Kolumne Habibitus: Können Heten nicht mal campen?

In dieser Woche fand in New York die Met Gala statt. Doch kaum jemand scheint die queere Ästhetik des Mottos „Camp“ verstanden zu haben.

Lady Gaga bei der Met Gala im meterlangen pinken Kleid umringt von schwarzgekleideten Männern mit Regenschirmen.

Lady Gaga im pinken Kleid auf der diesjährigen Met Gala Foto: dpa

Obwohl ich Volksfeste wie Karneval oder Fasching verabscheue, nehme ich Mottopartys sehr ernst. Selbst für die komplexesten Kostümthemen finden verkleidungsfaule Menschen mit ein bisschen Kreativität eine Möglichkeit, mit wenig Aufwand oder Kosten einen Volltreffer zu landen. An meinen Geburtstagen brachte ich meine Freund_innen bereits dazu, sich als Bösewichte, Streber_innen und als mich zu verkleiden. Je selbst-ironischer und übertriebener, desto besser.

Die diesjährige Met Gala, eine Benefizveranstaltung des Metropolitan Museums in New York und zugleich kleidungstechnisch das interessanteste High-Society-Event, fand Anfang der Woche unter dem Motto Camp statt. Die prunkvolle Abendgarderobe der Promis aller Sparten durchflutet meine Social Media Timelines, doch zwischen all den Pailletten, dem Glitzer und den langen Schleppen funkelt für mich in erster Linie Enttäuschung.

Schön sahen die meisten aus, doch die meisten haben das Thema verfehlt – was bitter ist, denn Camp lässt viel Spielraum. Offensichtlich hat kaum eine_r Camp richtig verstanden. Allein, dass in fast jeder Berichterstattung über die Met Gala erklärt werden muss, dass es sich beim Thema nicht ums Campen handelt, verdeutlicht die heteronormative Perspektive auf die queere Ästhetik des Camps.

Camp lässt sich nicht definieren, nur beschreiben, das stellte die feministische Autorin und Theoretikerin Susan Sontag bereits 1964 in ihrem Essay „Notes On ‚Camp‘“ fest. Camp schrammt nicht nur an sogenannter Geschmackslosigkeit, sondern hinterfragt Camp „guten Geschmack“, der eigentlich immer von den Reichen, Schönen und vor allem cis Heten festgelegt wird. Camp beginnt dort, wo Normalos eine Ästhetik als schrullig, übertrieben, künstlich empfinden.

Camp gelingt, wenn Entsetzen ausbricht

Camp ist ungefällig, Camp ist ein „Oh Gott, hat diese Person wirklich…?“, Camp ist: Ich scheiß auf deine Fashion-Regeln und mache es für dich unübersehbar. Camp ist extravagant. Camp ist in die Fresse. Das Gegenteil von Camp ist Mittelmäßigkeit. Camp gelingt, wenn Entsetzen ausbricht. Doch das entsetzendste auf der Met Gala war leider, wie krass die Leute das Thema verfehlt haben.

Es kommt, wie es kommen musste: Letztlich fallen schlechte Fashion-Entscheidungen immer auf cis Heten zurück. Die Assoziation von Heten-Annika im Latex-Rock auf dem CSD ist gar nicht so falsch, denn die mittelmäßigen Looks von irgendwelchen weißen Typen in Spitze und Röcken stößt auf mehr Applaus als ein Frank Ocean im Prada-Nylon-Hoodie – obwohl er als Schwarze queere Person mehr Camp transportiert als Katy Perry in ihrem Faschingskostüm, wie der queere Spoken Word Künstler Kai Isaiah Jamal treffend im Gedicht „4 U Frank & 4 Me“ auf den Punkt bringt. Das beste Statement setzt die lesbische Schauspielerin Lena Waithe. Ihr Look war nicht nur Peak Camp, sondern am Rücken bestickt mit dem Satz: „BLACK DRAG QUEENS INVENTED CAMP“.

So appelliere ich an alle cis Heten, wieder zu der einzigen Form des Campings zurückzukehren, die ihnen wirklich liegt: mit Wohnmobil, ihren schreienden Kindern und ihren „Kuschelrock“-CDs on repeat.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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