Kunstfreiheit: Flüchtlinge als soziale Plastik

Auf Kampnagel könnte ein Teil der Lampedusa-Gruppe demnächst ein Quartier für den Winter bekommen. Das müsste nicht einmal genehmigt werden.

Bald möglicherweise ein Winterquartier: Flora-Nachbau auf Kampnagel. Bild: Screenshot: Nordstarter.org

HAMBURG taz | Ginge es nach dem Willen der Künstlergruppe „Baltic Raw“, könnte auf dem Gelände von Kampnagel bald ein neues Quartier für Lampedusa-Flüchtlinge entstehen. Die Hamburger Künstler haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um ein Holzhaus zu einer wintertauglichen Unterkunft umzufunktionieren.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard 40 Geflüchtete in einer Halle auf dem Theatergelände untergebracht. Als Aktivisten nun erneut nachfragten, ob Kampnagel nicht wieder ein Bettenlager machen könnte, winkte Deuflhard ab: „Es macht keinen Sinn mehr, dass man die Flüchtlinge von Institution zu Institution und von einer Kirche zur anderen weiterreicht und immer schlafen sie unter miserablen Bedingungen auf dem Boden.“

Etwas anderes sei es bei einem Kunstprojekt, das einen vorbildhaften utopischen Entwurf biete, der für diese und andere Städte interessant sein könnte.

Diesen Vorschlag will die Gruppe nun umsetzen: „Verglichen mit üblichen Containerunterkünften ist dieser Bau immer noch ein unglaublicher Luxus“, sagt Künstlerin Móka Farkas. Das drücke der Name Eco-Favela allerdings nicht aus. Der stehe vor allem für die flüchtige Architektur. Denn das Projekt ist als Winterquartier für fünf Monate geplant und versteht sich als experimentelle Anordnung, die – ausgestattet mit Wasser, Toiletten und Strom – vollkommen autark von der jeweiligen Umgebung sein soll. In dem 100 Quadratmeter großen Gebäude sollen etwa sieben Flüchtlinge untergebracht werden.

Mit dem Bau einer Eco-Favela will die Künstlergruppe "Baltic Raw" auf dem Kampnagel-Gelände ein Winterquartier für etwa sieben Lampedusa-Flüchtlinge errichten.

Das Gebäude ist bereits entworfen, technisch geplant, Dach und Wände stehen.

Materialsponsoren sind Kampnagel, Viva con Agua, und das Fusion-Festival.

Benötigt werden 10.000 Euro, die über Crowdfunding gesammelt werden, damit sollen die Gebäude ausgebaut und die Inneneinrichtung bezahlt werden.

Sollte mehr Geld zusammen kommen, sollen Mitwirkende außerdem Aufwandsentschädigungen erhalten.

Lediglich 300 Euro wurden bislang gespendet.

Als Kunstprojekt ist das Vorhaben nicht einmal genehmigungspflichtig. Denn die Kunst ist frei. „Genau das nutzen wir“, sagt Farkas. Auch das Gebäude ist bereits vorhanden. Denn für das Internationale Sommerfestival baut die Künstlergruppe die Rote Flora nach. In der Flora-Kopie, die während Festivals als Zentrum und Außenbühne dient, werden ab Mittwoch zweieinhalb Wochen lang Konzerte und Theaterstücke aufgeführt. Weil das Gebäude bis Anfang Mai kommenden Jahres auf dem Kampnagel-Gelände stehen bleiben kann, entstand die Idee, das Haus für das Winterquartier zu nutzen.

Die Gruppe der 300 Lampedusa-Flüchtlinge, die vor dem libyschen Bürgerkrieg nach Italien geflohen sind, bittet Hamburg seit anderthalb Jahren um ein Bleiberecht. Denn in Italien finden sie weder Arbeit noch Obdach. In Hamburg hätten sie dagegen eine Perspektive – wenn der SPD-Senat wollte. Doch er will nicht. Es gehe nicht darum, mit dem Kunstprojekt eine Entscheidung des Senats zu unterlaufen, sagt Deuflhard, die Mitte Juni mit anderen Hamburger Kulturschaffenden das Lampedusa-Manifest vorstellte. „Aber im Rahmen der Kunst kann ich mich damit identifizieren.“

„Seit vielen Jahren empfinde ich es als Teil meiner Aufgabe, dass ich mich als Kunstschaffende sowohl mit politischen Bewegungen als auch mit der Politik in unserer Stadt und der globalen Politik beschäftige“, sagt sie. Außerdem baue man ja kein Lager für 400 Flüchtlinge, sondern errichte eine soziale Plastik, die auch als Prototyp vorbildhaft sein könnte für andere temporäre, flexible multifunktionale Nutzungen. Um einen Nachbau zu ermöglichen, sollen Pläne und Technik veröffentlicht werden.

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