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Krieg in GazaIsrael tötet Al-Jazeera-Korrespondenten in Gaza

Ein israelischer Luftangriff hat fünf Journalisten in Gaza getötet. Unter ihnen ist der bekannte palästinensische Journalist Anas al-Scharif.

Ein Screenshot aus einem Video von Al Jazeera zeigt Anas al-Sharif Foto: Al Jazeera via ap

Jerusalem taz | Der weithin bekannte palästinensische Al-Jazeera-Journalist Anas al-Scharif ist zusammen mit vier Kollegen bei einem Luftangriff in Gaza-Stadt getötet worden. Insgesamt kamen bei dem Angriff auf ein Pressezelt neben dem Al-Schifa-Krankenhaus am späten Sonntagabend sieben Menschen ums Leben, berichtet Al Jazeera. Al-Scharif galt zuletzt als das bekannteste Gesicht des katarischen Senders im Gazastreifen. Journalistenorganisationen und die Vereinten Nationen hatten im Juli gewarnt, Israel bereite mit einer Rufmord-Kampagne dessen Ermordung vor.

Der 28-jährige Reporter veröffentlichte noch Minuten vor seinem Tod beim Kurznachrichtendienst X ein Video und berichtete von schweren Bombardierungen in Gaza-Stadt. Mit Bezug auf die israelischen Pläne, den gesamten Norden des Küstenstreifens einzunehmen, schrieb er: „Wenn dieser Wahnsinn nicht aufhört, werden von Gaza nur Ruinen bleiben, seine Stimmen zum Schweigen gebracht, seine Gesichter ausgelöscht – und die Geschichte wird euch erinnern als stille Zeugen eines Genozids, den ihr nicht aufhalten wolltet.“

Die israelische Armee bestätigte den Angriff. Sie veröffentlichte Ausschnitte aus nicht überprüfbaren Dokumenten, die belegen sollen, dass al-Scharif „Kopf einer Hamas-Zelle“ und für Raketenangriffe auf Israel verantwortlich gewesen sei. Ähnliche Anschuldigungen hatte Armeesprecher Avichai Adraee bereits in den Wochen zuvor gemacht. Am 20. Juli warf er al-Scharif vor, eine „Hamas-Kampagne“ mit Falschbehauptungen über Hungerleiden zu betreiben, weil der Reporter während einer Live-Schalte zur humanitären Lage in Tränen ausgebrochen war.

CPJ warnt vor unbegründeten Behauptungen

Das internationale Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) und die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit, Irene Khan, hatten die Anschuldigungen im Juli als „gegenstandslos“ bezeichnet und vor einer Schmutzkampagne und einer Bedrohung des Lebens von al-Scharif gewarnt. Es gebe zunehmend Hinweise, dass Journalisten „in Gaza von der israelischen Armee auf der Grundlage unbegründeter Behauptungen, sie seien Hamas-Terroristen, gezielt angegriffen und getötet wurden“, schrieb Khan.

Getötet wurde bei dem Luftangriff laut Al Jazeera auch deren Korrespondent Mohammed Kreikeh sowie die Kameraleute Ibrahim Saher, Mohammed Nufal und Moamen Aliwa. Dem Leiter des Al-Schifa-Krankenhauses zufolge starb auch der freie Journalist Mohammed al-Chaldi.

Seit dem 7. Oktober wurden im Gazastreifen laut CPJ 186 Journalisten getötet. Das von der Hamas kontrollierte Medienbüro in Gaza zählt 237 getötete Mitarbeiter von Medien. Der Sender Al Jazeera, den Israel auf seinem Staatsgebiet und im besetzten Westjordanland verboten hat, hatte seit Kriegsbeginn bei israelischen Angriffen mindestens sechs Mitarbeiter, acht freie Mitarbeiter sowie zahlreiche ihrer Familienmitglieder verloren, darunter Hamsa al-Dahdouh, Ismail al-Ghoul, Rami al-Refee und Hossam Schabat.

CPJ-Regionaldirektorin Sara Qudah zeigte sich „entsetzt“ über den Angriff auf al-Scharif und sagte: „Die Praxis, Journalisten ohne glaubwürdige Beweise als Militante zu bezeichnen, wirft ernsthafte Fragen hinsichtlich seiner Absichten und seiner Achtung der Pressefreiheit auf.“

Israel verweigert internationalen Reportern Zugang

Kritik kam auch seitens der Bundesregierung. „Die Tötung von Journalisten verurteilen wir“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Zudem sei „die Frage zu beantworten, warum dabei fünf Kollegen getötet wurden“, wenn der Angriff al-Scharif gegolten habe. Israel müsse darlegen, weshalb der Verlust des Schutzstatus des Journalisten „überhaupt zu rechtfertigen“ sei.

Al-Scharif, der im Flüchtlingslager Dschabalia im Norden des Gazastreifens geboren wurde, hatte CPJ im Juli in einem Interview gesagt, er lebe mit dem Gefühl, „dass ich jeden Augenblick bombardiert und getötet werden könnte“. Am Montag versammelten sich im Hof des von Bomben zerstörten Al-Schifa-Krankenhauses Hunderte Menschen, um al-Scharif und seine Kollegen zu beerdigen und Abschied von ihnen zu nehmen.

Er hinterlässt eine Frau und zwei kleine Kinder. Sein 90-jähriger Vater war bereits im Dezember 2023 bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza-Stadt getötet worden. Al-Scharif soll laut CPJ zuvor mehrfach von der israelischen Armee aufgefordert worden sein, seine Berichterstattung einzustellen. Israel verweigert internationalen Reportern seit 22 Monaten den unabhängigen Zugang nach Gaza. Anders als viele andere Sender verfügt Al Jazeera über ein großes Netz von lokalen Reportern vor Ort.

Bewohner von Gaza-Stadt berichteten am Montag laut der Nachrichtenagentur Reuters von schweren Bombardements im Osten der Stadt. Panzer und Flugzeuge beschossen demnach unter anderem die Viertel Sabra und Seitun. Viele fürchten den Beginn der jüngst von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu angekündigten Eroberung von Gaza-Stadt, wo sich derzeit rund eine Million Menschen aufhalten. Bisher gibt es jedoch keine Anzeichen für den Beginn einer Bodenoffensive.

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12 Kommentare

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  • Naja, seine Selfies mit Sinwar (samt Küßchen) sprechen jetzt auch nicht gerade dafür, dass es sich bei Al-Sharif um ein Unschuldslamm bzw. einen objektiven Beobachter handelte.

  • "Die israelische Armee bestätigte den Angriff. Sie veröffentlichte Ausschnitte aus nicht überprüfbaren Dokumenten, die belegen sollen, dass al-Scharif „Kopf einer Hamas-Zelle“ und für Raketenangriffe auf Israel verantwortlich gewesen sei."

    Mit anderen Worten, es sind nur Behauptungen, mehr nicht.

    Und es sind immer wieder die selben Behauptungen, nämlich, dass es nur darum ginge, die Hamas zu besiegen.

    Wenn es primär darum gehen würde, wäre der Militäreinsatz schon lange zuende; denn die Hamas ist - abgesehen von versprengten - Grüppchen militärisch längst verschwunden. Auf jeden Fall stellt sie auch auf lange Sicht keine Gefahr mehr dar.

    Es ist so, als würde man hinter jedem Zivilisten, Journalisten, Arzt und Helfer einen Teufel sehen. Das ist eine Propaganda mit Wahnvorstellungen, die an die christliche Verfolgung von Hexen und Juden erinnert, die man nämlich ebenfalls mit dem "Teufel" in Verbindung gebracht hat. Es ist quasi europäisch-mittelalterliche Propaganda.

  • Wiki: "Das arabischsprachige Programm (von Al-Jazeera), das eine viel höhere Einschaltquote hat, versteht sich als Propagandainstrument der Muslimbrüderschaft mit Yusuf al-Qaradawi als spiritueller Führungsfigur, die regelmäßig zum Heiligen Krieg aufruft."

    Dafür arbeitete Anas al-Sharif.

    Zu Yusuf al-Qaradawi, Wiki: "Zahlreiche Kritiker, darunter anerkannte muslimische Intellektuelle, warfen al-Qaradāwī vor, seine mediale Präsenz – durch die er gleichsam als „globaler Mufti“ wirkte – zu missbrauchen und durch seine Predigten den Islamismus und islamischen Terrorismus zu fördern."

    de.wikipedia.org/wiki/Al_Jazeera



    de.wikipedia.org/wiki/Yusuf_al-Qaradawi

  • Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Netanjahu Clique sich mitnichten an Fairness, Völkerrecht, Menschenwürde oder gar Pressefreiheit hält. Warum auch? Diese Skrupellosigkeit mit der diese Kriegsverbrecher gegen alles (!!) vorgehen, was ihnen nicht in ihren rechtsextremistischen Krempel passt, sucht ihresgleichen. Und es gibt immer noch Zeitgenossen, die das für "normal" halten - die Hamas sei an allem Schuld. Genau auf diese Klientel setzen diese Extremisten.

    • @Perkele:

      "noch Zeitgenossen, die das für "normal" halten - die Hamas sei an allem Schuld."

      Der Journalist Hani Al-Agha wurde über 20 Tage gefoltert, bis er kaum noch stehen konnte, weil er rein journalistisch gearbeitet hatte.

      Human Rights Watch dokumentiert zahlreiche Fälle, bei denen Hamas Kritikerinnen, darunter Journalistinnen, blindwütig verhaftet und inhaftiert wurden. Häufig aufgrund vager Anschuldigungen wie „Anstiftung zu Zwietracht“. Torturen und Einschüchterung gehörten fast immer dazu.

      Der Journalist Ayman al-Aloul wurde 2016 verhaftet, gefoltert, stundenlang ohne Nahrung oder Kleidung in schwierigen Positionen festgehalten und schließlich gezwungen, eine Schweigeverpflichtung gegenüber Hamas zu unterschreiben

      Es gab schon vor dem Krieg keine unabhängige Berichterstattung wegen der Hamas. Israelische Bomben für grausamer zu halten als die Folter von Terroristen ist sehr zynisch.

      • @Pawelko:

        "Israelische Bomben für grausamer zu halten als die Folter von Terroristen ist sehr zynisch."

        Abgesehen davon das der Forist Perkele diesen Vergleich nicht angestellt hat, welches Recht leitet Israel für sich vom Terror der Hamas eigentlich ab?

        Ein Pressezelt in die Luft zu sprengen, weil die Hamas ja auch Journalisten gefoltert hat, würde dann diesem Selbstverständnis entsprechen?

        Oder Menschen auszuhungern, weil man keine andere Strategie hat um den Gegner zu schwächen?

        Dann würde sich der Staat Israel allerdings auf die selbe Ebene begeben wie eine Terrororganisation.

        Eine Unterscheidung wäre dann nur noch in der Wahl der Mittel auszumachen. Die einen Foltern und die anderen bombardieren. Die einen stehlen Lebensmittel die anderen blockieren den Zugang zu diesen.

        Ich kann da mittlerweile keinen großen Unterschied mehr ausmachen, würde aber keines von beiden gutheißen und schon gar nicht in irgendwelchen Foren verteidigen wollen.

      • @Pawelko:

        "sehr zynisch"



        was ist dann Ihr Kommentar?



        Wollen Sie sagen, da die Hamas Journalisten gefoltert hat darf Israel diese jetzt mit Bomben töten?



        Selbst wenn es irgendwelche Beweise gegen den Mann gegeben hätte, eine Verhaftung wäre ja auch möglich gewesen.

      • @Pawelko:

        Die Hamas ist nach allem was ich weiß eine grausame militante Terrororganisation, die bekämpft werden muss.



        UND



        Israel, bzw. die aktuelle Israelische Regierung, muss sich als legitimer, demokratischer Rechtsstaat an das Völkerrecht, die Menschenrechte, die Pressefreiheit und die eigenen Gesetze halten.

        Kein Widerspruch.

  • Gestern, während Netanjahus Fernsehansprache, wurde verkündet, dass seit ein paar Tagen internationale Reporter in den Gazastreifen rein dürfen. Stimmt das?

    • @Schmil Jan:

      Noch nicht gehört / gelesen. Die entscheidende Frage ist wohl: embedded oder nicht.

      In einem früheren Artikel in der taz (taz.de/Krieg-und-Fotos/!6101615/) wurde auch berichtet, dass neben Israel auch Ägypten die Einreise von Journalisten nach Gaza verhindere. Dies war für mich bis dahin neu. Kann das bitte (ggf auch die Red selbst) bestätigen? Vielen Dank.

    • @Schmil Jan:

      Bei Fox News wird das kein Problem sein. Ansonsten muss man mal abwarten, wie die Praxis aussieht. Ich vermute, nicht besonders gut.

  • „Die Praxis, Journalisten ohne glaubwürdige Beweise als Militante zu bezeichnen, wirft ernsthafte Fragen hinsichtlich seiner Absichten und seiner Achtung der Pressefreiheit auf.“



    Ich würde eher sagen, sie beantwortet die Fragen.