Kommentar rechte Gewalt und Krise: Albtraum Europa

Die Sparmaßnahmen werden zur Verarmung der Gesellschaft führen, der Hass wächst. Gianluca Casseris Morde zeigen, dass sich Italiens Neofaschisten radikalisieren.

Gianluca Casseri, der Killer von Florenz, war kein sentimentaler Faschist. Er war ein Neonazi. Das ist neu für Italien. Beobachter warnen schon länger davor, dass sich die rechte Szene dort radikalisiert und von alten Mustern verabschiedet hat.

Casseri war also kein reiner Irrer und Einzeltäter. Man mag nach den Ereignissen von Lüttich Zweifel haben an der Anklage der senegalesischen Gemeinde von Florenz, dass Wahnsinnige schwerlich eine großkalibrige Pistole in die Hand bekommen. Aber es ist klar, dass Casseri in ein Nazinetzwerk eingebunden war, das auf eine Doppelstrategie aus Gewalt - gegen Migranten und Linke - und Kümmerpropaganda für die Mehrheitsgesellschaft setzt.

"Die Rechte ist sozial oder sie ist nicht rechts" - diesen Slogan kann man in Rom an jeder Straßenecke lesen. Er ist gefährlicher als alle Duce-Kalender, die im Süden Italiens an den Kiosken aushängen. Denn das EU-Spardiktat wird, wenn sich Deutschland durchsetzt, zu einer weiteren Verarmung der Gesellschaftsschicht führen, die heute noch Mittelstand heißt. Der Hass auf muslimische Senegalesen in Florenz oder auf Roma in Turin, wo eine Lüge ein Pogrom auslöste, sind nur der Anfang.

Jetzt reagiert der italienische Staat mit Repression gegen die Naziaktivisten der Organisation Militia. Doch neben der - nach dem Totalmisserfolg der NSU-"Ermittler" in Deutschland - naheliegenden Frage, warum es erst jetzt zu Verhaftungen und Durchsuchungen kommt; und neben der hehren Hoffnung, dass die italienische Gesellschaft endlich toleranter gegenüber den Migranten und intoleranter gegenüber den Nazis wird, kann man heute schon wissen: Eine friedliche, multikulturelle Gesellschaft kann in der Dauerkrise nicht funktionieren.

Toleranz braucht Bildung, braucht Gerechtigkeit, braucht Arbeit und Wohlstand. Vielleicht wird am Schluss der derzeitigen Krise der Euro gerettet. Aber es besteht die Gefahr, dass von Europa dann nicht mehr übrig ist als ein chauvinistischer Albtraum.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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