Kolumne German Angst: Die ganz große Kleine-Leute-Koalition

Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden. Und wir haben Sehnsucht – aber wir haben nichts zu bieten.

Gelbe Westen protestieren in Paris

Sehr gelb, sehr wütend, sehr „wir“? Foto: dpa

„Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden“ – so kommentiert ein Freund die frisch entflammte Liebe vieler Linker und Liberaler zu den Gelbwesten, diesen kleinen Leuten

Denn: Sind nicht gerade jene, denen jetzt das Herz aufgeht, aus der Provinz, der kleinen Welt dieser Leute geflohen? Ich habe das auch getan. Weil ich es konnte. Gelandet bin ich in einer noch kleineren Provinz – nicht so Charlotte-Roche-digital-detox-totale-Entschleunigung-kein-Arzt-kein-Bus-juchuh-mäßig, sondern, um mein Leben zu finanzieren. Hört sich groß an, ist jedoch furchtbar klein.

Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden. Diese kleinen Leute bleiben Sehnsuchtsort und Maß im Sinne dieses gesellschaftlichen Zusammenhalts. Der hieß mal Volksgemeinschaft, Einheit und jetzt nur noch Demokratie. Horst Seehofer sagte zum Antritt, die neue Regierung werde „eine große Koalition für die kleinen Leute“ sein. Die Sozialdemokratie hat sie verraten, die AfD hat sie entdeckt, die Seite 3 möchte sie verstehen: Wer sind sie, was wollen sie, warum so angry? Sie sind eine Klasse, die durch die Rede von oben herab geformt wird.

Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden. Das Unwohlsein, der Klassendünkel, schwingt immer mit, wenn wir über sie sprechen. Von „der sozialen Verachtung, die dieser Bewegung entgegenschlägt“ schrieb Édouard Louis in seinem viralen Text „Wer sie beleidigt, beleidigt meinen Vater“. So sind die kleinen Leute Heilige wie Huren, eben auch Pack, die Homophoben, Rassistinnen und Wutbürger, feuchter Traum der globalisierten Rechten, jene, die aus berechtigter Empörung über Chancenlosigkeit von der sozialen zur nationalen Frage kommen. Ist es da klein, sich radikal abzugrenzen oder – ist Solidarität genau das: sich mit einem Kampf gemein machen, der nicht der eigene ist?

Dieses unser Scheitern

Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden. Darin steckt noch etwas anderes als der Hass auf die sozial Benachteiligten, die unserem konkurrenzförmigen Dasein eigen ist. Dürfen wir, die qua Geburt Privilegierten und doch Gescheiterten, uns überhaupt mit einer so grundsätzlichen Sache wie dem Aufbegehren aus existenzieller Not gemein machen?

Und was bedeutet dieses unser Scheitern am Bruch mit der Provinz, der Spießigkeit, die wir doch tief im Herzen tragen. Das Scheitern daran, es besser zu machen. Dabei, sich dieses prekäre Leben nicht einzugestehen, helfen uns die kleinen Leute. Das Scheitern daran, es besser zu machen. Und eben das Scheitern an der Einlösung des Privilegs. Wie Robin Hood können wir uns mit ihnen solidarisieren, ohne dabei etwas anbieten zu können.

Es ist wohlfeil, fernab (Frankreich) mit der Wut der anderen zu sympathisieren oder sie abzutun (Dresden, Chemnitz). Es ist einfacher, mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der am Ende nur der Sturm auf die da oben ist, mitzugehen, als sich die eigene Kleingeistigkeit, die Unfähigkeit, irgendetwas – sei es Widerstand, sei es Utopie – anbieten zu können, einzugestehen. Wir sind eben nicht die kleinen, wir sind die kleineren Leute.

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Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.

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