Kommentar "Occupy Wall Street": Ein vielversprechender Anfang

Die Zeit des paralysierten Ausharrens ist vorbei. Gerade viele junge Menschen nehmen es nicht länger hin, dass mit ihrer Zukunft gespielt wird.

Wieder einmal haben die meist konservativen Kommentatoren kräftig danebengelangt. Hüben wie drüben. Von wegen der Protest gegen den Wall-Street-Kapitalismus sei ein Aufstand der Unanständigen, denen Demonstrieren ein Selbstzweck ist.

Das Gegenteil ist der Fall. Es ist genau die Zukunftselite der USA, die vom Virus der Ermächtigung befallen ist. Die jungen Studierenden gehen auf die Straßen, weil sie auf hohen Darlehen sitzen und auch mit ihren Eliteabschlüssen nichts werden. Es sind diejenigen, die ihr Land gestalten wollen; die sehen, dass die Zukunft der USA mit jedem Tag, der ohne tiefgreifende Reformen verstreicht, düsterer wird.

Ihre Not ist offensichtlich so groß, dass sie in Kauf nehmen, als unpatriotisch und amerikafeindlich abgekanzelt zu werden, weil sie sich das Herz der kapitalistisch verfassten Gesellschaft vorknöpfen: die Banken, die Broker, das Geld. Die Demos zeigen auch, dass gerade die ehemaligen Obama-Anhänger von diesem Präsidenten heute nichts Gutes mehr erwarten.

Begonnen hat es, das darf man bei aller Freude über das späte Erwachen der Neuen Welt nicht vergessen, auf dem Alten Kontinent. In Spanien gingen Jugendliche massenweise gegen die wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Straße. Dass mit den heutigen Großdemos diese Bewegung sozusagen von Amerika in den Rest der Welt zurückgespült wird, zeugt von dem globalen Ausmaß der Krise. Und davon, welche Strahlkraft noch immer von der Chiffre "Wall Street" ausgeht.

Es ist schwer zu sagen, was am Ende des "Tags der weltweiten Revolution" wirklich passiert sein wird. Aber egal wie viele Menschen auch auf die Straßen gehen: Sie nehmen es nicht länger hin, dass mit ihrer Zukunft gespielt wird, dass die Rettung der Banken im Vordergrund steht, nicht aber das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger. Zwar geht in Deutschland alles nach wie vor einen geordneten Weg.

Trotzdem wird es Zeit, dass die Menschen eine grundlegende Kursänderung einfordern. Die Zeiten des nahezu paralysierten Ausharrens müssen endlich ein Ende haben. Der heutige Tag kann ein vielversprechender Anfang sein. Je mehr Menschen sich mobilisieren, desto wirksamer ist das Zeichen an die Politik, endlich zu handeln.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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