Kommentar Altenpflege: Horror vorm Heim

Wird die nächste Große Koalition auch große Verbesserungen in der Pflege hervorbringen? Kleine reichen nämlich nicht mehr.

Eine Pflegekraft und eine ältere Dame schauen sich gemeinsam ein Fotoalbum an

Zusammen Fotos anschauen? Dafür gibt es im Pflegealltag eher keine Zeit Foto: dpa

Die Deutschen haben keine gute Meinung von ihren Altersheimen. Stattdessen ist die Angst weit verbreitet, dass man selbst oder die Angehörigen in einem Heim enden könnten. Zu wenig Personal und zu schlechte Pflege – das sind die Hauptsorgen. Es war daher überraschend, wie lange es im Wahlkampf dauerte, bis das Thema Pflege aufkam. Erst in der allerletzten Woche wurde es von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz entdeckt.

Immerhin: Seither wurde das Thema Pflege nicht gänzlich vergessen – sondern auch von der Union adoptiert. Denn die parteiinterne Analyse des Wahldebakels ergab, wenig erstaunlich, dass das sozialpolitische Profil der Union zu wenig erkennbar gewesen war. Das Mantra „schwarze Null“ reicht nicht, um Mehrheiten zu erobern.

In der nächsten Großen Koalition hat die Union daher ein klares Ziel: Das Adjektiv „sozial“ will sie sich nicht von der SPD klauen lassen. Für die Pflege sind dies gute Nachrichten. In den nächsten vier Jahren wird es garantiert „Maßnahmen“ geben. Fragt sich nur, ob sie mehr sein werden als Symbolpolitik.

Kleine Verbesserungen reichen nämlich nicht mehr in der Pflege. Dies machen wenige Zahlen deutlich: Von 1999 bis 2015 nahm die Zahl der Vollzeitstellen in der Heimpflege um 84 Prozent zu, während die Zahl der sta­tionär Pflegebedürftigen „nur“ um 67 Prozent stieg. Der Personalschlüssel wurde also besser – und trotzdem reicht die Zeit bei Weitem nicht aus, die für den einzelnen Pflegebedürftigen bleibt.

Wer zahlt?

Zudem herrscht in den Heimen bisher die Billigheimer-Mentalität vor: Das meist weibliche Personal erhält oft nur ein karges Gehalt. Doch Zusatzpersonal lässt sich zu diesen Niedriglöhnen kaum noch finden.

Wenn sich das Leben in den Heimen verbessern soll, wird man also Geld investieren müssen. Was sofort zu der lästigen Frage führt: Wo sollen denn diese Milliarden herkommen?

Die Antwort ist völlig offensichtlich, aber unbequem für Union und SPD: Die Pflegesätze müssen zulegen – und zwar paritätisch. Es geht nicht an, dass die Arbeitgeber weiterhin geschont werden und nur die Arbeitnehmer zahlen, wenn die Beiträge steigen. Es wird noch anstrengend für Union und SPD, wirklich sozial zu sein.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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