Maja T. nach dem Hungerstreik: Allein in Orbáns Ungarn
40 Tage war Maja T. im Hungerstreik. Doch die Isolationshaft bleibt. Verantwortung für die rechtswidrige Auslieferung hat bisher niemand übernommen.

Es gehe Maja wieder etwas besser, sagt Vater Wolfram Jarosch. „Das ist eine große Erleichterung.“ Maja T. hatte den Hungerstreik beendet, weil es gesundheitlich nicht mehr anders ging. 14 Kilogramm Körpergewicht hatte T. verloren, die Blutwerte waren kritisch, Leber und Niere angegriffen, die Herzfrequenz zeitweise auf 30 Schläge pro Minute gesunken. Maja T. war in ein Haftkrankenhaus an der ungarisch-rumänischen Grenze verlegt worden, 260 Kilometer von Budapest entfernt. Ungarische Ärzte stellten eine Zwangsernährung und die Implantation eines Herzschrittmachers in Aussicht.
Nun befindet sich T. weiter im Haftkrankenhaus, hinter Stacheldraht, weiter in Isolationshaft. An der Situation der Antifaschist*in hat sich nichts geändert. Auch nicht durch einen Besuch von Géza Andreas von Geyr, dem Staatssekretär von Außenminister Johann Wadephul (CDU), am Dienstag bei der Orbán-Regierung. Zum Ergebnis des Gesprächs wollte sich das Auswärtige Amt nicht äußern, der Inhalt sei vertraulich. Zuvor schon aber hatte Wadephul betont, dass Ungarn ein Interesse an einer eigenen Strafverfolgung bekräftigt habe. Maja T. reagierte inzwischen mit einer Erklärung: „Werden meine Forderungen weiter ignoriert, bin ich entschlossen, den Hungerstreik erneut aufzunehmen.“
Im Februar 2023 soll T. mit anderen deutschen Linken mehrere Rechtsextreme in Budapest brutal verprügelt haben, auch mit Schlagstöcken, am Rande des „Tags der Ehre“, eines europaweiten Neonazi-Aufmarschs. Die Angegriffenen erlitten Platzwunden, Knochenbrüche, Prellungen. Zurück in Deutschland wurde T. im Dezember 2023 von Zielfahndern in einem Berliner Hotel gefasst – zuvor hatten diese Telefone von Freunden überwacht und eine Person auf dem Weg zu einem Treffen mit T. observiert. T. wurde in der JVA Dresden inhaftiert – und am 28. Juni 2024, nach einem Beschluss des Berliner Kammergerichts, nach Ungarn ausgeliefert. Rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Bisher nicht nachgewiesen, ob Maja T. mit angriff
Seit Februar läuft in Budapest nun ein Prozess gegen Maja T. – mit einer Strafandrohung von 24 Jahren Haft. Die Beweisaufnahme konnte bisher nicht nachweisen, dass T. zu den vermummten Angreifern gehörte: Es gibt Videos, die Maja T. laut Ermittlern „wahrscheinlich“ damals in Budapest zeigen. Auf den Tatvideos selbst aber sind nur Vermummte zu sehen. Maja T. selbst schweigt zu den Vorwürfen, erklärte zu Prozessbeginn lediglich, es gebe in der Anklage „kein einziges Wort, das mein Leben, meine Persönlichkeit skizziert und auf Tatsachen beruht“.
Auch Vater Wolfram Jarosch pocht auf die Unschuldsvermutung. Die Vorwürfe müssten natürlich geklärt werden, sagt er. Aber rechtsstaatlich. Zuletzt war der 54-jährige Biologielehrer aus Protest von Jena, der Heimatstadt der Familie, nach Berlin gelaufen. Dem Auswärtigen Amt übergab er dort eine Petition mit gut 100.000 Unterschriften, die eine Rücküberstellung von Maja T. nach Deutschland fordern. Am Mittwoch machte sich Jarosch erneut auf den Weg, von der JVA Dresden nach Budapest, 800 Kilometer zu Fuß – hungernd. Ein Marsch für Gerechtigkeit, sagt er.

Sachsens Staatsschutz-Chef verteidigt Auslieferung
Auch eine andere Frage treibt den Vater um. Wer übernimmt Verantwortung für die rechtswidrige Auslieferung seines Kindes vor einem Jahr? Bisher niemand. Eine neue Debatte darüber entfachte ausgerechnet Denis Kuhne, Chef des Staatsschutzes Sachsen, dem die Soko Linx untersteht, die auch gegen Maja T. ermittelte. In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung kritisierte er kürzlich, es finde im Fall Maja T. eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Schließlich gehe es bei den Budapest-Angriffen um versuchten Mord und eine kriminelle Vereinigung. Dass die Auslieferung verfassungswidrig war, sei „eine verkürzte Darstellung“. Das Verfassungsgericht habe nur gerügt, dass das Berliner Gericht die Haftverhältnisse für nonbinäre Personen in Ungarn nicht ausreichend geprüft habe – nicht dass diese tatsächlich „unmenschlich“ seien. Dass Ungarn autokratisch sei, sieht Kuhne nur „angeblich“ so. Und warnte, die Proteste für T. könnten sich radikalisieren.
Wolfram Jarosch empören die Aussagen Kuhnes. Er betont erneut die Unschuldsvermutung und spricht von „ungeheuerlichen Unterstellungen“, fordert eine öffentliche Entschuldigung. Gerade er habe sich immer für friedlichen Protest eingesetzt, sei mit seinen Fußmärschen vorangegangen. „Wie kann man noch friedlicher demonstrieren?“ Auch Kuhnes Bild von Ungarn sei verharmlosend, sagt Jarosch. Tatsächlich hat die EU Ungarn zuletzt wegen Rechtsstaatsverstößen Fördermittel in Milliardenhöhe vorenthalten. Das Land steht in der Kritik wegen seines Vorgehens gegen NGOs und die queere Community.
Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Helge Limburg kritisiert Kuhne scharf: „Der Staatsschutzchef relativiert den Verfassungsbruch seiner Behörde.“ Kuhne müsse sich fragen, „ob er seiner Aufgabe, nämlich diesen Rechtsstaat zu schützen und zu verteidigen, noch gewachsen ist“. Sven Richwin, Anwalt von Maja T., nennt Kuhnes Aussagen „irritierend plump“. Der Beschluss des Verfassungsgerichts sei eindeutig.
So hatte das oberste Gericht explizit erklärt, dass mit der Auslieferung Maja T.s Grundrechte verletzt wurden. Zwar erfolgte dies mit der Begründung, dass das Gericht nicht ausreichend geprüft habe, welche Haftumstände nonbinäre Personen in Ungarn erwarteten und konkret Maja T. Aber das Gericht sah sehr wohl „hinreichende Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel“. Es verwies etwa auf einen Bericht der NGO „Hungarian Helsinki Committee“, auf eidesstattliche Erklärungen ehemaliger Inhaftierter und auf die Einschätzung des Berliner Kammergerichts selbst, das noch bei der Haftanordnung gegen T. der ungarischen Regierung eine „gender-, homo- und transfeindliche Politik“ attestierte.
Das Berliner Gericht hatte am Ende dennoch dem Auslieferungsersuchen zugestimmt, da es sich auf Zusicherungen des ungarischen Justizministeriums verließ, dass es für T. menschenrechtskonforme Haftbedingungen geben werde und die Option, nach einer möglichen Verurteilung die Haftstrafe in Deutschland abzusitzen. Angaben, so das Bundesverfassungsgericht, die genauer hätten überprüft werden müssen.
Auslieferung schon Tage im Voraus genau vorbereitet
Unterlagen, welche die taz einsehen konnte, zeigen zudem, wie Berliner und sächsische Behörden die Verteidiger von Maja T. bei der Auslieferung überrumpelten. Schon am 20. Juni 2024, acht Tage vor dem Termin, schrieb das Berliner LKA vertraulich an die Berliner Generalstaatsanwaltschaft, dass die Auslieferung von T. „noch nicht offiziell verkündet“ sei, aber in einer knappen Woche erfolgen solle. Zu rechnen sei dann mit „gewalttätigen Protesten und Störaktionen“. Deshalb müsse die Auslieferung „zeitnah“ erfolgen. Auch die sächsische Polizei wurde eingeweiht. Der Plan war zunächst, T. mit einem regulären Linienflug nach Ungarn zu bringen, in Begleitung von Beamten. Später wurde die Idee verworfen und ein Hubschrauber organisiert, der in Dresden bereitstehen sollte. Intern wurde „strikte Geheimhaltung“ eingefordert, Polizeikräfte wurden unter einer Legende für einen nächtlichen Einsatz angefordert.
Am Mittag des 27. Juni dann fällte das Berliner Kammergericht seinen Beschluss und erklärt die Auslieferung von T. für zulässig. Um 13.30 Uhr wurden die sächsische und Berliner Polizei informiert, die JVA Dresden, die Bundesanwaltschaft, die Bundespolizei und das BKA. Wer nicht informiert wurde: die Verteidiger von T. Das erfolgte erst dreieinhalb Stunden später, um 17.05 Uhr – nach Feierabend der Anwälte.
In der folgenden Nacht klopften Beamte um kurz vor 2 Uhr an die Zellentür von Maja T. in der JVA Dresden. Erst nach mehrfachen Insistieren T.s soll ein Anruf mit Verteidiger Maik Elster möglich gewesen sein. Der soll einem LKA-Beamten mitgeteilt haben, dass man Verfassungsbeschwerde einlegen werde. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft beteuerte später, dass nur allgemein eine Beschwerde angekündigt wurde – was der Verteidiger bestreitet. Später räumt die Behörde ein, sie habe nicht genau gewusst, was der Verteidiger dem LKA-Beamten gesagt hatte. Einen direkten Kontakt zur Staatsanwaltschaft in der Nacht verweigerte das LKA den Anwälten und verwies auf die Geschäftszeiten. Um 3.25 Uhr wurde T. aus der Zelle geholt, vom Flughafen Dresden zur österreichischen Grenze geflogen und um 6.50 Uhr der Polizeiinspektion Schärding abgesetzt. Von dort ging es mit einem Transporter nach Ungarn, wo T. um 10 Uhr an ungarische Polizisten übergeben wurde.
Vater stellte sich vor Gefängnis-Ausfahrt
Die Familie wurde derweil im Unklaren über den Verbleib von T. gelassen. Noch in der Nacht eilte Vater Wolfram Jarosch zur JVA Dresden, fragte nach dem Verbleib seines Kindes und wollte die Gefängnisleitung sprechen. Das wurde ihm verwehrt. Als kurz vor acht Uhr am Morgen zwei Polizeifahrzeuge aus der JVA kamen, verstellte er ihnen den Weg, wich kurz darauf aber zur Seite. Auch einige Unterstützer*innen waren vor Ort und die Großeltern, sie hatten für den Tag einen Besuchstermin bei T. Um kurz vor 10 Uhr teilte die JVA den Angehörigen mit, dass T. nicht mehr vor Ort sei.
Kurz darauf warnte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft intern diverse Behörden, dass aufgrund eines ersten taz-Artikels die Öffentlichkeit nun über die Auslieferung Bescheid wisse – aber nicht, dass diese bereits „abgeschlossen“ sei.
Auch die Verteidiger wussten nichts über den Verbleib von Maja T. Um 7.38 Uhr schickten sie einen über Nacht geschriebenen Eilantrag ans Bundesverfassungsgericht, um die Auslieferung noch zu stoppen. Karlsruhe informierte darüber auch die Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Um 10.50 Uhr untersagte das Gericht dann die Auslieferung – auch weil T. „keine realistische Möglichkeit“ gehabt habe, vom Rechtsschutz Gebrauch zu machen. Die Staatsanwaltschaft antwortete darauf nur, dass Maja T. längst in Ungarn sei und man keinen Zugriff mehr habe.
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) erklärte später nur, dass man die Entscheidung des Verfassungsgerichts „zur Kenntnis genommen“ habe. Die Auslieferung könne aber „nicht rückgängig gemacht werden“. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) beteuerte, die sächsische Polizei habe nur Amtshilfe geleistet. „Originär zuständig“ seien die Berliner Behörden gewesen, die auch die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit getragen hätten.
SPD-Mann sieht Vertrauen „massiv infrage“ gestellt
Wolfram Jarosch dagegen fordert Konsequenzen. „Hier wurden nicht nur die Rechte meines Kindes missachtet. Es handelt sich um einen gezielten Angriff auf die Gewaltenteilung und den Rechtsstaat.“ Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Falko Droßmann, der T. in ungarischer Haft besuchte, fordert, die Auslieferung müsse „umfassend juristisch und politisch aufgearbeitet“ werden. Der Vorgang stelle das Vertrauen in rechtsstaatliche Verfahren „massiv infrage“. Maja T. gehöre nach Deutschland zurückgeholt.
Auch Landespolitiker*innen sehen die Sache längst nicht abgeschlossen. Die sächsische Linken-Abgeordnete Jule Nagel fordert ebenso ein Ende „des rechtswidrigen Zustands“ und die Rückholung von Maja T. Auch sie kritisiert Staatsschutzchef Kuhne scharf. Ihr Berliner Parteikollege Niklas Schrader sieht auch Berlins Justiz weiter „für dieses menschenrechtliche Debakel“ mitverantwortlich. „Da reicht es nicht, wie die Justizsenatorin beschämt in die Luft zu gucken und keine Verantwortung zu übernehmen.“
Und so setzt Wolfram Jarosch seinen Protest-Hungermarsch nach Budapest fort, erreichte am Freitag Prag. Und Maja T. sitzt weiter in Isolationshaft. Gerade erst lehnte ein Berufungsgericht einen Antrag von T. auf Hausarrest ab. Wegen fortdauernder Fluchtgefahr, aber auch weil T. „nicht das geringste Anzeichen einer freiwilligen Unterwerfung“ zeige und versucht habe, mit dem Hungerstreik Druck auf das Gericht aufzubauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Radikalisierung nach rechts
Seid schnell, seid scharf
Maja T. nach dem Hungerstreik
Allein in Orbáns Ungarn
Streit um Verfassungsgerichtsbesetzung
Rechtsaußen nehmen Ann-Katrin Kaufhold ins Visier
Debatte um Mindestlohn
Wer beißt in den sauren Apfel?
Merz-Regierung geht in die Sommerpause
Erschreckend flache Lernkurve
DFB-Team erreicht Halbfinale
Die wahnsinnige Spielwende der Wück-Elf