Kofi Annan und Ruanda: Der Schatten des Völkermords

Anfang 1994 stoppte der spätere UN-Generalsekretär Annan in Ruanda ein Eingreifen gegen die Vorbereitung zum Völkermord.

Kofi Annan und eine Frau vor Totenschädeln

Späte Einsicht: Kofi Annan in einer Völkermord-Gedenkstätte in Ruanda, 1998 Foto: ap

BERLIN taz | „Judas ist tot“, kommentiert der ruandische Autor Gatete Ruhumuliza auf Twitter die Nachricht vom Tod Kofi Annans. Die Bilanz des ehemaligen UN-Generalsekretärs wird in Afrika sehr unterschiedlich diskutiert.

Während sein Heimatland Ghana ihn als Friedensstifter verehrt und eine Woche Staatstrauer ausgerufen hat, erinnert sich Ruanda, wo die UNO im April 1994 trotz Anwesenheit einer Blauhelmtruppe nicht gegen den Völkermord an bis zu einer Million Tutsi einschritt, an Kofi Annan als Versager.

Dabei geht es nicht um seine Zeit als UN-Generalsekretär, sondern um seine Leitung der für Blauhelme zuständigen UN-Abteilung für Friedenssicherung (DPKO) ab 1993.

Kern der Anschuldigungen ist die Art, wie Kofi Annan in den Monaten vor Beginn des Völkermordes Warnungen des UN-Blauhelmkommandeurs in Ruanda, General Roméo Dallaire aus Kanada, über die Vorbereitung der Massaker in den Wind schlug.

UNO sollte Friedensabkommen überwachen

Es war eine Zeit, in der in Ruanda eigentlich ein Friedensabkommen zwischen der Regierung des damaligen Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana und der Tutsi-Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) des heutigen Präsidenten Paul Kagame umgesetzt werden sollte, überwacht von UN-Truppen. Die RPF sollte in die Regierung und in die Streitkräfte aufgenommen werden.

Radikale Generäle und Politiker in Habyarimanas Umfeld wollten das verhindern.

Zu diesem Zweck baute Ruandas damalige Regierungspartei eine Jugendmiliz „Interahamwe“ auf, die unter anderem von der Präsidialgarde trainiert und ausgerüstet wurde. Sie machte Hutu-Jugendliche mobil, während radikale Medien gegen die Tutsi als „fünfte Kolonne“ der RPF hetzten.

Informant schlug beim UN-General Alarm

Am 10. Januar 1994 erfuhr UN-General Dallaire von einem „hochrangigen Ausbilder“ der Interahamwe, dass die Miliz alle Tutsi registriere und illegale Waffendepots angelegt habe. Der Informant würde die Waffenlager preisgeben, wenn er dafür Schutz für seine Familie erhielte.

Dallaire schickte am 11. Januar einen Bericht an die von Kofi Annan geleitete UN-Friedensabteilung DPKO in New York mit dem Vorschlag: „Aktion innerhalb von 36 Stunden“.

„Die verschlüsselte Antwort von Kofi Annan (…) traf mich völlig unvorbereitet“, erinnert sich Dallaire in seinen Memoiren. „Annan tadelte mich, dass ich auch nur daran dächte, die Waffenlager zu konfiszieren, und befahl mir, die Operation sofort zu stoppen.“ Außerdem seien die Informationen des Informanten „sofort an Präsident Habyarimana weiterzugeben“.

Nach weiteren vergeblichen Bemühungen und einer Absage aus New York an Dallaires Vorschlag, dem Informanten sichere Ausreise zu verschaffen, bat Dallaire erneut Annan um grünes Licht, die Waffenlager auszuheben – schließlich sei die „Sicherung aller an Zivilisten verteilten Waffen“ Teil des Friedensabkommens.

„Keine, wiederhole: keine aktive Rolle“

Annan lehnte am 3. Februar erneut ab: die UN-Mission dürfe in Ruanda nur die Regierung und die RPF unterstützen, „aber keine, wiederhole: keine aktive Rolle“ übernehmen.

Als im April das Abschlachten der Tutsi begann, war Annans erste Reaktion laut Dallaire, mit einem Abzug der Blauhelme zu drohen. So kam es dann auch. Erst später bat Annan im UN-Sicherheitsrat um mehr Blauhelme – erfolglos.

Lange Zeit wollte Annan hinterher nicht wahrhaben, was er angerichtet hatte. Noch im März 1995 schrieb er über UN-interne Warnungen vor Ruandas Völkermord: „Wir erinnern uns nicht an irgendwelche spezifischen Berichte.“

Es sollte Jahre dauern, bis Annan sich erinnerte und 1998 Ruanda besuchte, um sich zu entschuldigen. Da war er schon UN-Generalsekretär. Verziehen hat ihm Ruanda bis heute nicht.

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