfiel? Mit einem Hinweis auf eingehaltene Normen der World Health Organization und gesunde Ernährung - im Zusammenhang mit viel Sport.

Täuschungen unattraktiv machen

Ein anderer Fall: Nachdem Herr V. aus Wiesbaden seinen Lieblingskaffee von Onko erstanden hatte, fiel ihm auf, dass dieser nur zu 88 Prozent aus Röstkaffee bestand. Der Rest wurde aus billigen Ersatzstoffen wie Maltodextrin zusammengemischt. Als das auf lebensmittelklarheit.de bekannt wurde, änderte der Hersteller Kraft die Rezeptur von Onko. Heute kann Herr V. wieder seinen klassischen hundertprozentigen Röstkaffee trinken.

Bereits im Oktober 2007 hatte die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch die Webseite abgespeist.de mit einem ähnlichen Konzept gestartet. Produkte, die nach bestehendem Recht legal gekennzeichnet sind, den Käufer aber verwirren, werden dort vorgestellt, Mechanismen der Verbrauchertäuschung offengelegt. Viele Hinweise der Enthüllungen stammten dabei von Bürgern und wurden von Foodwatch recherchiert. Fast 4.000 Einsendungen sind bei der Webseite mittlerweile eingegangen.

"Irreführungen gerade mit bekannten Markenprodukten, für die massiv die Werbetrommel gerührt wird, werden häufig von Verbrauchern vorgeschlagen", sagt Martin Rücker von Foodwatch. "Es geht aber nicht darum, am Ende eine riesige Datenbank von Produkten zu haben, sondern Mechanismen aufzudecken und die Täuschung des Verbrauchers für Unternehmen unattraktiv zu machen." Deswegen hat er sich auch über lebensmittelklarheit.de gefreut: "Endlich erkennt Frau Aigner das Problem des legalen Etikettenschwindels und droht den Unternehmen kaum verhohlen mit neuen gesetzlichen Regelungen."

Seit drei Jahren verleiht Foodwatch den Goldenen Windbeutel. Preisträger sind die dreistesten Werbelügner, die online gewählt werden. Der erste Gewinner: Danone mit seinem angeblichen Gesundheitsdrink Actimel, dessen Wirkung, Abwehrkräfte zu aktivieren, nicht bewiesen ist, der hohe Zuckergehalt allerdings schon. Im Jahr 2010 wurde Zott für seinen überzuckerten Monte-Drink ausgezeichnet. Und in diesem Jahr Ferreros Milchschnitte. In einer Milchschnitte findet sich nämlich mehr Fett als in einem Stück Kuchen.

Schwarz gefärbte Oliven

Nicht immer darf lebensmittelklarheit.de den Hersteller nennen. Darum gibt es eine Kategorie mit Dummieprodukten, deren Hersteller von der Redaktion erfunden wurde. Zum Beispiel bei Gartenglück, die - wie dies oft passiert - schwarze Oliven versprechen, doch schwarz gefärbte grüne Oliven verkaufen. Eine Regelung erlaubt, schwarz gefärbte grüne Oliven "schwarze Oliven" zu nennen. Der Verbraucher wird durch die legale Bezeichnung, nicht aber das Zutun des Herstellers getäuscht.

Janina Löbel sieht hier den Handlungsbedarf der Regierung, solche Mogeleien zu vermeiden: "Wenn wir ein Produkt in diese Kategorie einordnen, informieren wir das Ministerium, damit dieses hierzu Stellung beziehen kann. Ziel muss es aber sein, dass rechtliche Rahmenbedingungen oder die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs geändert werden." Bis sich da etwas tut, müssen die Verbraucher wohl weiter die Rückseite einer Packung lesen, um der Vorderseite zu trauen.

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