ICE-Fahren im Ruheabteil: Betrunkene Almans im Zug

Während Almans im Ruheabteil saufen und quatschen dürfen, werden PoCs angemeckert, wenn sie reden. Auch im ICE formt Rassismus die Regeln.

"Pssst"-Piktogramm des ICE Ruhebereichs

Ich bin kein_e Mathematiker_in, doch ich kenne die Elendsformel: Almans + Alkohol Foto: dpa/Jan Woitas

Bis ich Anfang 20 war, saß ich nur ein einziges Mal im ICE und dies war ein Versehen, da ich nicht wusste, dass ich mit meinem Schülerferienticket nicht mitfahren darf. Erst seitdem ich geschäftlich reise, bin auch ich Teil dieser Gesellschaft, die in der ICE-Werbung abgebildet wird. Ich habe dieses Jahr mehr Stunden im Zug als im Büro verbracht. Jede Zugfahrt erinnert mich nicht nur an den madigen Kommentar von Boris Palmer, der gegen die Deutsche Bahn pöbelte, da auf deren Startseite vor allem PoC zu sehen waren, sondern auch daran, wie Rassismus maßgeblich Regeln formt.

Meistens versuche ich, einen Platz im Ruheabteil zu erwischen, um auf dem Weg zur Arbeit noch andere Arbeit zu schaffen oder es mir zumindest vorzunehmen, während ich Serien, Musik oder Bücher ballere.

Neulich so: Ich sitze gegenüber einer Freundin am Vierertisch im Ruheabteil, beide von uns vertieft im Schreiben, um uns herum ausschließlich Almans. Links von mir löst ein älteres Paar Kreuzworträtsel. Am Vierertisch nebenan sitzen drei aufgedrehte Sekt-Renates und ein Ich-quatsch-gern-mit-Fremden-Thomas, die lautstark schnacken, lachen und socializen. Genervt überlege ich, passiv-aggressiv auf das Ruheschild hinzuweisen, schäme mich aber direkt für meinen Gedanken und gebe auf.

Also unterhalten meine Freundin und ich uns leise. Bis eine Funktionskleidungssabine vor uns steht und erklärt, dass wir uns in einem Ruheabteil befinden. Vielleicht seien uns ja die Schilder aufgefallen. Auf ihnen steht „Psst!“. „Warum haben Sie das nicht vor anderthalb Stunden dem Tisch nebenan gesagt?“, frage ich Sabine. „Ich sage es jetzt in die Runde“, behauptete sie und schaut weiterhin nur mich und meine Freundin an.

Neue Fahrt, neues Elend

Diesmal bin ich allein unterwegs. Sobald ich sitze, dauert es nur wenige Minuten, bis sich eine besoffene alman Männergruppe mit zischenden Bierflaschen und Schlagermusik aus Lautsprecherboxen grölend bemerkbar macht. „Oh nee“, seufze ich in mich hinein. Als ich umsteige, passiert das Gleiche noch mal. Diese neue Typengruppe hat sogar Eiswürfel und eigene Gläser dabei.

Als ich die Schaffnerin bitte, irgendwas zu sagen, entgegen diese nur, dass sie nichts dagegen tun kann, schließlich seien „die“ betrunken. Man zahlt ein halbes Vermögen für ein Bahnticket, nur um am Ende in einer verspäteten, überfüllten Bahn zu landen, die sich, als würden die ersten drei Punkte nicht schon ausreichen, als halber Ballermann herausstellt. Ich bin kein_e Mathematiker_in, doch ich kenne die Elendsformel (Almans + Alkohol). Sie macht jede ICE-Fahrt zum Ausflug in die Hölle. (Okay, vielleicht ist es nur das Foyer der Hölle.)

Es ist offensichtlich: Wären in der Gruppe keine Almans, würde es nicht lange dauern, bis laute Musik oder ausgiebiger Alkoholkonsum in solchen Zügen verboten würde. Bei Almans drückt man gern ein Auge zu, bei Kanax die Kurzwahltaste zur Polizei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.