Mikrofeminismus: Was tun gegen halbnackte Biker?
Mittelalte Männer auf Mountainbikes nerven unsere Autorin im Urlaub. Vielleicht helfen kleine Spitzen im Alltag als feministischer Gegenschlag.
W ir frühstücken im Schatten einer Kastanie, als eine Gruppe mittelalter Männer auf Mountainbikes vorbeiradelt. Sie verwechseln unser Ferienhaus in den Bergen offenbar mit einer Gaststätte, stellen ihre Räder neben der Haustür ab und ziehen ihre T-Shirts für die Pause aus. Mit nackten Oberkörpern stehen sie in unserem Garten rum – und wir fühlen uns belästigt.
Sagt man da was? Können die nicht wenigstens ihre Kleidung anbehalten? Ratlos sitzen wir vor unseren Müslischalen. Um die Kurve biegt immer wieder ein neuer Mann und gesellt sich zu seinen halb nackten Freunden. Bis eine von uns es nicht mehr aushält. Mit schnellen, kurzen Schritten geht sie auf die Gruppe zu und bittet die Herren freundlich zu gehen. Chefin, denke ich, und: danke.
Kleine feministische Akte im Alltag
Der Tag beginnt also mit einem Realitätscheck. Man kann in einer abgelegenen Hütte in den Julischen Alpen Cornflakes löffeln und um die Ecke kommt ein Mann und nimmt ungefragt Raum ein. „Habt ihr schon von Mikrofeminismus gehört“, fragt eine Freundin am Tisch. Es geht um kleine feministische Akte, die sich einfach in den Alltag integrieren lassen. Sie sollen für mehr Gleichberechtigung sorgen, auf Ungleichheiten hinweisen.
Fürs Büro hat sie sich zwei Dinge vorgenommen, erzählt sie. Wenn sie zu spät in ein Meeting kommt, sagt sie nicht mehr Entschuldigung, sondern: Danke, dass ihr gewartet habt. Bossmove, sage ich, aber das würde ich kaum machen.
Sie will sich außerdem nicht mehr ständig in Mails entschuldigen. Ich fühle mich ertappt. „Entschuldigung, dass ich mich jetzt erst melde“, „Sorry, die Mail ist mir durchgerutscht“. Entschuldigung hier, Entschuldigung da. Viel zu oft entschuldige ich mich für nichts. Sie versucht, das Sorry jetzt wegzulassen und gleich zum Anliegen zu kommen. Ziemlich einfach, also sammle ich in meinem Umfeld mehr feministische Hacks:
– Vor Männern offen über die Periode sprechen.
– Männern beim Einparken Hilfe anbieten.
– Wenn ein Typ zu lange glotzt, fragen, ob alles okay bei ihm ist.
– Männern auf dem Gehweg nicht automatisch aus dem Weg gehen. (Falls man sich traut und der Kerl nicht zu bedrohlich wirkt)
– Im Alltag das generische Femininum benutzen.
Die Filmproduzentin Ashley Chaney soll den Trend mit einem Tiktok-Video unter dem Hashtag #microfeminism losgetreten haben. In dem Video erzählt sie, dass sie Frauen in Mails immer zuerst nennt, auch wenn die Assistentin dann vor dem Chef steht. Seitdem häufen sich unter dem Hashtag Tipps für mehr Feminismus im Alltag:
– Lehrerinnen, die immer zuerst den Vater anrufen, wenn das Kind krank aus der Schule abgeholt werden muss.
– Kindergärtnerinnen, die fragen, was Papa gestern Abend gekocht hat.
– Wenn jemand vom CEO spricht, fragen, wie SIE heißt.
– Väter beim Ausgehen fragen, wo ihre Kinder sind.
– Wenn Menschen über die Fußball-WM sprechen, fragen, ob sie von dem Turnier der Frauen oder der Männer sprechen.
Der Gender Pay Gap schließt sich so nicht. Aber wenn Männer im Alltag häufiger darauf hingewiesen werden, dass sie nicht allein auf diesem Planeten sind, vielleicht kommen sie dann eines Tages zumindest nicht mehr auf die Idee, halb nackt in fremden Gärten zu rasten. Sondern fahren weiter um die nächste Kurve.
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